Es knallte so laut, dass Philipp Dittberner und seine kleine Welt in meiner Sound-Anlage im Auto verstummten. Vor meinen Augen raste eine ältere Dame mit ihrem Kleinwagen zweimal nacheinander rückwärts gegen eine Betonmauer im Parkhaus. Sie schaltete ihre Automatik mehrfach falsch und gab dabei hektisch Vollgas. Das Auto ein Haufen Schrott, ihr Begleiter und sie ein Häufchen Elend.
Wir erzählten uns unsere Leben
Ich nahm die zitternde kleine Frau in den Arm, rief Sanitäter und die Polizei. Sie war 84, er 88. Von dem großgewachsenen Mann mit dem vollen schlohweißen Haar und der lässigen Jeans konnte ich kaum den Blick abwenden. Er sah meinem vor zwei Jahren verstorbenen Vater zum Verwechseln ähnlich. Gänsehaut pur. Beiden war zumindest körperlich nichts passiert, aber das Auto wollten sie auf keinen Fall mehr besteigen.
Wir warteten auf den Abschleppwagen. Die Stunden vergingen. Einer, der uns helfen sollte, hatte selbst einen Unfall, der andere hatte sich verfahren. Langweilig war es nicht, weil wir uns unsere Leben erzählten. Die beiden Oldies waren beide bei Versicherungen tätig gewesen. Bei einem ungeklärten Schadensfall lernten sie sich kennen. Geschichten, die nur das Leben schreibt.
Ein Leben, ohne einen Tag getrennt zu sein
Sie waren noch nie einen Tag getrennt gewesen. Wenn einer von beiden ins Krankenhaus musste, kam der andere mit. Und wenn kein Bett mehr frei war, schlief er vor der Tür auf der Wartebank. Die beiden haben die Welt miteinander bereist, mit Rucksack und Zelt. Alaska hat ihnen besonders gut gefallen. Heute darf der Mann nicht mehr fliegen, das Herz. Als die beiden immer müder wurden, holte ich in einem nahegelegenen Restaurant Käse-Schnittchen und Wasser. "Hauptsache" heißt der schnuckelige Laden und die Chefin garnierte die Parkhaus-Dinner-Brote sogar mit liebevoll geschnittenen Mini-Tomaten.
Endlich kam der Mann vom Abschleppdienst. Ein echter Kölner, herzlich, zupackend. Er vertrieb alle Sorgen mit seinem breiten Lächeln. Ein strahlender Gelber Engel inmitten von tristem Beton. Ich fuhr die beiden älteren Herrschaften nach Hause. Die alte Dame war noch immer etwas zittrig. Aber sie hatte schon wieder Pläne. Nächste Woche sollte es nach Sylt gehen, in die Sansibar, ihren Lieblingsort. Beim Abschied fragte sie mich, wie sie mir meine Hilfe vergelten könnte. Ich winkte ab und schüttelte den Kopf. Der alte Mann umarmte mich an der Tür. Ganz fest. Und ein bisschen hatte ich das Gefühl, mein Vater wäre noch einmal zurückgekommen.
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