All die schönen Preise! Es ist kaum zu glauben: Nach der Pandemie gelingt es nun doch wieder, Award-Verleihungen glanzvoll zu gestalten. Stars in Cocktailkleidern und Maßanzügen in einem Saal, wo man ihre Gesichter abfilmen kann, wenn sie erleben, wie die Konkurrenz gewinnt. Selbst die Berlinale will wieder glamourös und ausgelassen ihre Eröffnung feiern. Um das ungestört zu tun, hat man die AfD-Abgeordneten wieder ausgeladen. Das Drama soll beim Preis bleiben.
Drama, darum geht es doch bei solchen Wettbewerben, um Gewinner und Verlierer. Alle schimpfen auf die Leistungsgesellschaft, wohnen dem Schaulaufen aber gern bei. Wir werden aus unseren Widersprüchen nie herauswachsen, solange sie so schön anzusehen sind.
Galashows, die Generationen versöhnen – es gibt Schlimmeres
Die Grammys sind der wichtigste Preis der US-amerikanischen Musikindustrie, und er lieferte dieses Jahr Bilder, die viele berührten: Da saß die Großkönigin des Songwriting, Joni Mitchell, auf der Bühne. Sie, die einst ein Vogel war, der mit heller Stimme nach Wolken suchte, performte nun mit tiefdunkler Stimme ihre Songs. Tracy Chapman, die man in meiner Jugend all den sprachlosen Jungs vorsetzte, wenn sie sich nach ihren bekifften, treulosen Nächten nicht zu entschuldigen wussten. "Sorry/Is all that you can say". "Fast Car", einer ihrer Songs von 1988, verzauberte bei den Grammys so viele Zuschauer, dass er kurz danach wieder auf Platz eins der Charts landet. Galashows, die Generationen versöhnen – es gibt Schlimmeres.

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.
Mich versöhnte die Grammy-Verleihung dieses Jahr mit den Sängerinnen Miley Cyrus und Taylor Swift. Die Musik der beiden halte ich zwar kaum 20 Minuten aus, mein Aggressionslevel steigt mit jeder Sekunde, die sie mir ins Ohr strömt. Einen einzelnen Song, kurz angespielt auf Instagram, ja, das geht. Aber diese Unmenge Plastik, das auf wortgewaltige Gefühle macht … nö, danke. An dem Abend aber wirkten beide so "badass", so stark, so sehr das Gegenteil von missgünstig, dass man sieht: Sie haben die Musikindustrie verändert. Miley Cyrus trug fünf Kostüme, von denen eins mehr Haut freilegte als das andere – im Gegensatz zu Tracy Chapman und Joni Mitchell, die zum Staunen nur ihre Musik zeigen mussten. Miley bewegte sich so frei in ihrer Halbnacktheit, so wenig gefallsüchtig, dass man ihre Selbstdarstellung genoss. Es gibt einen Videoclip mit einer jüngeren Miley, in dem ein Journalist fragt, weshalb sie ihren Körper so einsetze, und sie quittiert dies mit einem Seitenhieb auf das männliche Pendant ihrer Generation: Zac Effron, der zeige sich ständig mit nacktem Oberkörper, weil er wisse, dass es heiß sei. Stelle man auch ihm diese Frage? Man blicke einfach anders auf Frauen. Sie hat recht.
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Längst verkörpert Cyrus eine Mischung aus Tina Turner, ihrer Patentante Dolly Parton und Cher. Ihre Haare waren bei den Grammys so heftig auf Achtziger gestylt, als sei sie Generationenhaus-Beauftragte und müsse alle unter einem Dach zusammenbringen. Tatsächlich standen bei ihrer Performance im Saal alle auf. Miley schrie ins Mikro, sie habe soeben ihren ersten Grammy gewonnen, und riss die Augen weit auf, bevor sie halb nackt ihren Song aufführte. "I can buy myself flowers", singt sie darin; es ist die 1001. Version von "Ich brauch den Kerl nicht zu meinem Glück." Am heftigsten im Saal jubelte ihr Taylor Swift zu, und man spürt, weshalb das Trump-Lager diese jungen Frauen fürchtet. Ihre Musik mag hier und da Plastik sein, aber in dieser unseren künstlichen Barbie-Welt wirken die beiden und ihre Kampfansagen gegen das Patriarchat ziemlich echt.