Subventionen für Bus und Bahn Das 365-Euro-Ticket für den Nahverkehr ist ja schön und gut – löst aber nicht das Problem

Die SPD will Bus- und Bahnfahren für einen Euro pro Tag ermöglichen. Die Idee klingt verlockend, ist aber nicht neu. Dass sich das 365-Euro-ÖPNV-Ticket so schwer tut, liegt auch daran, dass der Preis nicht das eigentliche Problem des Nahverkehrs ist.

Zuverlässig einmal im Jahr wird die eierlegende Wollmilchsau unter den Umwelt- und Verkehrskonzepten durchs Dorf getrieben. Und genauso zuverlässig gerät sie nach lauten aber kurzem Grunzen wieder in Vergessenheit. Nun also Auftritt SPD: "Im Kampf gegen den Klimawandel plant die Partei die schrittweise Einführung eines 365 Euro Jahrestickets für den öffentlichen Nahverkehr", meldet die "Süddeutsche Zeitung". Anders gesagt: Für einen Euro am Tag sollen Autofahrer auf Bus und Bahn umsteigen. Klingt nach einfacher Lösung für ein komplexes Problem – doch wie das mit häufig ventilierten aber selten umgesetzten Ideen so ist: Sie gehen schlicht am Kern des Problems vorbei.

Bus und Bahn 90 Minuten, Auto die Hälfte

Denn es ist nicht allein der Preis, der die Menschen davon abhält, mit dem Bus zur Arbeit zu fahren. Beispiel: Hamburg. Wer fünf, sieben, zehn Kilometer entfernt vom Zentrum wohnt – etwa in Duvenstedt am nördlichen Stadtrand – muss für eine Jahreskarte aktuell rund 1000 Euro zahlen und bekommt dafür eine Fahrt ins Zentrum mit Bus und Bahn, die im besten Fall rund eine Stunde dauert, eher anderthalb. Das Auto dagegen braucht 45 Minuten (im besten Fall), ist also doppelt so schnell. Quizfrage: Für welches Fortbewegungsmittel wird sich ein Duvenstedter entscheiden?

Nun wohnt die überwiegende Mehrheit der Menschen nicht in Hamburg-Duvenstedt, was die Sache aber nicht besser macht. Denn in sehr vielen Flecken des Landes ist es um den öffentlichen Nahverkehr noch einmal mieser bestellt. Die Kollegin Wiebke Tomescheit hat das ganze Elend der systematischen Vernachlässigung vom Land jüngst eindrücklich beschrieben. Noch absurder: So abgehängt diese Menschen schon jetzt sind, kommen diejenigen in den Zentren vor lauter Bussen, (Sammel-)Taxen, U- und S-Bahnen, Leih-Rädern, (Leih-)Autos, E-Scootern, Leih-Rollern, Droschken und Segways kaum noch voran. 

Deshalb klappt der Ein-Euro-pro-Tag-Nahverkehr in Wien 

Dass der Ein-Euro-pro-Tag-Nahverkehr funktionieren kann, zeigt Wien. Dort gibt es das 365-Euro-Ticket schon seit Jahren, Busse und Bahnen schultern rund 40 Prozent des Verkehrs. Nur: In der österreichischen Hauptstadt hat auch jeder Zigarettenautomat eine eigene Haltestelle. Wieder Hamburg als Vergleich: Beide Städte sind mit nicht ganz zwei Millionen Einwohnern etwa gleich groß, Wien aber hat nur die halbe Fläche zur Verfügung. Und doch gibt es eine U-Bahn-Linie mehr als in Hamburg, mit entsprechenden Plus an Haltestellen und zudem unterhält die Stadt eines der größten Straßenbahnnetze der Welt. Der Preis dafür sind zwar rappelvolle und laute Straßen, aber zumindest gibt es dort eine echte Alternative zum Auto.

Was zudem bei diesen dahergeforderten Systemwechseln gerne vergessen wird, ist das leidige Thema Geld. Sicher lässt sich politisch entscheiden, künftig alle Verkehrsbetriebe so sehr zu subventionieren, dass sie ein 365-Euro-Ticket anbieten können. Doch schon jetzt schaffen es nur die wenigsten Bus- und Bahn-Anbieter kostendeckend zu wirtschaften – obwohl die Fahrpreise deutlich höher liegen als bei einem Euro. Obendrein pro Fahrt. Will die Politik die ÖPNV-Tickets dauerhaft günstig halten, binden sich Kommunen, Städte und Bund für viele Jahrzehnte einen gigantischen Ausgabebatzen ans Bein. Und haben immer noch nicht einen Cent für den dringend benötigten Ausbau der Infrastruktur investiert.

Das Angebot ist nicht schlecht, nur schlecht verteilt

Dass der Wille vorhanden ist, mehr Geld in den Nahverkehr zu stecken, ist eine gute Nachricht. Aber vielleicht wäre es hilfreich, Bus- und Bahnstrecken zunächst auszubauen, Verbindungen besser aufeinander abzustimmen, Lücken zu schließen und dann erst die Preise zu senken. Anstatt mit Billigangeboten noch mehr Leute in ein System zu locken, das jetzt schon zu häufig überfordert ist.

Abgesehen davon: Was spricht eigentlich dagegen, dass der Verkehrsbetrieb gemeinsam mit Sharing-Anbietern Gebiete bedient, die erst in Jahren erschlossen werden (können), oder gar zu weit abgelegen oder zu wenig bevölkert sind, um dort den Bus-Takt zu erhöhen? Geschweige denn dort Bahnhöfe zu bauen? Warum stapeln sich am Hamburger Hauptbahnhof die E-Scooter, während ÖPNV-willige Duvenstedter allein ein Auto brauchen, um zur nächsten Bahnstation zu kommen? Warum beteiligen sich nicht die Verkehrsbetriebe an Sammeltaxis? Das Angebot ist nicht immer schlecht, es ist oft nur schlecht verteilt. Da helfen auch keine 365-Euro-Tickets.