Vor Ort in Israel Dann beginnen die Differenzen. Und die sind nicht zu knapp

Friedrich Merz trifft Benjamin Netanjahu. Der Kanzler betont die Freundschaft zu Israel, setzt aber auch kritische Akzente. Der Premierminister gibt sich unbeeindruckt.
Friedrich Merz und Benjamin Netanjahu stehen nebeneinander hinter Rednerpulten. Netanjahu erhebt den linken Zeigefinger
Ich erkläre euch das mal: Premierminister Benjamin Netanjahu (r.) vertrat seine Positionen beim Besuch von Friedrich Merz (l.) ziemlich selbstbewusst 
© Ariel Schalit / dpa

Ganz am Ende kommt es fast zum Tumult. Die Pressekonferenz in Jerusalem ist eigentlich vorbei, aber einige israelische Journalisten, die keine Frage stellen konnten, rufen Benjamin Netanjahu lautstark hinterher. Es geht um sein Gesuch an den Staatspräsidenten, das gegen ihn laufende Korruptionsverfahren aufzuheben und Netanjahu zu begnadigen. Die Journalisten wollen wissen, ob der Premierminister im Gegenzug für eine Begnadigung zurücktreten werde. Es ist das derzeit dominante innenpolitische Thema in Israel.

Friedrich Merz schaut etwas verlegen aus

Netanjahu bleibt stehen, grinst und sagt zu Friedrich Merz: "Die sind sehr besorgt um meine Zukunft." Doch eine Antwort bleibt er schuldig. Er spricht nur von großen Aufgaben, die zu lösen seien, auch mit Deutschland, und nennt Merz dann eine "towering person", was auf die Körpergröße anspielt, aber auch mit "herausragender Persönlichkeit" übersetzt werden könnte. Der Kanzler blickt in diesem Moment in einer Mischung aus Verlegenheit und Ratlosigkeit auf das Geschehen.

Eine "towering person" wird Netanjahu (l.) Kanzler Merz (r.) später nennen: Hier sind die beiden auf dem Weg zur gemeinsamen Pressekonferenz
Eine "towering person" wird Netanjahu (l.) Kanzler Merz (r.) später nennen: Hier sind die beiden auf dem Weg zur gemeinsamen Pressekonferenz
© Michael Kappeler / DPA

Es ist das passende Schlussbild für eine Pressekonferenz, in der Merz sich ordentlich verkaufte und doch keinen leichten Stand hatte, während Netanjahu sich und seine Positionen selbstbewusst und bisweilen in langen historischen Lektionen verteidigte. Der Kanzler sprach Differenzen deutlich an und blieb dennoch vorsichtig, das besondere deutsch-israelische Verhältnis stets im Bewusstsein. Der Premierminister zeigte sich souverän. Der Kanzler wirkte bisweilen angespannt, Netanjahu würdigte geradezu fröhlich die offenen Gespräche mit Merz – eine Stunde hatten beide unter vier Augen gesprochen – kam ihm öffentlich aber in den Streitpunkten an keiner Stelle entgegen. So war es wohl, was man erwarten konnte: ein verdammt schwieriger Besuch.

Merz' grundsätzliche Position ist eindeutig: Er steht in der Tradition aller CDU-Kanzler und fest an der Seite Israels. Am Morgen hatte Merz die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht. Ins Gästebuch schrieb er: "Wir werden die Erinnerung lebendig halten an das furchtbare Verbrechen der Shoa, das Deutsche am jüdischen Volk begangen haben." Deutschland müsse für die Existenz und Sicherheit Israels einstehen. "Das gehört zum unveränderlichen Wesenskern unserer Beziehungen, und zwar für immer", so Merz, der den mit Angela Merkels Israel-Politik verbundenen Begriff der Staatsräson nicht verwendet.

Nach dem Waffenembargo herrschte Funkstille

Doch bei aller Freundschaft: Merz' Haltung zur israelischen Kriegführung in Gaza hat sich so kurvig entwickelt wie die Straße von Tel Aviv nach Jerusalem auf dem letzten Streckenabschnitt. Bei einem Besuch noch zu Zeiten als Oppositionsführer stellte sich Merz trotz bereits massiv anschwellender Kritik hinter Netanjahu und verteidigte das Vorgehen der Armee in Gaza trotz vieler ziviler Opfer. Unmittelbar nach der Bundestagswahl verkündete Merz sogar, er werde Netanjahu zu einem Besuch in Deutschland einladen – trotz des vom Internationalen Strafgerichtshof ausgestellten Haftbefehls gegen den Premierminister.

Im Mai 2025 klang das dann schon deutlich anders. Inzwischen Kanzler, zeigte sich Merz irritiert: "Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht: Ich verstehe, offen gestanden, nicht mehr, mit welchem Ziel." Das Leid der Zivilbevölkerung lasse sich "nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen". Im August ging Merz dann sogar so weit, die Lieferung von Waffen nach Israel auszusetzen, die im Gaza-Krieg eingesetzt werden könnten. Es folgte ein heftiges Telefonat mit Netanjahu und anschließend Funkstille. Auch die Empörung in Merz' eigenen Reihen war groß.

