Liebesbetrug Er ist charmant, heuchelt Gefühle – und will dabei nur eines: ihr Geld

  • von Christopher Grass
Abzocke statt Liebe: Jagd nach einem deutschen "Love-Scammer" in Ghana
Abzocke statt Liebe: Jagd nach einem deutschen "Love-Scammer" in Ghana
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Karin fällt auf eine neue Masche von Liebesbetrug herein. Mit einem Reporter jagt sie den Schwindler bis nach Afrika. Wen sie dort trifft, verwundert selbst erfahrene Ermittler.

An das Datum kann sie sich ganz genau erinnern: der 26. Juli 2021. Sie weiß es so genau, weil an dem Tag, wie sie rückblickend sagt, "die schwärzeste Zeit meines Lebens" begann. "Ich war todunglücklich. Ich war mit meinem Freund zusammen. Wir lebten hier im Haus, aber wir hatten miteinander massive Probleme. Und ich habe gedacht: Meine Güte, wie komm ich jetzt raus aus der Situation?"

Karin, 69, ist keine Frau, die schwach oder naiv wirkt. Als RTL-Reporter Christopher Grass in ihrem Wohnzimmer sitzt, und Karin ihm ihre Geschichte erzählt, schaut er in ein freundliches, aber auch entschlossenes Gesicht. Zwei Jahre lang recherchierte Grass und trifft nun Frauen, die wie Karin Opfer von Liebesbetrügern im Internet wurden. 

Er sieht nett aus, gepflegt

Am 26. Juli 2021 stöberte Karin ziellos auf einer Kontaktseite im Internet, als sie plötzlich von einem Mann angeschrieben wurde, der sich Robert Scholz nannte. "Ich habe gedacht: Der sieht ja ganz nett aus, gepflegt. Er hat dann über sich geschrieben, dass er in Wales geboren wurde und ein Elternteil verstorben war. Kinder hatte er nicht. Er hat aus seinem Privatleben erzählt. Na ja, und ich dann auch. Und so hat sich dann Vertrauen aufgebaut."

Liebesbetrug: Älter Frau im Dunkeln
Karin, 69, ist weder naiv noch gutgläubig. Und trotzdem fiel sie auf einen Liebesbetrug im Internet herein. Das ließ sie aber nicht auf sich sitzen
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Nach und nach fühlte sich Karin zu dem Mann hingezogen. Und er fühlte offenbar das gleiche. Das ließen zumindest die Textnachrichten vermuten, die er ihr schickte. "Hallo meine Liebe", stand da, "ich hoffe, dass es dir heute wunderbar gut geht." Oder: "Ich glaube, dass unsere Herzen zusammengehören." Worte, die Karin in ihrer Beziehung so sehr vermisste. "Ich fühlte mich dann auch nicht mehr so alleine durch diese Chatterei. Also verstanden, geliebt und ich hatte auch schöne Gefühle, die kannte ich ja gar nicht mehr."

Karin schöpft zunächst keinen Verdacht

Sie telefonierten miteinander. Auch per Video-Chat. Dabei zeigte sich der Mann mit demselben Gesicht wie auf den Fotos. Karin schöpfte keinen Verdacht. "Da war immer noch nicht zu merken, dass das Ganze mit einem Hintergedanken seinerseits verbunden war."

Doch dann – die beiden kannten sich gerade drei Monate – kamen die ersten Geldforderungen. "Er sagte, er hätte finanzielle Probleme auch mit dem Finanzamt und müsse Steuern zahlen und fragte, ob ich ihm nicht kurzfristig aushelfen könnte." Der Mann, der sich Robert Scholz nannte, schickte Karin sogar einen Darlehensvertrag über 10.000 Euro zu, mit dem Versprechen, die Summe zurückzuzahlen. 

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Lovescamer versprechen immer, das Geld zurückzuzahlen

Es ist nicht so, als hätte Karin nicht gezögert, ganz im Gegenteil. Sie wandte sich an die "Romance Scambaiter", einen Verein, gegründet von Frauen, die Daten von Liebesbetrügern sammeln, um vor Liebesbetrug ("Romancescam") zu warnen und Opfer aufzufangen. "Die versprechen immer das Geld zurückzuzahlen", sagt Kiki, eine der Administratorinnen des Forums. Was aber Karins Fall besonders macht: Der Mann, an den Karin geraten ist, war kein normaler Liebesschwindler. Die klauen und nutzen normalerweise Fotos von erfolgreichen Menschen, die ihr Privatleben gerne in den sozialen Medien teilen. Häufig verbirgt sich hinter dem vermeintlichen Geschäftsmann aus Amerika in Wahrheit ein internetaffiner, junger Mann aus Nigeria, Ghana oder der Elfenbeinküste.

