Der Beratungsbedarf für Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, nimmt in der Corona-Pandemie stark zu. Das merken auch Urte Paulsmeier und ihre Kolleginnen der Beratungsstelle "Dolle Deerns e.V." in Hamburg. Im stern-Format "Unser neues Normal" spricht sie über die Gründe und ihren veränderten Alltag mit dem Virus.
Unser neues Normal
Dramatische Folgen der Krise Beraterin über sexuelle Gewalt in der Pandemie: "Corona wird von Tätern ausgenutzt"

Wir hatten noch niemals so viele Anfragen. Also wenn ich so merke, wie die Corona Bedingungen von Tätern ausgenutzt werden, von Menschen, die sexuell übergriffig sein möchten. Das macht mich manchmal verzweifelt.
Mein Name ist Urte Paulsmeier. Ich bin Sozialpädagogin und arbeite seit über 20 Jahren in der Fach Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und jungen Frauen vom Verein Dolle Deerns.
Die Mädchen und jungen Frauen, die hier in die Beratungsstelle kommen und zu denen wir Kontakt haben, haben sexualisierte Gewalt erlebt. Sexualisierte Gewalt auf unterschiedlichste Weise auch akut oder auch in der Vergangenheit, in der Kindheit und Jugend. Und zuständig sind wir für Mädchen und junge Frauen zwischen 13 und 27, aber wir haben auch immer wieder Anfragen von älteren Frauen beraten, auch Bezugspersonen jeglicher Art, und wir beraten auch Fachkräfte.
Corona ist jetzt ein gutes Jahr, ja Bestandteil unseres Lebens. So kann man sagen, finde ich. Also wir sind von Anfang an auch als systemrelevant eingestuft worden und die Art der Beratung hat sich natürlich verändert. Wir beraten nicht mehr nur in Präsenz, sondern machen auch Beratung auf digitale Weise. Und wir machen auch viele Beratungen am Telefon, die sonst persönlich stattgefunden haben. Manche Beraterinnen gehen auch mit den Klientinnen ins Niendorfer Gehege nach draußen um eben den Aufenthalt in den Räumen zu minimieren.
Wir haben für das Jahr 2020, wo ja Corona auch schon durchaus ein Thema war, in unserer Statistik, die wir immer der Behörde abgeben und auch für uns machen, um unsere Arbeit zu reflektieren, festgestellt, wir hatten noch niemals so viele Anfragen. Also die Anfragen sind deutlich gestiegen. Wir haben wirklich das erste Mal würde ich fast sagen, dass wir manchmal welche abweisen müssen und sagen, wir haben einfach keine einzige Beratungszeit mehr, keine Kapazitäten mehr. Was natürlich dramatisch ist und das hat unseres Erachtens unterschiedliche Gründe. Also eins ist zum Beispiel, dass Fachkräfte Erwachsene, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, sensibilisiert sind. Tatsächlich zum einen durch die ja auch öffentlich größer werdende Enttabuisierung des Themas. Also, das Thema ist mehr in den Medien. Also zum einen, wie es Kindern und Jugendlichen geht und auch, dass die Gewalt in Familien in Corona-Zeiten höchstwahrscheinlich und ja auch nachweislich inzwischen steigt. Und sexualisierte Gewalt ist eben auch eine Form von Gewalt, die in erster Linie in Familien und im nahen sozialen Umfeld stattfindet. In der Regel oder in den meisten Fällen mit vertrauten Menschen oder eben auch junge Frauen. Insbesondere die sexualisierte Gewalt irgendwann erlebt haben und jetzt merken, ihnen fällt das vor die Füße, weil auch die die Möglichkeit, sich abzulenken, zu kompensieren, sich ja irgendwie weg zu packen und doch wieder lieber lustig dagegen zu sein und feiern zu gehen. Also das fällt ja z.B. weg. Hier in der Beratungsstelle haben wir auch Fälle gehabt und Anfragen gehabt, z.B. von einer jungen Frau, die sexuelle Übergriffe durch einen Physiotherapeuten erlebt hat, der behauptet hat, er könne jetzt nur noch Hausbesuche machen. Und da sind dann sexuelle Übergriffe passiert und der ist quasi diese Situation missbraucht hat und seine Macht missbraucht hat dafür. Oder auch Jugendliche, die jetzt auch gerade vermehrt sich an uns wenden. Mädchen, die zum Teil sich dann mit irgendwelchen Jungs heimlich getroffen haben, was unter Corona-Bedingungen nicht erlaubt war. Und da sind dann Übergriffe passiert und die dürfen sie aber überhaupt nicht erzählen, weil das eben noch ein Tabu obendrauf ist, weil es eben den Corona-Bestimmungen entsprechend nicht in Ordnung war. Und das können sie dann überhaupt niemandem mehr erzählen. Und das ist etwas, wenn ich so merke, wie die Corona Bedingungen von Tätern ausgenutzt werden, von Menschen, die sexuell übergriffig sein möchten oder auch wenn ich daran denke, was digital im Internet stattfindet. Das ist ja auch allseits. Also das ist ja bekannt, dass es einfach Pädo-Kriminalität im Internet gibt und auch wirklich viel gibt und viel mehr als wir ahnen. Da denke ich auch, das ist ein großes, großes Dunkelfeld. Das ist auch sehr tabuisiert. Und auch das hat in Corona-Zeiten ja total zugenommen und das macht mich manchmal verzweifelt, wenn ich mich reinbegebe. Da muss ich auch gucken, dass ich nicht daran verzweifele.
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