Chefredakteur Das Attentat nahm Salman Rushdie nicht den Humor – Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern

Salman Rushdie auf dem Cover des aktuellen stern
"Das Attentat und seine Folgen haben mich nicht stärker gemacht, es hat mich schwächer gemacht", sagt Salman Rushdie in der stern-Ausgabe vom 18. April
© stern
2022 wurde Salman Rushdie von einem Attentäter fast durch einen Messerangriff getötet. Zuvor hatte bereits das iranische Regime seinen Tod gefordert – so wie jetzt die Zerstörung Israels. 

Salman Rushdie ist ein Mensch, der das Leben liebt, der den Witz umarmt, für den ein Leben im Versteck kein Leben wäre. So hat er es gehalten, seit vor unfassbaren 35 Jahren iranische Machthaber um Ayatollah Chomeini (deren größter Feind der Witz war) seinen Tod forderten, wegen seines Buches "Die satanischen Verse", das sie nach eigenem Eingeständnis niemals gelesen hatten. Nach all den Jahren hat ein junger Mann – der übrigens auch bekannte, das Buch nicht zu kennen – ihn im August 2022 mit einem Messer fast umgebracht. 

Salman Rushdie fühlt sich als Sieger

Lange kämpfte Rushdie ums Überleben, Narben bleiben, ein Auge hat er verloren. "Das Attentat und seine Folgen haben mich nicht stärker gemacht, es hat mich schwächer gemacht", sagt Rushdie. Fast schlimmer noch: Viele würden sein Leben nun wieder auf dieses eine Buch reduzieren, sagte er beim Treffen in New York. Deswegen will Rushdie viel lieber über sein neues, sein 22. Werk sprechen (erschienen bei Random House, das wie der stern zu Bertelsmann gehört), in dem er zwar über das Messer und die Gewalt schreibt, aber berührend und fast heiter vor allem über seine Lust am Leben und über die Liebe. Rushdie fühlt sich als Sieger, weil er sein Leben zurückbekam, anders als der Attentäter. Und, das wurde rasch klar, er hat seinen Humor nicht verloren: Sein Glück sei, dass sein Attentäter einfach ein sehr schlechter Messerstecher gewesen sei. 

Als wir dieses Interview fertigstellten, das auch um den Mordaufruf eines ehemaligen iranischen Regimes kreiste, zeigte das aktuelle Regime in Teheran, wozu es imstande ist. Hunderte iranischer Drohnen, Raketen, Marschflugkörper regneten auf Israel. Ob das auch ein Warnzeichen gen Washington war, dass mit dem Iran noch zu rechnen ist? Zwei Punkte ruft der erste direkte iranische Angriff auf Israel, der nur durch eine gezielte amerikanisch-israelische Kooperation bei Geheimdiensten und Streitkräften so gut abgewehrt werden konnte, in Erinnerung: Der Iran will, wie auch manche arabische Akteure in der Region, Israel von der Landkarte tilgen, dessen Zerstörung ist erklärtes Staatsziel. Und: Der Mullah-Staat bleibt eine militärische Macht. 

"Wie oft", schreibt unser Iran-Experte Steffen Gassel, "wollen und können sich Israel und seine Freunde solche Abwehrgefechte noch leisten, angesichts geschätzter Kosten von umgerechnet knapp 1,3 Milliarden Euro in nur einer Nacht – für eine Schlacht gegen einen Bruchteil der weit über 150.000 Raketen, die Iran und seine Verbündeten, allen voran die libanesische Hisbollah, gegen Israel in Stellung bringen?" Und von denen manche, so müsste man hinzufügen, in Zukunft auch Atombomben tragen könnten? 

Zu Besuch in der Ideenschmiede von Google 

Vorige Woche verbrachte ich mit einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus deutschen Medien einige Tage im Silicon Valley. Wir sprachen mit Expertinnen und Experten vor allem über künstliche Intelligenz. Es gab immer noch technologieverliebten Übermut zu bestaunen, etwa bei "Google X", der Ideenschmiede des Suchmaschinen-Giganten, wo der Chefvordenker fröhlich auf Rollschuhen durchs Gebäude kurvt. Doch es war bemerkenswert, wie sehr sogar im Mutterland des Optimismus die Bedenken vor zu umfassenden Veränderungen durch die neue Technologie zu spüren sind. 

In Berkeley etwa forschen in einem imposanten Gebäude mit Blick auf die Golden Gate Bridge so viele Menschen wie an kaum einem anderen Ort der Welt an künstlicher Intelligenz, sie wollen rasch Fortschritte machen, sie wollen Firmen gründen. Aber sie leisten sich dort auch eine ganze Forschungsgruppe, die vor ethischen Gefahren warnt – und deren Chef Informatikpionier Alan Turing zitiert, der schon 1951 sagte: "Es erscheint wahrscheinlich, dass mit dem Start des maschinellen Denkens die Maschinen nicht lange brauchen werden, um unsere begrenzten Fähigkeiten zu übersteigen. Ab einem bestimmten Punkt müssen wir damit rechnen, dass die Maschinen die Kontrolle übernehmen."

Erschienen in stern 17/2024