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Katholische Kirche mal anders Der Ghetto-Prediger

Franz Meurer ist katholischer Pfarrer in einem Kölner Problemviertel. Mit seinen Methoden bringt er die Schäflein zurück in die Kirche - und das Bistum auf die Palme. Zum Beispiel, wenn er mal wieder Kondome verteilt oder für die Moschee sammelt. Nun hat Gottesmann ein sehr diesseitiges Buch geschrieben.
Von Christian Parth

Der Ratschlag auf Seite 118 ist ein typischer "Meurer": Unter der Überschrift "Marketing in Zeiten von Hartz IV" ist zu lesen, dass der moderne Penner sich neue Strategien suchen muss, um an das Geld seiner Kunden zu kommen. "Haste mal 'nen Euro" ist kein Anreiz mehr, den Geldbeutel zu öffnen. "Mitleid erregen ja, aber mit Unterhaltungswert", rät das Buch. Wahrheit spielt keine Rolle. Pfarrer Meurer sagt: "Die Wahrheit kann jeder. Gut lügen ist die wahre Kunst".

Buchhinweis:

Franz Meurer, Jürgen Becker, Martin Stankowski: Von wegen nix zu machen… Werkzeugkiste für Weltverbesserer. KiWi, 7,95 Euro

Vom Brennpunkt zur Nächstenliebe

Ein katholischer Pfarrer, der öffentlich zur Lüge anregt, dürfte eine Seltenheit sein. Doch Franz Meurer macht das in seinem soeben erschienenen Buch "Von wegen nix zu machen… Werkzeugkiste für Weltverbesserer" allein aus pragmatischen Gründen: "Es geht um Respekt, Würde und Erfolg", sagt der 55-Jährige, der das Werk gemeinsam mit dem Kölner Kabarettisten Jürgen Becker und dem Journalisten Martin Stankowski verfasst hat.

Meurers Idealismus erklärt sich durch seine Lebensrealität. Vor zwölf Jahren hat der katholische Theologe die Gemeinde Höhenberg-Vingst in Köln übernommen. Die Fakten sind einem harmonischen Zusammenleben wenig zuträglich: Arbeiterviertel, 23.000 Menschen, knapp 4000 davon leben von Sozialhilfe, jeder Dritte ist Ausländer. Ein sozialer Brennpunkt - und seit Meurers Schaffen auch ein Hort der Nächstenliebe.

Pfarrer mit 7-Tage-Arbeitswoche

"Glück braucht einen Ort", zitiert er Peter Handke in breitem Kölsch und wippt dabei mit kindlichem Enthusiasmus auf seinem Schaukelstuhl. Sein Konzept von zeitgemäßer Kirche ist simpel: "Die Kirche muss ein öffentlicher Raum sein und jeder muss seinen Beitrag leisten."

Der Pfarrer malocht im Dienste des Glaubens sieben Tage die Woche in einer abgetragenen Steppweste oder im Blaumann. Dienstags verteilt er an Bedürftige, was Supermärkte auf den Müll geworfen hätten. Mittwochs öffnet er im Keller der mondänen Leichtbetonkirche von St. Theodor den Kleidermarkt. Haute Couture aus zweiter Hand. Vom Business-Anzug fürs Vorstellungsgespräch bis hin zum Kommunionskleid ist alles dabei - kostenlos.

"Jeder verdient eine Chance"

Meurer hat mit seiner Gemeinde mehr als 1000 Blumenbeete in die Tristesse gelber Hochhausfassaden gepflanzt. Im Sommer organisiert er für 500 sozial benachteiligte Kinder ein Sommercamp. Vor zwei Jahren hat Meurer einen Praktikanten eingestellt, der Patient in der örtlichen Forensik war. "Einen Kriminellen aus der Klappse für Kirchenarbeit einzuspannen, werden viele für verrückt halten", meint Meurer. Aber es sei wichtig zu begreifen, dass jeder eine Chance und Respekt verdient. "Eine christliche Gemeinschaft muss das tragen können."

Das Bistum Köln ist von der Emsigkeit des Seelsorgers wenig entzückt. Immer wieder sorgt Meurer für Verwirrung und Störfeuer. Vergangene Woche ließ er in seiner Kirche für den Bau einer Großmoschee in Köln den Klingelbeutel wandern. Sogar der arabische Fernsehsender Al-Jazeera berichtete über die Aktion. Das Bistum unter der Führung des als erzkonservativ geltenden Joachim Kardinal Meisner zeigte sich wenig solidarisch.

Kritik vom Bistums-Sprecher

"Bei allem guten Willen - in Zeiten, in denen auch katholische Pfarreien finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet sind, ist die Vingster Sammelaktion ein höchst gewagtes Unterfangen", kommentierte der Bistums-Sprecher Stephan Georg Schmidt in der Kölner Kirchenzeitung. Die Kollekte werfe außerdem unwillkürlich die Frage auf, "wann und in welchem Umfang Christen in Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit mit ähnlichem Entgegenkommen rechnen dürfen."

Meurer kontert Kritik grundsätzlich mit Verständnis. "Ich finde das nachvollziehbar. Ich hätte sogar mit einer strengeren Reaktion gerechnet." Meurer verbucht die Kollekte für seine muslimischen Freunde als Erfolg. Immerhin 811 Euro und 57 Cent spendete die Gemeinde.

Predigten aus der FAZ

Einige Schäflein hat Pfarrer Meurer auf seiner unkonventionellen Mission verloren, aber dafür umso mehr dazu gewonnen. Bei der sonntäglichen Messe kommen sie in Heerscharen. Bis zu 500 Menschen sitzen auf beigestellten Ikea-Hockern und Bierbänken, um Meurers Predigten aus der Bibel oder der F.A.Z. zu lauschen und um die junge Russin zu sehen, die er im Chor in die erste Reihe gestellt hat. "Sie ist einfach hübsch und die Leute wollen sie eben dort sehen. Das ist doch nichts Verwerfliches", sagt der Katholik.

Meurer hält nichts von den Dogmen und abstrakten Predigten. Und er will niemandem vorschreiben, wie er als gläubiger Christ zu leben hat. "Die Realität sieht sowieso anders aus." Deshalb verzichtet er auf den erhobenen Zeigefinger und auf die alttestamentarische "Du-Sollst-Moral" und verteilt stattdessen zum Ärgernis einiger Glaubensbrüder die Antibabypille an junge Mädchen und Frauen. Dass das im Widerspruch zu den katechistischen Lehren des Heiligen Vaters steht, interessiert ihn nicht. "Soll ich etwa besser zusehen, wie die Mädchen ein Kind nach dem anderen abtreiben?" Neben der Kirche ließ er obendrein einen Spritzen- und Kondomautomaten aufstellen und hat Aufklärungsunterricht organisiert. "Umdenken geht nur von unten", sagt Meurer. "Das ist doch der Kick."

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