Liebesbetrug: Frau mit Käpi vor Stellwand mit Notizen
Kiki ist eine Administratorin des Vereins "Romance Scambaiter": Sie verfolgen und stellen Liebesbetrüger im Internet
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Über die Bildersuche stießen Forumsmitglieder auf den Mann, der sich als Robert Scholz ausgab: Karins Betrüger war weiß und deutsch. Und er war in Ghana bereits wegen Betruges verhaftet worden. 

Liebesbetrug: gewarnt und doch gezahlt

Und jetzt beginnt der Teil, den Karin als schwärzesten ihres Lebens bezeichnet. Denn obwohl sie wusste, dass der Mann ein Betrüger war, konnte Karin nicht von ihm lassen. Sie kannte sogar seinen richtigen Namen. Denn Robert Scholz heißt in Wahrheit Klaus-Dieter H. "Das ist mir heute noch unerklärlich, aber da muss irgendwie so eine Kraft, so eine Magie, so ein Bann mich gefangen genommen haben, dass ich das getan habe. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich habe gedacht, er bessert sich vielleicht noch."

Doch das Gegenteil ist der Fall. Er stellte die Telefonate ein. Sie wurde unter Druck gesetzt. Er machte ihr Vorwürfe, sie sei hartherzig, würde ihm in einer Notsituation nicht helfen. Dabei liebe er sie doch. Statt liebevoller Anrufe hagelt es jetzt Schuldzuweisungen und Verletzungen: "Du bist eine Lügnerin und du spielst so viele Spiele. Du wolltest mir nie helfen und du hast so viele Spiele mit mir gespielt. Du bist die Ursache dafür, dass es bei uns nicht funktioniert." Oder: "Du hast mich auch im Stich lassen, Karin. Du hast mich enttäuscht, als ich dich am meisten brauchte und Probleme mit meiner Arbeit hatte!"

Fast ein halbes Jahr geht das so, bis Karin ihm das Geld überweist. Fast 10.000 Euro in mehreren Kleinbeträgen per Paypal und an Konten ghanaischer Geschäftsleute. So ist es schwieriger nachzuverfolgen.

Fälle wie den von Karin beobachten die Frauen bei "Romance Scambaiter" immer wieder. "Der Druck bei den Opfern oder die emotionale Abhängigkeit sind immens groß", sagt Kiki. "Die sind wirklich abhängig. Und deswegen gibt es viele Opfer, die aufgeklärt wurden von uns und wissen, dass es ein Betrüger ist. Die aber nicht aufhören können, weiter Kontakt zu halten."

Zahl der Opfer und Höhe des Schadens steigen

Eine bundesweite Erhebung wie hoch die Zahl der Opfer ist, existiert nicht. Aber allein in Bayern gibt es rund 450 angezeigte Fälle pro Jahr. Der Schaden: 5,3 Millionen Euro. Bei der Staatsanwaltschaft München 1 laufen immer mehr Fälle von Love Scamming auf. "Es ist ein Massenphänomen. Es gibt leider sehr, sehr viele Fälle", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. 

Liebesbetrug: Frau am Schreibtisch
Auf dem Schreibtisch von Oberstaatsanwältin Anne Leiding in München landen immer häufiger Fälle von Lovescaming: Liebesbetrug im Internet
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Im Nachbarland Baden-Württemberg beläuft sich der jährliche Schaden sogar auf 20 Millionen Euro. Und das sind nur die Fälle, die die Opfer bei der Polizei zur Anzeige bringen. "Scham führt dann eben auch oft dazu, dass die Personen noch nicht mal Strafanzeige stellen oder sehr spät erst Strafanzeige stellen", sagt Oberstaatsanwältin Leiding. Auch Karin schämt sich heute: "Ich habe darüber nicht geredet. Die Scham ist so immens groß. Heute bin ich so weit, dass ich darüber reden kann."

Schon jetzt sind die Gerichte überlastet. Denn bei den kleinen Beträgen, die auf verschiedene Konten überwiesen werden, wird jeder ermittelte Kontoinhaber einzeln verhandelt. Das Geld ist dann aber schon lange weitertransferiert. "Das mag schon sein, dass es als erstes auf einem deutschen Konto landet, aber das ist so schnell fünf Mal um den Globus versandt worden, so schnell können sie gar nicht gucken." Die Einschätzung von Oberstaatsanwältin Leiding heißt im Klartext: Wer einmal überweist, sieht sein Geld nie wieder.

Dass jetzt noch Deutsche in den Betrügernetzwerken mitmischen, hält Kiki vom Forum Romance Scam Baiter für "brandgefährlich". Denn ein Landsmann überzeuge Opfer schneller. 

