Layla, Winnetou und Co. Skandal! Deutschland ist eine Empörungsgesellschaft!

Mika Ullritz (l) als Winnetou und Milo Haaf als Tom Silver in einer Szene des Films "Der junge Häuptling Winnetou"
Empörung über Winnetou, Winnetou-Bücher und dessen Verkaufsstopp: ein Komplex, über den sich viele in Deutschland empört haben
© -/Leonine / DPA
Ob Layla, Winnetou, Corona oder Masken im Regierungsflieger: Die Aufregung bei diesen Themen war und ist groß. Viele Deutsche empören sich – und stellen ihre Empörung gern in Sozialen Medien zur Schau. Zeit, einen Gang runterzuschalten.

Ach ja, es gibt so vieles, über das man sich aufregen kann. Die verspätete Bahn, der Nachbar, der am späten Sonntagabend Löcher in die Wand bohrt. Die arrogante Kollegin.

Es liegt in unserem Wesen, dass wir uns über Dinge aufregen. Wut ist eine unserer Grundemotionen. Das zeigte uns schon der Film "Alles steht Kopf". Manchmal muss es halt raus.

Wie gut, dass es in Deutschland so viele Themen gibt, über die wir uns aufregen können. Doch inzwischen regen wir uns nicht mehr nur auf, murmeln unsere Unzufriedenheit vor uns hin. Nein, wir empören uns! Allein in den letzten Wochen und Monaten kam das unter anderem bei diesen Themen vor:

Der Song "Layla" (Sexistisch und frauenverachtend!)

Dass Menschen ein Verbot von "Layla" fordern und den Song zum Teil nicht abspielen (Zensur!)

Das Buch "Der junge Häuptling Winnetou" (Kulturelle Aneignung! Rassismus!)

Und die Aufregung darüber, dass man den Verkauf stoppt (Zensur! Einknicken vor Wokeness!)

Politiker:innen und Journalist:innen fliegen ohne Maske im Regierungsflieger (Extrawurst für die Politik!)

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Angeblich zu lasche Corona-Maßnahmen (Die Corona-Toten sind die Toten der Regierung!)

Oder angeblich zu strenge Maßnahmen (Lauterbach-Rücktritt, jetzt!)

Sich an Straßen oder Gemälde klebende Klimaaktivist:innen (Klima-Sekte!)

Christian Lindner (Wie kann er nur gegen das 9-Euro-Ticket sein, das ich und so viele andere so toll finden?!)

Oder die FDP als Ganzes.

Ja, selbst ich empöre mich über die Empörung (Schmierfink!). Es ist ein Teufelskreis.

Protestwelle befürchtet: Kommt der "Wut-Winter"? (Symbolbild von Demonstrant mit Fahne)
Protestwelle befürchtet: Kommt der "Wut-Winter"? (Symbolbild von Demonstrant mit Fahne)
"Haben inzwischen eine Mehrheits-Diktatur": Augstein und Blome streiten über möglichen "Wut-Winter"

Schluss mit der Empörung! 

Und gerne wird die eigene Empörung nur zu gerne mit der Welt im World Wide Web geteilt. Man braucht nur mal auf Twitter in die Trends zu sehen und schon weiß man, worüber sich der oder die Deutsche aufregt:

"#LauterbachRausschmissSofort"

"#9EuroTicket"

"Menschen mit Uterus"

"Irrsinn"

"Sekte"

Um nur einige zu nennen.

Bei so viel Empörung frage ich mich: Muss das wirklich sein? Müssen wir um so viele Themen so ein Brimborium machen und sie zum Skandal, der oftmals eigentlich keiner ist, hochkochen lassen? Und müssen wir Twitter mit unserer Empörung vollhashtaggen?

Sicher, wir haben uns schon immer über Dinge, Themen und Menschen empört. Manche haben es auch zum Geschäft gemacht, wie etwa die Zeitung mit den großen Buchstaben und vielen Bildern.

Empören wir uns über die wichtigen Dinge!

Aber es ist gefühlt zu viel geworden in den letzten Wochen. Es wird zwar nur selten aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Aber manche Themen nehmen durch unsere Empörung viel zu viel Raum ein, der eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre. Auch weil wir Medien gerne auf den Zug aufspringen.

Dabei gibt es so viele andere Dinge, bei der Empörung wirklich angebracht ist. Zum Beispiel, dass Wladimir Putin seinen Krieg gegen die Ukraine immer noch führen kann. Dass wegen dieses Krieges die Preise bei uns enorm steigen und das für viele Menschen Armut bedeutet. Dass die Politik immer noch zu wenig gegen die Klimakrise tut, die wir diesen Sommer schon spüren konnten.

Schalten wir doch alle mal einen Gang oder zwei zurück. Es muss nicht immer gleich die große Empörungskeule geschwungen werden. Wie wäre es stattdessen mit einem sachlichen Diskurs? Aufeinander zugehen, Argumente und Meinungen austauschen, sich gegenseitig verstehen und sich nicht übereinander aufregen, nur weil andere eine andere Sicht auf die Dinge haben.

Ja, so etwas ist schon oft gefordert und propagiert worden. Aber es ist wahrscheinlich die Lösung, die uns von einer Empörungsgesellschaft zu einer macht, in der man wieder miteinander reden kann, ohne dass man sich an die Gurgel geht, nur weil einem der Hut wegen einer anderen Meinung hochgeht.