Kevin Kühnert ist zurück. Und als Erstes fällt eine Gemeinsamkeit mit – ups! – Christian Lindner auf. Der ehemalige SPD-Generalsekretär und der einstige FDP-Chef waren lange abgetaucht und rücken nun über ihre neuen Jobs allmählich wieder in die Öffentlichkeit. Beide haben zudem nicht den einen bedeutenden Posten übernommen, sondern mehrere Aufgaben, die nach und nach bekannt wurden. Das verbindet sie. Was die Jobs selbst angeht, enden allerdings die Gemeinsamkeiten.
Was Kevin Kühnert und Christian Lindner unterscheidet
Lindner arbeitet künftig in verschiedenen Funktionen für verschiedene Firmen. Kühnert schreibt Kolumnen für den "Rolling Stone", moderiert eine Talkshow im Theater und arbeitet für den Verein Finanzwende, der sich als Gegenspieler der Bankenlobby versteht. Und es gibt noch einen Unterschied: Kühnert würde man sich unbedingt in der Politik zurückwünschen.
Kevin Kühnert hat nicht nur sein Parteiamt, sondern auch das Bundestagsmandat aufgegeben. Trotzdem hört man ihn gerne über Politik reden. Das hängt gleichermaßen mit der Erinnerung an seine Begabung zusammen, wie mit den Umständen seines Rücktritts. Früher war es seine Verve, heute ist es seine Nachdenklichkeit, die eine unbestreitbare Faszination ausübt.
Mittlerweile hat er mehrere Interviews gegeben, zuletzt bei Markus Lanz, und sich erklärt. Der junge Sozialdemokrat vermochte den politischen Betrieb aufzuschäumen, ging am Ende aber auch in der eigenen Welle unter, weil er den Erwartungen nicht gerecht werden konnte. Er verfügt über die seltene Fähigkeit zur Selbstreflexion. Auch die würde man im politischen Betrieb gerne häufiger erleben.
Die SPD kann auf Kühnert nicht verzichten
Was bringt die Zukunft? Kann es sich eine siechende Partei wie die SPD leisten, für immer auf ihn zu verzichten? Nein. Kann einer wie Kühnert der klassischen Politik tatsächlich für immer entsagen? Hoffentlich nicht.
Es gibt noch einen interessanten Unterschied zwischen Lindner und Kühnert. Nicht etwa, dass Lindner mit seinen diversen Jobs vermutlich deutlich mehr verdient als Kühnert und sich beider Blick auf Wirtschaft und Finanzmärkte stark unterscheiden dürfte. Viel interessanter ist, dass Kühnert und Lindner zu ihrem früheren Gewerbe eine unterschiedliche Distanz halten.
Lindner, 46, hat mit der Politik abgeschlossen. Er ist jetzt ein Mann der Wirtschaft. Kühnert, 36, war in der Partei aufgestiegen, Juso-Chef, stellvertretender Bundesvorsitzender, zuletzt Generalsekretär. Je wichtiger er wurde, desto mehr litt er offenbar. Er habe sich "eingeengt gefühlt in Sachzwängen und ungeschriebenen Gesetzen". Er habe den Eindruck gehabt, bei den Themen, die ihn antrieben, im Politikbetrieb nicht mehr an der richtigen Stelle gewesen zu sein, "um einen Unterschied zu machen".
Trotzdem hat Kühnert sein künftiges Berufsleben kreisförmig um den Politikbetrieb gebaut. In seiner ersten Kolumne schrieb er über Markus Söder, in seiner ersten Theater-Talkshow trifft er den politischen Soziologen Harald Welzer, im Verein Finanzwende will Kühnert sich nach eigenen Worten dem "Mammutprojekt" eines fairen Finanzmarktes widmen. "Extreme Ungleichheit fällt nicht vom Himmel", so Kühnert. "Sie ist menschengemacht und kann deshalb auch wieder zurückgedrängt werden."
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Da ist einer nicht mehr mittendrin, aber doch dabei. Die interessante Frage wird sein, ob die Sogwirkung des politischen Kessels, an dessen Rändern Kühnert künftig herumtänzelt, so groß sein wird, dass sie ihn wieder hineinzieht. Womöglich hat sie ihn sogar schon erfasst.
In seinem ersten Text für den "Rolling Stone" beschreibt der ehemalige Generalsekretär durchaus anerkennend, wie Markus Söder mit seinen Auftritten in den sozialen Medien versucht, eine neue Antwort darauf zu geben, dass sich immer mehr Menschen von der herkömmlichen Politik entfernen. Die Individualisierung von Politik, das Bemühen, und sei es mit Bratwürsten, eine direkte Beziehung zur Lebenswelt der Bürger herzustellen, respektiert Kühnert. Ob er wirklich nicht gemerkt hat, dass er damit zugleich die Frage aufwirft, wer in der SPD zu so einer persönlichen Ansprache in der Lage wäre?
Die SPD kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein
Allein mit seiner Rückkehr in die Öffentlichkeit hat der Ex-Generalsekretär schon so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass eine Partei perspektivisch nicht auf dieses Potenzial verzichten kann, auch weil an ihrer Spitze rhetorisches Talent ohnehin rar gesät ist. Nach allem, was man in den vergangenen Jahren mit dem Personal der Sozialdemokratie erlebt, beziehungsweise nicht erlebt hat, gibt es auf die Frage nach dem größten politischen Talent noch immer nur eine Antwort: Kevin Kühnert.
Ja nun, werden manche auch in der SPD sagen. Er hat aber auch Fehler gemacht, war als Organisator der Partei überfordert, hat schlechte Wahlkampagnen zu verantworten. Stimmt – aber die Bilanz nach dem Abgang Kühnerts ist auch nicht wirklich werbewirksam.
Man kann der Partei nur wünschen, dass Kühnert sich irgendwann einen Ruck gibt und es noch eine letzte Parallele zwischen ihm und Christian Lindner geben wird: Auch der FDP-Mann ist einmal nach einem Rücktritt erfolgreich zurückgekommen.