Inzwischen hat die Bundesregierung wegen des Friedensprozesses die Entscheidung wieder zurückgenommen. Seither telefonieren Merz und Netanjahu auch wieder miteinander. Das macht es für beide Regierungschefs auch an diesem Tag von Merz' Antrittsbesuch in Jerusalem leichter, zunächst die Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Netanjahu spricht mit erkennbarer Zufriedenheit darüber, dass nicht nur Deutschland für Israels Sicherheit einstehe, sondern 80 Jahre nach dem Holocaust auch Israel für die deutsche Sicherheit. Der Premier spielt damit auf die Lieferung von Arrow 3-Raketensystemen an, mit denen Deutschland seine Luftabwehr verstärkt. Erst vor wenigen Tagen wurde die erste Einheit in Brandenburg installiert. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Bei der Zwei-Staaten-Lösung prallen die Positionen aufeinander

Merz und Netanjahu setzen sich zudem gemeinsam dafür ein, dass nach der vollständigen Freilassung der noch lebenden Geiseln und der Überführung fast aller Toten aus den Händen der Hamas nun die zweite Phase des von US-Präsident Donald Trump initiierten Friedensplanes beginnen soll. Dabei geht es vor allem um die Entwaffnung der Terroristen. Allerdings ist noch unklar, wie die vonstattengehen soll. Demnächst wird Netanjahu darüber in Washington mit Donald Trump sprechen.

Was aber kommt danach? Da beginnen die Differenzen. Und das nicht zu knapp.

Der Kanzler setzt sich, in der Kontinuität seiner Vorgänger, für eine Zwei-Staaten-Lösung ein, plädiert sogar überraschend offensiv für eine Einbindung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Vor seiner Abreise hatte Merz noch mit deren Präsident Mahmud Abbas telefoniert. Und auf dem Weg nach Israel hatte er in Akaba den jordanischen König Abdullah getroffen, in dessen Land viele palästinensische Flüchtlinge leben, weshalb er durchaus Interesse an einem Staat für die Palästinenser hat. 

Netanjahu hält sich alles offen

Doch bei Netanjahu beißt der Kanzler mit diesem Ansinnen auf Granit. Die Palästinenser hätten bereits einen Staat gehabt, sagt der Premierminister und meint den Autonomiestatus. Sie hätten ihn aber für den Versuch genutzt, Israel zu zerstören, zuletzt am 7. Oktober 2023. An dieser Stelle klingt Netanjahu absolut unversöhnlich. Stattdessen solle es eine weiter gefasste Friedenslösung mit anderen arabischen Staaten geben, sagt der Premier, ohne ins Detail zu gehen.

Merz fordert, Israel solle zumindest im Westjordanland alles unterlassen, was einer Annexion gleichkomme, sei es politisch oder durch den Siedlungsbau. Auch das weist Netanjahu zurück. Israel komme die Aufgabe zu, für Sicherheit zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan zu sorgen. Das sei bereits jetzt der Status Quo, und dem komme man nach. Mit einer Annexion habe das nichts zu tun. Sie bleibe aber Gegenstand von Diskussionen. Da hält sich einer alles offen.

Ein fester Händedruck

Und dann ist da noch die Frage einer Einladung Netanjahus nach Deutschland. Merz druckst ein wenig herum, sagt dann sinngemäß: jetzt nicht, aber vielleicht irgendwann. "Wenn es die Zeit erlaubt, würde ich gegebenenfalls eine solche Einladung aussprechen." 

Netanjahu zeigt sich von solch diplomatischen Formeln unbeeindruckt. Er würde sich sehr freuen, mal wieder nach Deutschland zu kommen, sagt der Premierminister süffisant und ohne Rücksicht auf Merz' Zwänge. Dann holt der Premier aus zu einer langen Suada gegen den zuständigen Ermittler am Internationalen Strafgerichtshof, spricht von Vorwürfen sexueller Belästigung, die dazu geführt hätten, dass der Ermittler einen Besuch in Israel plötzlich abgesagt habe, und bindet die Charakterisierung seines Verfolgers schließlich ab mit der Bezeichnung "korrupt". Noch ein schwieriger Moment für den Kanzler eines Landes, das sich dem Gericht verpflichtet sieht.

Friedrich Merz und Benjamin Netanjahu reichen sich die Hand
Gut eine halbe Stunde dauert der gemeinsame Auftritt von Friedrich Merz (l.) und Benjamin Netanjahu (r.)
© Michael Kappeler / DPA

Nach einer guten halben Stunde ist der gemeinsame Auftritt vorbei. Ein fester Händedruck. Netanjahu sagt noch, er freue sich auf weitere Gespräche mit Merz. Vom Kanzler kann man das in diesem Moment noch nicht wirklich wissen.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos