Die Letzte Generation trennt sich von einem Werkzeug, mit dem sich die Klimagruppe in den vergangenen zwei Jahren einen Namen gemacht hat. Ab März, so versprechen es die Aktivisten, soll Schluss sein mit der Kleberitis. Autofahrer dürfen aufatmen ob der vermeintliche Ignoranz, mit der sich die Klima-Kleber unzählige Male auf dem Asphalt festgepappt haben. Doch der Protest geht weiter und "unignorierbar wird es bleiben", kündigt die Letzte Generation an.
Die Massen zu mobilisieren, das ist ihr nicht gelungen. Auch in der Klimapolitik hat sich nichts getan. Was bleibt, ist die Überzeugung, dass sich etwas ändern muss. Deshalb startet die Gruppe einen zweiten Anlauf. Das bedeutet weitere Straßenblockaden, aber anders. Mit Versammlungen, beispielsweise. Auch die "Verantwortlichen für die Klimazerstörung der Zukunft" wollen sie "verstärkt direkt konfrontieren". Politiker sollen vor laufender Kamera zur Rede gestellt, "Orte der fossilen Zerstörung" zur neuen Zielscheibe werden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Letzte Generation diese Methoden testet. Ölpipelines und Flughäfen waren bereits mehrfach Schauplätze des zivilen Klima-Protests. Und auch Politiker wurden bereits direkt angesprochen. Gebracht hat es bisher nichts, wie viel es künftig bringt, ist mindestens fraglich. Mindestens genau so unklar ist, wie geschlossen die Aktivisten hinter den nun angekündigten Maßnahmen stehen. Eine Sprecherin der Bewegung hatte die neuen Methoden jüngst im stern-Interview mit der Bergündung verworfen, dass sich die Bevölkerung selbst nicht genug mit der Klimakatastrophe auseinandersetze.
Letzte Generation bekommt Druck von außen
Viel spricht dafür, dass sich die Bewegung gerade in einer Sinnkrise befindet. Ursprünglich ging es der Letzten Generation darum, Lebensmittelverschwendung zu beenden. Es folgte die Forderung nach einem Tempolimit und einem dauerhaften Neun-Euro-Ticket, dann sollte die Bundesregierung ihre Klimapolitik vollständig neu aufsetzen. Heute fordern die Aktivisten einen kompletten Systemwandel, um die Klimaproblematik in den Griff zu bekommen. Das klingt mehr nach Parteiprogramm als Bürgernähe, mit der die Gruppe ursprünglich die Massen mitreißen wollte.
Dafür hat sie sich in Maßnahmen verrannt, die ihr bis heute mehr Missbilligung als Sympathien eingebracht hat. Je nach Umfrage lehnen zwischen 60 und über 80 Prozent der Deutschen die Klimaproteste ab, auch wenn sie das Anliegen "Klimarettung" teilen. Doch selbst hier gehen die Zustimmungswerte zurück.
Die Klimaaktivisten haben das eigentliche Problem durch ihre Maßnahmen ins Abseits gedrängt. Berufspendler interessierte nur noch, ob sie überhaupt zur Arbeit kommen. Denn wenn die Bahn streikt, dann bleiben einigen nur noch das Auto und die Hoffnung, dass hinter der nächsten Biegung nicht schon wieder orangene Warnwesten am Asphalt kleben. Protestforscher und Politiker stritten indes darüber, ob sich die Aktivisten radikalisiert hätten. Aus den Reihen der Grünen äußerte unter anderem Robert Habeck Kritik: Die Blockaden verhinderten "eine Mehrheit für Klimaschutz. Er treibt die Leute weg", klagte er.

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Nach zwei Jahren Kleberei kommen die Klimaaktivisten zu derselben Erkenntnis. "Gerade sehen wir, dass wir nicht mehr Menschen für uns gewinnen können. Den Peak haben wir erreicht", sagte eine Sprecherin dem stern.
Knirschen in den eigenen Reihen
Alles andere als reibungslos verlief es auch innerhalb der Gruppe selbst. Auf Telegram-Kanälen der Letzten Generation war von Problemen die Rede, meist etwas verklausuliert. Zum Jahresende schied Mitgründer Henning Jeschke aus dem Führungsteam aus. Kurz darauf verabschiedete sich auch Lea Bonasera. Beide hatten im Sommer 2021 mit einem wochenlangen Hungerstreik ein Gespräch mit dem späteren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erstritten. Die Nachrichten wühlte die Gruppe nach eigenen Angaben auf. Ein neues "Kernteam" lenkt nun die Geschicke der Klimaaktivisten.
Nun also der Sinneswandel. Weg von der Kleberei, die anfangs als hoch effektiv galt, weil die Polizeibeamten lange brauchten, um Blockaden aufzulösen. Die Letzte Generation hat sich damit einen Namen gemacht, der womöglich wie Pech an ihr kleben bleibt.
Klimathematik neu platzieren
Ob das bei der Neuausrichtung hilfreich oder hinderlich sein wird, bleibt abzuwarten. Fest steht derweil, dass sich die Gruppe in der Klimabewegung insgesamt, aber auch gesellschaftlich neu positionieren muss. Die Möglichkeit dazu hat sie spätestens seit der Musterschüler Fridays for Future durch Äußerungen von Ikone Greta Thunberg zum Nahost-Konflikt in Verruf und das Klima-Anliegen ins Abseits geriet.
Dass das mit den neu angekündigten Protestformen gelingt, ist mit Blick auf die Vergangenheit der Letzten Generation aber mindestens fragwürdig. In den letzten zwei Jahren hat die Gruppe einiges ausprobiert: Die Aktivisten hungerten, setzten sich auf die Straße, bewarfen Kunst mit Kartoffelbrei, marschierten durch Berlin, legten den Flugverkehr lahm, tünchten Gebäude und Denkmäler in neonorange. Am Ende blieben sie immer die Klima-Kleber, die mit ihren rigiden Maßnahmen polarisierten. Aber nicht im Sinne des Klimas. In aller Munde waren die Protestaktionen selbst.
Jetzt hat die Letzte Generation die Möglichkeit, genau das zu ändern: Weg von Diskussionen um Protestformen hin zu konstruktiven Debatten über die Klimaproblematik. Noch ist alles offen. Allerdings hat auch das Musterbeispiel Friedays for Future gezeigt, dass Protestmärsche mit Millionen Menschen keinen Systemwandel erzwingen können. Und wie schnell man in der Bedeutungslosigkeit versinken kann. Zumindest Letzteres dürfte aber den ehemaligen Klima-Klebern nicht so leicht passieren.