Organisierte Kriminalität Warum Niedersachsen mehr illegale Gewinne einziehen will

"Den Tätern tut es unheimlich weh, wenn das Luxusauto weg ist": Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) zum Kampf
"Den Tätern tut es unheimlich weh, wenn das Luxusauto weg ist": Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) zum Kampf gegen Organisierte Kriminalität. Foto
© Shireen Broszies/dpa
In Niedersachsen gibt es so viele Verfahren gegen Organisierte Kriminalität wie in kaum einem anderen Bundesland. Justizministerin Kathrin Wahlmann sagt, was künftig besser werden soll.

Das Land Niedersachsen will den Druck auf die Organisierte Kriminalität erhöhen - und den Tätern mehr von ihren illegalen Gewinnen wegnehmen. "Den Tätern tut es unheimlich weh, wenn das Luxusauto weg ist", sagte Justizministerin Kathrin Wahlmann. Dabei gebe es noch Luft nach oben, Lücken müssten geschlossen werden. 

Innenministerin Daniela Behrens (beide SPD) sagte: "Die Tatsache, dass wir kriminellen Strukturen in Niedersachsen Vermögen in Millionenhöhe entziehen konnten, zeigt: Wir treffen sie dort, wo es am meisten weh tut – bei ihren illegalen Gewinnen."

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr gut 7,5 Millionen Euro abgeschöpft, wie Landespolizeipräsident Axel Brockmann sagte. Das sei die höchste Summe der vergangenen fünf Jahre, knapp 27,6 Prozent aller geschätzten illegalen Gewinne hätten 2024 eingezogen werden können. 

27,4 Millionen Euro illegale Gewinne im vergangenen Jahr

Diese Gewinne stiegen 2024 Schätzungen zufolge auf etwa 27,4 Millionen Euro - nach rund 15,1 Millionen Euro ein Jahr zuvor. 2023 lag die Summe bei rund 2,9 Millionen Euro, die Quote betrug etwa 19,5 Prozent. 2020 dagegen wurde der Ertrag den Angaben zufolge noch auf über 130 Millionen Euro geschätzt, 2021 sogar auf fast 185 Millionen Euro - die Abschöpfungsquoten betrugen in den beiden Jahren nur 4,04 und 2,18 Prozent. 

"Organisierte Kriminalität war und ist eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft und auch für unsere Sicherheitsbehörden – sie ist vielschichtig, international vernetzt und agiert zunehmend digital", betonte Behrens. 

Das Lagebild 

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Laut Lagebild ermittelte die Polizei im vergangenen Jahr in 65 Verfahren - ein Jahr zuvor waren es 68 gewesen. Dazu kamen 17 Ermittlungskomplexe von Bundeskriminalamt, Zoll und Bundespolizei im Auftrag niedersächsischer Staatsanwaltschaften. Im Vergleich der Bundesländer war das der zweithöchste Wert. Aber: Das Dunkelfeld der unbekannten Fälle dürfte "ein Vielfaches" betragen, sagte Behrens.

125 Verfahren lagen den Justizbehörden zur Bearbeitung vor, 40 wurden gerichtlich erledigt. Die Größenordnung sei "zahlenmäßig relativ klein", sagte Wahlmann. 

Die Ermittlungen richteten sich den Angaben zufolge gegen 712 Verdächtige aus 50 Staaten. Fast jeder Zweite von ihnen hat die deutsche Nationalität (45 Prozent). Unter den ausländischen Verdächtigen kamen Albaner (10 Prozent), Niederländer und Türken (je 7 Prozent) auf einen höheren Anteil. 

Behrens mahnte "eine vernünftige Regelung" an, um mehr Täter und ihre Netzwerke ausfindig machen zu können. Dazu gehöre die Speicherung von IP-Adressen. Dies werde "in der Strafprozessordnung geregelt werden müssen", sagte die Innenministerin. "Wir brauchen eine ordentliche rechtliche Grundlage."

Kriminalitätsfelder

Insgesamt sprach Landespolizeipräsident Brockmann von einem gleichbleibend hohen Niveau der Organisierten Kriminalität. Fast 44 Prozent oder in absoluten Zahlen 36 der polizeilichen Verfahren entfielen im vergangenen Jahr auf Drogendelikte - ein Jahr zuvor waren es noch 46 Fälle. So gehe es etwa um Kokain aus Südamerika, das wesentlich über den Seeweg und die Nordseehäfen eingeschmuggelt werde. Brockmann bescheinigte den Tätern "hohe Anpassungsfähigkeit und Kreativität".

Der Landespolizeipräsident sagte auch, es sei "blauäugig" anzunehmen, dass die Teillegalisierung von Cannabis den illegalen Handel eindämmen werde. Nach wie vor könne Cannabis nicht legal erworben werden. Wahlmann sagte: "Wir gehen davon aus, dass der Markt wächst."

Einen deutlichen Rückgang gab es bei den Geldautomatensprengungen: Hier gingen die Fallzahlen im vergangenen Jahr von 39 auf 19 Taten zurück. Im laufenden Jahr könnte sich der Trend fortsetzen: Bis Anfang November wurden 6 vollendete und 3 versuchte Automatensprengungen registriert - das sei "erfreulich", sagte Brockmann. 

Sorgen bereitet den Ermittlern die zunehmende Professionalisierung krimineller Dienstleistungen - gewissermaßen "Crime as a Service". Persönliche Verbindungen seien dazu nicht mehr nötig, Leistungen würden angekauft - etwa die Verschleierung von Zahlungswegen. Weitere Kriminalitätsfelder der Organisierten Kriminalität sind unter anderem Wirtschaftsdelikte, Geldwäsche und Menschenhandel.

Entwicklung in der Bekämpfung Organisierter Kriminalität

Das Land Niedersachsen peilt an, sich im Kampf gegen Organisierte Kriminalität im kommenden Jahr personell zu verstärken. Schon 2025 seien per Verlagerung von weniger belasteten Sektoren gut 100 Stellen bei den Staatsanwaltschaften entstanden, sagte Wahlmann. 2026 sollten 34 weitere Stellen bei den Staatsanwaltschaften entstehen, außerdem 6 Richterstellen. 

Eine neue Zentralstelle zur Bekämpfung der Cyberkriminalität solle voraussichtlich ab Juni 2026 die Arbeit aufnehmen, kündigte die SPD-Politikerin an. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr seien dafür 19 neue Stellen vorgesehen.

Reaktionen 

Die Gewerkschaft der Polizei forderte, die abgeschöpften Vermögenswerte den Polizeihaushalten zu überlassen. Landeschef Kevin Komolka sagte: "Wenn die Polizei kriminellen Strukturen Millionen entzieht, muss zumindest ein Teil dieser Mittel auch wieder in die Polizei zurückfließen. Nur so können wir dauerhaft die technischen, personellen und analytischen Voraussetzungen schaffen, um international vernetzte Tätergruppen auch künftig erfolgreich zu bekämpfen."

Der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Christian Calderone, nannte die Zahlen zur Organisierten Kriminalität "alarmierend". Er forderte ein modernes Polizeirecht, das den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ermögliche. Evrim Camuz, rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, nannte es verfrüht, die Auswirkungen der Teil-Legalisierung von Cannabis zu beurteilen. "Ziel war und ist es, den illegalen Markt einzudämmen", sagte sie. Das Gesetz entlaste die Justiz gezielt.

dpa