Er verspricht, sie zu besuchen und schiebt die Reise dann immer wieder auf

Karin stellte die Zahlungen ein, als sie merkte, dass der Liebeschwindler genauso handelt, wie die anderen Scammer auch: Wiederholt verspricht er, sie zu besuchen, aber dann kommt immer wieder etwas dazwischen und er schiebt die Reise auf. 

Ihre 10.000 Euro hat sie inzwischen abgeschrieben. Beendet ist die Sache damit für Karin aber noch lange nicht. "Für mich ist heute auch dieser emotionale Schaden, der ist so, so, so groß. Ich habe wirklich gelitten. Ich habe geheult." Karin will unbedingt Gerechtigkeit – und wenn sie dafür nach Afrika fliegen muss. "Ich wollte mich wehren, ich wollte sagen: So mein Lieber, so doof wie du denkst, bin ich nicht."

Westafrika: Hotspot der Liebesbetrüger

Mit Informationen der Romance Scambaiter machen sich RTL-Reporter auf die Suche nach Klaus-Dieter H. und werden fündig. Der Mann fühlt sich in Ghana offenbar so sicher, dass er Orte, an deren er sich aufhält, gerne bei Google bewertet. Überwiegend in Accra, der Hauptstadt Ghanas. Sie gilt als einer der Hotspots von Scammern in Westafrika. Zwar hat das Land eine beinahe verschwindend geringe Arbeitslosenquote. Ein Viertel der Menschen verdient allerdings gerade etwas mehr als zwei Euro am Tag. Da scheinen sich viele etwas dazuverdienen zu wollen. 

Mithilfe eines Informanten vor Ort gelingt es dem RTL-Reporter Christopher Grass, das Haus ausfindig zu machen, in dem der Gesuchte leben soll. Der Journalist erhält Fotos aus dem Alltag von Klaus-Dieter H., wie er eine Straße entlangschlendert, an einem Kiosk Getränke kauft.

Mit viel Wut im Bauch steigt Karin zu Hause in Deutschland ins Flugzeug. "Ich will, dass es ihm schlecht geht, so wie es den Opfern auch ergangen ist." Es wird eine beschwerliche Reise, denn nach einer Fußoperation kann Karin nur schlecht laufen. Und der Informant vor Ort in Accra gibt immer neue Hinweise über den Aufenthaltsort von Klaus-Dieter, die sich teilweise widersprechen. 

Liebesbetrug: Mann und Frau auf Krücken in dunkler Gasse
Kurz vor dem Ziel: Auf Krücken kämpft sich Karin zur Bar in einer dunklen Gasse von Accra. Begleitet wird sie von RTL-Reporter Christopher Grass. Hier in Ghana wird Karin gleich auf den Liebesbetrüger treffen, den sie aus dem Internet kennt und der versucht hat, ihr Geld zu erschleichen
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Bretterbude im Hinterhof

Es ist Sonntagabend. Ein unbefestigter Weg führt zwischen Mauern von einer belebten Straße zu einer Bar. Man muss genau schauen, um nicht zu stolpern. Am Ende der dunklen Gasse: Bierverkauf aus einer Bretterbude, ein paar Tische und Stühle. Ein Dach gibt es nicht, nur eine Lichterkette,. Nur wenige Gäste sind an dem Abend dort, einer von ihnen ist Klaus-Dieter H. "Ich habe ihn sofort erkannt, selbst den Hinterkopf. So gut hatte ich ihn im Gedächtnis", sagt Karin. "Er saß dort, trank Bier, und ich bin auf ihn zugegangen."

Liebesbetrug: Frau auf Krücken spricht mit Mann verpixelt
Nachts in einer Bar in Accra, Ghana, stellt Karin den Betrüger, der ihr Liebe vorgegaukelt hat, um an ihr Geld zu kommen.
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Die Polizei ist zu diesem Zeitpunkt schon vor Ort. Doch den Moment der Festnahme kann Karin nicht wirklich genießen: "Ich war natürlich froh, als die Handschellen klickten, weil das war es, wonach ich gestrebt habe. Aber dass ich jetzt hätte in den Himmel springen können vor Freude? So war das nicht. Ich war eher traurig. Traurig darüber, dass jemand seine Landsleute ausnimmt. Und jetzt dafür die Rechnung bekommt."

Karin hat sich dazu entschlossen, sich von RTL-Reporter Christopher Grass begleiten zu lassen, weil sie andere Frauen warnen will: "Es kann jede ereilen. Keine soll sagen: Wie doof muss man sein, um darauf reinzufallen. Nein, es ist so geschickt gemacht. Ich befand mich in einem Bann und kam aus der Sache gar nicht wieder raus. So ist das einfach. Deshalb soll man niemanden verurteilen."

Die ganze Geschichte lief am Dienstag, 18. Februar 2025, bei "Extra" auf RTL (hier bei RTL+).

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