Wer in Niedersachsen Hilfe wegen Glücksspielsucht benötigt, kann seit Kurzem landesweit ein kostenloses, digitales Beratungsangebot nutzen. Auf der Online-Plattform DigiSucht erhalten Hilfesuchende professionelle Hilfe von geschulten Fachkräften, per Chat, Mail oder Videoberatung, wie die Landesstelle für Suchtfragen in Hannover anlässlich des bundesweiten Aktionstages Glücksspielsucht an diesem Mittwoch mitteilte. Das Angebot könne anonym und ohne lange Wartezeiten genutzt werden.
Mit dem neuen Online-Angebot will die Landesstelle für Suchtfragen die Beratung ins Internet bringen – also dorthin, wo auch mehr Glücksspiele angeboten werden. So sollen Betroffene in ihrer digitalen Lebenswelt angesprochen werden. "Der Online-Glücksspielmarkt wächst seit Jahren rasant. Immer mehr Menschen nutzen digitale Angebote und geraten dabei auch in riskantes oder abhängiges Spielverhalten", teilt die Landesstelle mit.
Suchtbeauftragte der Regierung: Mehr als 1,3 Millionen Süchtige
Der Bundessuchtbeauftragte Hendrik Streeck, der Schirmherr der Aktion ist, sprach von einer der häufigsten Abhängigkeitserkrankungen in Deutschland: Mehr als 1,3 Millionen Menschen seien glücksspielsüchtig, weitere Millionen spielten in riskanter Weise. Besonders dramatisch: Das Suizidrisiko bei Glücksspielsucht sei höher als bei jeder anderen Suchtkrankheit, sagte der CDU-Politiker. Hunderttausende Kinder wachsen Streeck zufolge mit einem spielsüchtigen Elternteil aufwachsen.
Der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung forderte konsequenten Jugend- und Spielerschutz, wirksame Prävention - und ein entschlossenes Vorgehen gegen die um sich greifenden illegalen Angebote. "Hier können Spielende ohne jede Barriere in kürzester Zeit ihr Hab und Gut verspielen." Die Suchtrisiken seien immens. "Außerdem ist das Ganze immer wieder eng mit organisierter Kriminalität, Steuerhinterziehung und Geldwäsche verknüpft."
Psychologe der Uni Bremen: Umsätze auf Glücksspielmarkt wachsen
Bundesweit gelten nach den aktuellsten Daten (2023) fast 1,4 Millionen Menschen zwischen 18 und 70 Jahren als glücksspielsüchtig und weitere 3,5 Millionen Betroffenen zeigen ein riskantes Verhalten, wie Psychologe Tobias Hayer von der Uni Bremen berichtet.
Der Markt wachse. Die Umsätze auf dem legalen Glücksspielmarkt lagen zuletzt mit 63,5 Milliarden Euro auf einem Rekordhoch - daraus resultierten staatliche Steuereinnahmen von 6,6 Milliarden Euro. Die Summe sei mehr als doppelt so hoch wie die Erträge aus alkoholbezogenen Steuern, sagt der Glücksspielforscher.

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Experte: Vor allem Online-Glücksspiele sind hochriskant
"Glücksspielsucht kann jeden treffen", stellt Hayer klar. Männer sind häufiger spielsüchtig als Frauen. Als stärker gefährdet gelten Jugendliche und junge Erwachsene, Personen mit niedrigem Einkommen, geringer Bildung, Menschen mit Migrationserfahrung. Und: Kinder aus spielsüchtigen Familien haben ein drei- bis fünffach erhöhtes Risiko, selbst später einmal exzessiv zu "zocken". Das Problem sei unterschätzt, es brauche breite Aufklärung, mehr Mittel für Forschung, Prävention und das Versorgungssystem.
"Glücksspiele haben unterschiedlich hohes Suchtpotenzial", unterstreicht der Psychologe. Große Gefahr bestehe, wenn ein Angebot stark verfügbar und zugleich die Spielgeschwindigkeit hoch ist. Vor allem Online-Glücksspiele seien hochriskant: Denn Zocken via Handy ist jederzeit und von überall aus ständig möglich, der Zahlungsverkehr bargeldlos, Hemmschwellen sinken, das anonyme Spielen verläuft ohne jegliche soziale Kontrolle.
Online-Angebot ergänzte Beratung vor Ort
Das neue, digitale Beratungsangebot steht auch deshalb unter dem Motto "Jedes Gespräch ein echter Gewinn". Denn in der Glücksspielberatung zähle jeder Kontakt, sagen Martina Kuhnt und Lea Gehrlein von der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen in einer Mitteilung. "Mit DigiSucht haben Betroffene nun eine weitere Möglichkeit, Hilfe zu finden – neben der persönlichen Beratung vor Ort auch anonym und digital." So sollen auch Menschen erreicht werden, die etwa Hemmungen haben, eine Beratungsstelle aufzusuchen, oder die etwa wegen Entfernung und Arbeitszeiten bislang keinen Zugang dazu hatten.
Vor Ort gibt es in Niedersachsen insgesamt 26 Suchtberatungsstellen, an denen Fachkräfte für Prävention und Beratung bei Glücksspielsucht ansprechbar sind.