Die Amtseinführung eines Landrats ist sicher ein feierlicher Moment - aber selten emotional sehr stark aufgeladen. Im Fall von Philipp Raulfs aus Gifhorn ist das anders. Mit 34 Jahren ist nicht nur sein Alter bemerkenswert für die Position, auch sein Weg ins Amt ist eine besondere Geschichte.
"Ich glaube, dass mein Alter kein Nachteil ist", sagt Raulfs am Tag des Amtsantritts. Im Landtag habe ihm keiner etwas geschenkt, weil er junger Abgeordneter gewesen sei. "Diesen Anspruch habe ich als Landrat auch", kündigt der 34-Jährige an. Vielleicht könne er sich sogar etwas schneller und besser etwa auf Schüler einstellen, die diskutieren wollen. "Ich halte nichts davon, abgehoben im Politiker-Sprech mit jungen Menschen zu reden".
Neuer Schlossherr von Gifhorn
Am Abend bei der feierlichen Zeremonie im voll besetzten Rittersaal des Gifhorner Schlosses verzichtet der jüngste Landrat des Landes demonstrativ auf eine Krawatte. Diese Frage sei in seinem Umfeld sehr heiß diskutiert worden. Ein Redner bezeichnet ihn später als neuen "Schlossherren von Gifhorn", es gibt einen symbolischen Schlüssel. Viele wünschen ihm an diesem Abend einfach nur gutes Gelingen für die künftige Arbeit in schwierigen Zeiten.
Dabei waren schon die Monate vor der Amtsübernahme keine leichte Zeit. Die Neuwahl in Gifhorn war nach dem plötzlichen Tod des bisherigen Landrats Tobias Heilmann nötig geworden. Der erst 49-jährige SPD-Politiker war Ende Mai völlig überraschend gestorben. "Wir stehen unter Schock", hieß es damals aus der Verwaltung. Die Stimmung in Gifhorn ist bis heute gedämpft: "Diese Wahl hat eigentlich noch keiner gewollt", heißt es oft.
Verlust bewegt Region tief
Bei der notwendigen Suche nach einem Nachfolger entschloss sich Raulfs zu kandidieren. Im Oktober setzte sich der bisherige Landtagsabgeordnete gegen drei Mitbewerber durch und wurde mit 53,6 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang gewählt. Für die kommenden acht Jahre soll er nun an der Spitze der Kreisverwaltung stehen. Der Verlust habe tief bewegt, mit etwas Abstand freue er sich jetzt auf die Aufgabe, sagt der SPD-Politiker bei der offiziellen Amtsübernahme.
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Dabei hätte es für den bisherigen haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion wohl auch Optionen auf landespolitischer Bühne gegeben. Raulfs saß schon seit 2017 als Abgeordneter im Parlament in Hannover. "Mit seiner Entscheidung, den Landtag zu verlassen, hat er sich in den Dienst der Region gestellt", sagt Hubertus Heil (SPD) der Deutschen Presse-Agentur.
Wegbegleiter Heil: "Er ist ein Glücksfall für den Landkreis"
Der frühere Bundesarbeitsminister vertritt im Bundestag den Wahlkreis Gifhorn-Peine und ist langjähriger Wegbegleiter Raulfs'. "Er ist ein Glücksfall für den Landkreis", sagt Heil mit Verweis auf die Erfahrungen und Kompetenzen des 34-Jährigen. Es sei auch das Verdienst Raulfs', dass es der SPD gelungen sei, sich in der Region neu aufzustellen. Nach Heils Einschätzung profitieren die Sozialdemokraten davon nun in einer früheren CDU-Hochburg.
Raulfs selbst weiß auch, dass in der vielerorts kriselnden SPD bei Wahlsiegen genau geschaut wird, wie der Erfolg für die Partei gelang. Damit steht der Gifhorner künftig nicht nur im Fokus des Landkreises, sondern sicher weiter auch als junges Talent der niedersächsischen SPD insgesamt.
Auch Politiker haben Belastungsgrenzen und schlechte Tage
Sein Landtagsmandat gab Raulfs jüngst ab und nutzte schon diese Gelegenheit für eine Botschaft: Er erinnerte in seiner Rede daran, dass auch im Landtag "eigentlich nur Menschen sitzen, die auch eine Belastungsgrenze haben, die auch mal einen schlechten Tag haben". Er selbst habe sich vorgenommen, künftig mehr darauf zu achten – "und ich würde mir wünschen, dass sie und ihr das auch fraktionsübergreifend in der Zukunft an vielen Stellen tut".
Raulfs' Reden klingen bereits nach viel Erfahrung. Er zeigt sich beeindruckt vom Zusammenhalt im Team der Kreisverwaltung in einer herausfordernden Zeit. In seinen ersten 100 Tagen im Amt gehe es erst einmal um Ankommen, Zuhören und Kennenlernen. Er will aber schnell auch gestalten. In einem der flächengrößten Landkreise Niedersachsens mit mehr als 175.000 Einwohnern setzt Raulfs Schwerpunkte auf die Bereiche Wirtschaft, Bildung sowie Zivil- und Katastrophenschutz.
Regenbogenflagge am Schloss
Zwischen Spatenstichen und Förderkonzepten kündigt Raulfs an, Haltung zeigen zu wollen. Schon am ersten Tag im Amt hält er ein solches Zeichen für nötig, nachdem am Wochenende Unbekannte ein rechtsextremes Symbol und hasserfüllte Botschaften am queeren Jugendzentrum angebracht hatten. "Es ist unerträglich, dass ein so abscheuliches Symbol der Hetze an einen Ort geschmiert wird, der für Akzeptanz und Gemeinschaft steht", sagt Raulfs und lässt am Schloss die Regenbogenflagge hissen.