Diskussion in Norwegen Ein Schüler verweigert der Rektorin den Handschlag. Es entschuldigt sich: die Rektorin

Ausschnitt aus dem diskutierten Video: Die Rektorin (r.) versucht, dem Schüler die Hand zu geben. Der wehrt sich dagegen. 
Ausschnitt aus dem diskutierten Video: Die Rektorin (r.) versucht, dem Schüler die Hand zu geben. Der wehrt sich dagegen. 
© Screenshot
Ein Video geht in Norwegen viral und erhitzt die Gemüter: Ein Schüler verweigert der Rektorin bei einer Abschlussfeier den Handschlag. Sie protestiert darauf. Am Ende entschuldigt sich nicht der Schüler, sondern die Lehrerin. Sie erhält nun Zuspruch.

Es ist ein feierlicher Moment: Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen stehen mit Rosen und ihren Zeugnissen auf einer Bühne. Unter Applaus kommt ein Teenager auf die Bühne, um sein Zeugnis von der Rektorin abzuholen. Sie streckt die Hand zum Handschlag aus – doch der Schüler schnappt sich das Zeugnis und will gehen. Die Rektorin versucht noch, seine Hand zu ergreifen. Doch er schlägt den Handschlag aus und verlässt die Bühne.

Ein Video dieser Szene an einer Osloer Schule hat in Norwegen und darüber hinaus für Diskussionen und Kritik gesorgt: Darf man in einem westlichen, christlich geprägten Land einer Frau einfach den Handschlag verweigern? War das Verhalten der Rektorin übergriffig, als sie den Schüler zum Handschlag zwingen wollte? Auf TikTok und Twitter, wo das Video viral ging, wird heiß diskutiert. Medienberichten zufolge ereignete sich der Vorfall bereits vergangene Woche.

Vor allem die Worte, die die Lehrerin nach der Szene an die Anwesenden richtet, sorgen für Kritik und Zustimmung: "Leute, wir leben in Norwegen und so kann es nicht sein! Wir können es so nicht haben! Eltern, wir leben in Norwegen", sagte sie in ihr Mikrofon. Es gibt einigen Applaus.

Gespaltene Meinungen zu Reaktion – Rektorin entschuldigt sich

"Ihr werdet zusammen mit norwegischen Frauen arbeiten. Ansonsten werdet ihr keinen Erfolg in Norwegen haben. Ihr müsst es tun! Ich meine es so! Ihr Eltern müsst euch damit auseinandersetzen! Es wird erwartet, dass ihr mir die Hand gebt."

In den Kommentarspalten gehen die Reaktionen und Meinungen auseinander, wie das norwegische Nachrichtenportal "Nettavisen" zeigt:

"Peinlich, sehr peinlich", schreibt einer.

"Im Ernst: Jemandem die Hand zu schütteln und sich zu bedanken, sollte JEDER machen können", ein anderer.

"Man kann niemanden zwingen, einen zu berühren. Es ist seine Entscheidung", kommentiert eine Person ebenfalls.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Nach dem Vorfall gab es eine Entschuldigung. Allerdings nicht vom Schüler, sondern von der Schulleiterin. Diese entschuldigte sich bei den Eltern und Erziehungsberechtigten. "Nettavisen" konnte die Entschuldigung einsehen.

"Es war zu heftig und konfrontativ"

Nach ihrer Aussage hatte es mehrere "Haram"-Rufe gegeben, als mehrere Schüler ihr nicht die Hand geben wollten. "Haram" ist ein arabisches Wort, das im Islam alles bezeichnet, was als unantastbar oder verboten gilt. Es ist unklar, ob es sich bei dem Schüler, der den Handschlag verweigerte, um einen Muslim handelt.

In manchen Teilen des Islam wird das Händeschütteln zwischen Männern und Frauen abgelehnt, aber auch dort diskutiert. Einige Geistliche sehen es als verboten an, andere sind bei diesem Thema gelassener und sehen kein Problem damit.

Die Rektorin bezeichnete die Situation auf der Bühne als "unangenehm". Gleichzeitig beklagte sie, dass das Video geschnitten und bearbeitet worden sei.

Dennoch sagte sie über ihr Verhalten: "Es war zu heftig und konfrontativ. Wir wollen, dass die Feier ein angenehmer Abschluss von zehn Jahren Schulzeit ist, und es tut uns leid, dass der Vorfall und meine Reaktion das Ende des diesjährigen Jahrgangs geprägt haben", zitiert "Nettavisen" sie in der Erklärung, die an alle Eltern und Erziehungsberechtigten verschickt wurde. Der Vorfall sei bereits mit dem Schulpersonal besprochen worden.

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Schulleiterin aus Norwegen will ihre Äußerung nicht als rassistisch sehen

Trotz der Entschuldigung erntete die Schuldirektorin Kritik, etwa von Hatem Ben Mansour, Leiter eines Antirassismuszentrums. "Die Aussage 'Wir sind hier in Norwegen' ist eine Herrschaftstechnik. Das ist ein typischer Ausdruck von kulturellem Rassismus." Mit solchen Aussagen gehe man davon aus, dass die andere Gruppe, mit der man spreche, die Regeln der Gesellschaft nicht verstehe oder respektiere und kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft sei, sagte er dem Rundfunksender NRK. Seiner Meinung nach sollte es aufgrund der Religionsfreiheit möglich sein, in Schulen auf das Händeschütteln zu verzichten.

Den Vorwurf des Rassismus wies die Rektorin im Gespräch mit dem Sender jedoch zurück. Sie stehe nach wie vor zu ihrer Aussage. Es seien lediglich die unterschiedlichen Weltanschauungen des Schülers und der Rektorin aufeinandergeprallt. Auch die Schulbehörde sieht das Thema mit der Entschuldigung offenbar als erledigt an. Man sei im Dialog.

Bis in die Politik hat es das Video geschafft – und dort ebenfalls Reaktionen hervorgerufen. Der Abgeordnete Mani Hussaini von den Sozialdemokraten sagte dem NRK: "Dies ist ein schlimmer Fall für alle Beteiligten. Ich denke, es war völlig angemessen, dass sich die Rektorin zu Wort gemeldet hat. Es geht hier um einen Mangel an Respekt." Ihren Appell nannte er "mutig".

Video wird auch in Dänemark diskutiert – wegen ähnlichen Erfahrungen

Auch im Nachbarland Dänemark machte das Video die Runde und löste bei rechtsgerichteten Politikern teils heftige Reaktionen aus. "Leider haben wir hier in Dänemark die gleichen Probleme. Natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn die Schulleitung reagiert. Mega unhöflich, Frauen nicht die Hand zu geben", schrieb Morten Dahlin von der rechts-liberalen Partei Venstre auf Twitter.

Pia Kjærsgaard, Gründerin der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, ging sogar noch weiter: "Er soll sein Zeugnis zurückgeben. Und seine islamischen Eltern sollen ihn erziehen", schrieb sie bei Twitter.

Dass das Video auch in Dänemark hohe Wellen schlägt, ist kein Zufall, denn die Diskussion um einen verweigerten Handschlag wurde dort bereits mehrfach geführt.

2018 wurde in Dänemark das sogenannte "Handschlag-Gesetz" verabschiedet. Dieses besagt, dass man die dänische Staatsbürgerschaft bei einer Einbürgerungszeremonie nur durch einen Handschlag mit dem Bürgermeister oder der Bürgermeisterin erhalten kann.  

Wörtlich heißt es darin: "Wenn der Antragsteller eine Erklärung (…) unterzeichnet hat, muss der Bürgermeister oder das Gemeinderatsmitglied dem Antragsteller ohne Handschuhe die Hand schütteln, Handfläche an Handfläche, um den Moment im Leben des Antragstellers, in dem er dänischer Staatsbürger wird, feierlich und ausdrücklich zu markieren."

Das Gesetz wurde heftig diskutiert, einige Kommunen versuchten, es zu umgehen, indem sie z. B. sowohl einen Mann als auch eine Frau als Vertreter des Staates anwesend sein ließen. Die damalige Integrationsministerin Inger Støjberg bezeichnete dies als "Kniefall vor dem Islam" und verschärfte daraufhin das Gesetz. Heute darf das Geschlecht bei der Auswahl der Vertreter nicht berücksichtigt werden.