Wir Menschen sind schon komische Leute. Wir wissen, dass etwas falsch ist, aber wenn die Konsequenz daraus nicht sofort direkt erkennbar wird, können wir das ganz wunderbar verdrängen. Siehe Klimakrise. Nicht einmal kleinste Unbequemlichkeiten wollen wir akzeptieren, wenn der Sinn nicht sofort deutlich wird. Eine dieser Unbequemlichkeiten scheint das Verschwinden von Plastikstrohhalmen zu sein. So wirkte es zumindest, nachdem der stern die an sich kleine Meldung veröffentlichte, dass in Baden-Württemberg vom Zoll 5000 Trinkhalme aus Plastik beschlagnahmt wurden.
Bereits seit dem Sommer 2021 dürfen in Deutschland und offiziell auch der gesamten EU keine Plastikstrohhalme mehr verkauft werden. Dennoch verblüffte es eine ganze Menge Leser:innen, dass sich der Zoll tatsächlich mit den illegalen Stängeln beschäftigte. Sind Trinkhalme nun ähnlich heiße Ware wie Kokain oder Schusswaffen? Wie gefälschte Markenware oder Pelz von Sibirischen Tigern? Doch während die meisten von uns wohl gut auf die letztgenannten Dinge verzichten können, ist das bei den Strohhalmen aus irgendeinem Grund anders. Jedenfalls rief unsere kleine Meldung eine große Welle an Reaktion hervor. Warum?
Strohhalme aus Plastik – ein überraschend emotionales Thema
Ich muss kurz beichten. Vor einer Weile waren mein Mann und ich im Italien-Urlaub. Als wir uns eines Abends in einem Restaurant, auf der Terrasse mit Blick aufs Meer, einen Limoncello Spritz gönnten, bekamen wir ihn tatsächlich mit einem Plastikstrohhalm serviert. Wir schauten uns gegenseitig überrascht an, staunend, mit einem seltsamen Leuchten in den Augen. "Oh, guck mal", sagte ich. "Plastikstrohhalme!" Ehrfürchtig und irrational erfreut schlürften wir unser Getränk und fühlten uns an so etwas wie eine bessere Zeit erinnert.
Fuhren wir dann später aber von einer süditalienischen Stadt zur anderen, starrten wir ratlos auf die Müllberge, die sich am Rande der Straßen türmten. Fast überall. Ja, das hat sicher nicht konkret mit der Nutzung von Trinkhalmen zu tun (und ganz sicher auch überhaupt nichts mit der Mafia), aber ist es nicht scheinheilig, sich einerseits über unnötigen und nicht korrekt entsorgten Müll und Umweltverschmutzung zu ärgern und sich andererseits so sehr über einen banalen Luxus wie das Trinken aus einem Kunststoffröhrchen zu freuen?
Wir wollen die Umwelt schützen, aber nichts dafür tun
Ich schätze, die meisten von uns sind sich einig, dass es sinnvoll ist, Einweg-Produkte aus Kunststoff weitestgehend zu reduzieren. Im Fall von Plastiktüten im Supermarkt hat das ja auch tatsächlich gut funktioniert: Inzwischen denken wir fast immer daran, einen Jutebeutel einzupacken, wenn wir shoppen gehen. Und wenn wir den vergessen, geben wir halt ein paar Cent für eine Papiertüte aus. Tut keinem weh, lässt sich easy im Alltag umsetzen.
Das scheint, so absurd es anmutet, mit Strohhalmen anders zu sein. Und ja, dafür gibt es Gründe. Spätestens, wenn jemand an seinem Drink nippt und der papierne Trinkhalm plötzlich unangenehm mehlig-welk im Mund liegt, hinterfragt man die umweltfreundlicheren Alternativen. Papierstrohhalme sehen gern mal süß aus – so nach 50er-Jahre-Milchbar – aber sie sind einfach nicht praktisch.
Wiederverwendbare Halme aus Glas oder Edelstahl weichen zwar sicher nicht auf und halten ewig, sie erfüllen auch ihren Job – aber irgendwie ist das "Gefühl", konkreter lässt es sich kaum beschreiben, nicht dasselbe. Außerdem bereut man jedes gedankenverlorene Herumkauen auf dem Ding, das mit Plastikhalmen so gut funktioniert, bei unnachgiebig hartem Glas und Stahl sofort ... aua.
Blieben Makkaroni. Funktionieren, weichen irgendwann aber auch ein bisschen auf – und haben einfach zu viele Kohlenhydrate.
Gibt es da keinen Kompromiss?
Können wir nicht irgendein anderes Plastikprodukt verbannen und durch umweltfreundlicheres Material ersetzen? Elektrogeräte, Spielzeug, Küchenutensilien? Und dafür überall dort Strohhalme wieder erlauben, wo deren korrektes Recycling garantiert und überwacht wird und sich keine Ozeane, Grünflächen oder Naturschutzgebiete in der Nähe befinden? Ja, es macht überhaupt keinen Sinn, aber diese dummen Plastikstängel geben uns gelegentlich ein überraschendes bisschen Lebensqualität, das man gerade in Zeiten wie diesen gut gebrauchen kann.
Erinnert sich noch jemand daran, wie man zum Beispiel einen dieser herzlich ungesunden, zuckrigen, dicken Milchshakes eines bekannten Fast-Food-Restaurants durch diese dicken Strohhalme saugen konnte? Das waren 20 Minuten pure Glückseligkeit. Und nein, ich habe es nach Jahren kürzlich nochmal probiert. Es ist mit einem Papierhalm leider einfach nicht dasselbe.
Übrigens: Liebe Leser:innen, die Wert auf die ganz korrekten Begrifflichkeiten legen – ja, wir wissen, dass es offiziell nicht "Strohhalm" sondern "Trinkhalm" heißt. Aber nutzen Sie diesen Begriff im Alltag? Wir auch nicht.