Spitzenpolitiker aus Niedersachsen drängen zusammen mit den Jüdischen Gemeinden des Bundeslandes auf eine Aufnahme von verletzten und traumatisierten Kindern aus Gaza und fordern die Bundesregierung zu einem Kurswechsel auf. Eine erste Bitte zur Aufnahme hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt noch abgelehnt.
Die Gaza-Absage der Bundesregierung sei zutiefst inhuman
Die Politiker lassen nicht locker und erhalten nun bemerkenswerte Unterstützung. In einem weiteren Schreiben an den Bundesinnenminister, Bundeskanzler Friedrich Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil, das dem stern vorliegt, heißt es: "Die Absage ist für uns enttäuschend und nicht nachvollziehbar, denn sie nimmt vielen verletzten und schwer traumatisierten Kindern aus Nahost die Möglichkeit, professionelle Hilfe in hiesigen Kliniken zu erhalten." Die Verfasser drängen "nachdrücklich" darauf, den Weg für die Aufnahme frei zu machen. Die Absage sei "zutiefst inhuman".
Unterzeichnet haben das Schreiben unter anderem der Hannoveraner Regionspräsident Steffen Krach (SPD) und Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Krach sagte dem stern: "Wenn es der Schweiz, Spanien oder Italien gelingt, Kinder aufzunehmen, dann kann Deutschland das ebenso leisten – wenn der Wille dafür vorhanden ist." Er werde "nicht nachlassen" damit, Druck auf die Bundesregierung auszuüben. "Das ist eine Frage der Menschlichkeit."
Belit Onay betonte gegenüber dem stern: "Ich appelliere an die Bundesregierung, ihre Ablehnung zu überdenken und den Weg frei zu machen, Kindern zu helfen." Die wieder aufkeimenden Kämpfe in Gaza würden die Dringlichkeit verdeutlichen. "Mich stimmt optimistisch, dass wir auch aus der nordrhein-westfälischen Landesregierung Signale zur Aufnahmebereitschaft vernehmen."
Neben Krach und Onay haben den Brief auch unterschrieben der Präsident des Landesverbands Jüdischer Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, der Landesbeauftragte für Antisemitismus, Gerhard Wegner, sowie der Vorsitzende der Palästinensischen Gemeinde in Hannover, Yazid Shammout. Besonders die Unterschrift der Jüdischen Organisationen ist bemerkenswert.
Hannover, Bremen und viele weitere deutsche Städte hatten sich in den vergangenen Monaten zur Aufnahme verletzter und traumatisierter Kinder aus dem Kriegsgebiet bereit erklärt. Im Laufe dieser Woche hatte sich auch das von der CDU regierte Nordrhein-Westfalen angeschlossen und die Bundesregierung zu einem Aufnahmeprogramm aufgefordert. Laut Berichten der Weltgesundheitsorganisation warten Tausende Kinder in Gaza auf eine Evakuierung und medizinische Behandlung.
Das Schreiben bekommt auch angesichts des brüchigen Waffenstillstands in Nahost und der erneuten israelischen Offensive eine neue Dringlichkeit. Netanjahu ordnete im Verlauf der Woche "massive Angriffe" an, nachdem israelische Soldaten angegriffen worden waren.
Die Uno geht davon aus, dass während des Gaza-Kriegs schon bisher rund 21.000 Kinder Behinderungen davongetragen haben. Viele von ihnen blieben ohne ausreichend Essen, sauberes Wasser oder sanitäre Einrichtungen. Die Gesundheitsversorgung im Gazastreifen ist weitgehend zusammengebrochen.