Der Weihnachtsmarkt im holsteinischen Bordesholm findet in diesem Jahr erstmals ohne einen Tortenstand der örtlichen Landfrauen statt. Wie der stern berichtete, befolgt man damit eine EU-Vorschrift – die Verordnung Nr. 852/2004 – laut der auf Veranstaltungen, die größer als Straßen- und Vereinsfeste sind, "allgemeine Lebensmittelhygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer" gelten. Und denen können Privatpersonen mit ihren privaten Küchen, Zutaten und Utensilien nicht nachkommen.
Die Bordesholmer Landfrauen selbst nehmen dies gelassen. Sie sehen sich als mehr als bloße Kuchenbäckerinnen, weshalb die Absage nicht an ihrem Stolz kratzt – eine absolut löbliche Haltung. Aber der Fall, der aktuell große Wellen in den Medien schlägt, geht über den kleinen Weihnachtsmarkt im Norden hinaus. Einmal, weil die EU-Vorschrift eine von vielen ist, die das Klischee der absurden Europa-Regularien befeuert: Vom maximal zulässigen Krümmungsgrad von Salatgurken (immerhin inzwischen abgeschafft) bis hin zum Verbot von Plastikstrohhalmen. Es werde, so hört man immer wieder, ohne Not in viel zu private Lebensbereiche eingegriffen.
Das Kuchenbuffet – ein unterschätztes Kulturgut
Und dann wurde offenbar eines unterschätzt: Wie wichtig Tortenverkäufe für den Wohlfühlfaktor bei Festivitäten jeder Art sind– zumindest bei all jenen, die eher in ländlichen Regionen wohnen. Und das sind laut der Bundeszentrale für politische Bildung immerhin 47 Millionen Menschen.
Ich bin selbst auf dem Dorf aufgewachsen. Und weiß, dass bei jeder denkbaren Feierlichkeit – vom Schul- bis zum Schützenfest, – direkt die Frage an alle als leidlich engagiert bekannten Haushalte rausging: Könnt ihr nicht einen Kuchen backen? Durch den Verkauf wurde dann ein wenig Geld für den jeweiligen Verein eingenommen oder die Veranstaltung mitfinanziert. Ein Deal, bei dem es also nur Gewinner gab. Und brachte jemand am nächsten Tag die leere Tortenplatte zurück, freuten sich die Spender über die sichtbare Anerkennung ihres kulinarischen Könnens.
Salmonellen, eine der großen Ängste der EU, gab es in meinem Dorf übrigens in 18 Jahren exakt einmal. Und ja, natürlich spricht sich das herum. Schuld war Hühnchen – aus einem Restaurant.
Diskussion um Landfrauen: Die EU demoliert ihren Ruf – ohne Not
Abgesehen von Gefühl und anekdotischer Evidenz kann man der EU aber auch anlasten, ihren Bürgern zu wenig Eigenverantwortung zuzutrauen. Wer Allergien oder Lebensmittelunverträglichkeiten hat, wird schon wissen, welche Art von Gebäck ihm gefährlich werden könnte – oder vorsichtshalber ganz verzichten. Wer Salmonellen fürchtet, wählt eben einen Kuchen ohne Sahne. Oder kauft sich eine Portion Pommes. Die meisten Menschen sind durchaus in der Lage, Risiken abzuschätzen und dann bewusst einzugehen.
Die EU-Vorschrift, die übrigens bereits seit 2007 existiert, aber erst seit Kurzem intensiver kontrolliert wird, verletzt unzählige Hobby-Bäcker und -Bäckerinnen in ihrem Stolz. Sie schadet Vereinen, die mit dem Kuchenverkauf (auf zu "großen" Veranstaltungen) eine kleine Einnahme erzielen konnten. Sie schadet dem Zusammenhalt dörflicher Gemeinschaften. Und sie verursacht eben – wieder einmal – dieses ungläubige Kopfschütteln über eine gefühlt absurde Regelung, die mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt. Es sind diese scheinbaren Kleinigkeiten, mit denen man in den Köpfen vieler Menschen all die guten, die fantastischen Dinge in Misskredit bringt, die die EU ihren Einwohnern gebracht hat. Und das ist ebenso schade wie unnötig.
Die Bürger können selbstverantwortlich entscheiden
Auf einem Weihnachtsmarkt in meiner Heimat, einem recht großen sogar, gibt es übrigens einen Stand, an dem Kekse verkauft werden, welche die Schüler der örtlichen Schulen gebacken haben. Auch die werden, das steht zumindest zu vermuten, keine Kühlkette eingehalten haben. Und: Wer einmal selbst Achtklässler und/oder in einer Schulküche war, wird wissen: ESST DAS NICHT! Ernsthaft, wenn Schulkinder Lebensmittel herstellen und verkaufen dürfen, dann kann man das doch den fantastischen Hobby-Bäckern dieses Landes nicht verwehren? Was klar sein sollte: In solchen Fällen muss ersichtlich sein, dass es sich um private Hersteller handelt. Dann kann am Ende jeder selbst entscheiden.

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