Wer nach einem stressigen Arbeitstag oder einer durchzechten Clubnacht nach Hause fährt, weiß: In der Not kann auch die Schulter eines Fremden ein sanftes Ruhekissen sein. Doch nur selten endet der unfreiwillige Körperkontakt damit, dass einer der Beteiligten als Netzheld gefeiert wird.
In den Sozialen Netzwerken macht derzeit ein Bild die Runde, das einen dunkelhäutigen Mann mit Kapuzenpulli schlafend an der Schulter eines jüdischen Mitreisenden zeigt. Zugegeben, glücklich sieht der Mann nicht gerade aus: Sein Blick ist starr geradeaus gerichtet, die Mundwinkel neigen sich dezent nach unten. Doch manchmal täuscht der erste Eindruck - oder verrät nur die halbe Wahrheit.
Der Mann, der das Foto auf der US-amerikanischen Social-News-Seite Reddit postete, kennt sie: Auf seinem Weg nach Hause hatte "Braffination" bemerkt, wie ein junger Afroamerikaner auf der Schulter eines jüdischen Mannes weggedöste. Der Mann habe "nicht mit der Wimper gezuckt", ihn einfach schlafen lassen. Auch ein Angebot, seinen Schulterschläfer aufzuwecken, habe er abgelehnt. "Er hatte sicher einen langen Tag gehabt, lass ihn schlafen. Haben wir doch alle schon erlebt, oder?", erwiderte der Mann mit der Kippa - und ergab sich seinem Schicksal. "Braffination" war fasziniert von seiner Freundlichkeit, knipste ein schnelles Fotos und lud es bei Reddit hoch. Als er zwanzig Minuten später den Zug verließ, schlummerte der Unbekannte noch immer friedlich an der Schulter.
Facebook-Likes statt Sabberflecken
Während der Name des Schlafenden bis heute unbekannt ist, klärte sich die Identität des freundlichen Juden schnell auf. Wie das jüdische Online-Magazin "Tablet" berichtet, handelt es sich um Isaac Theil, einen 65-jährigen Mann aus Brooklyn. Sein junger Neffe hatte ihn beim Surfen im Netz erkannt und gleich die Familie alarmiert.
In diesem Moment hatte das Foto längst seinen Siegeszug um die Welt angetreten. Endgültig viral ging das Bild, als Blogger und Marketingmann Elad Nehorai es auf der Facebook-Seite seines im Aufbau befindlichen Start-Ups "Charidy" veröffentlichte. Allein dort haben bereits über hunderttausend User ihr Gefallen ausgedrückt, knapp 25.000 Mal wurde es geteilt. Selbst von seinem Rabbi bekam Theil einen Daumen hoch - allerdings einen echten.
"Vielleicht wäre das Foto nicht so berühmt geworden, wenn die Menschen keinen jüdischen Mann mit Kippa und einen dunkelhäutigen Mann mit Kapuze gesehen hätten", spekulierte Theil gegenüber der "Tablet"-Reporterin. Aber die Frage nach ethnischen Unterschieden habe für ihn in diesem Moment wirklich keine Rolle gespielt, so der Mann weiter. "Er war einfach ein erschöpfter Mensch, ich wusste es, war dort und hatte eine breite Schulter zum Anlehnen anzubieten."
Trittbrettfahrer für einen guten Zweck
Für Isaac Theil ist die Geschichte damit erledigt, für die Macher von "Charidy" beginnt sie dagegen erst. Nehorai nahm den Fall "Theil" nun zum Anlass , um selbst ein kleines Experiment - und ein wenig Eigen-PR - zu starten. Der Blogger schickte einen jungen Mann in die New Yorker U-Bahn, der sich an der Schulter von Fremden schlafend stellte. Mit versteckter Kamera wurden die Reaktionen der Leute gefilmt. Von erschrocken-abweisend bis hin zu lächelnd-gleichmütig war alles dabei.