Mitten im Hamburger Stadtteil Harburg liegt "fairKauf". "Mehr als ein Kaufhaus" steht über dem Eingang geschrieben, und das ist der Laden für viele Harburger. Rund 300 Kundinnen und Kunden versorgt das Sozialkaufhaus am Tag. Bald wird es wohl heißen: versorgte. Denn das Kaufhaus könnte den Haushaltsplänen für 2024 von Bundesfinanzminister Christian Lindner zum Opfer fallen.
Im Hamburger Sozialkaufhaus werden Möbel recycelt und für wenig Geld verkauft. Es werden Textilien geflickt und täglich wird Essen serviert. Einkaufen darf, wer beispielsweise Bürgergeld, Bafög, Rente oder Wohngeld bezieht. Die Einkäufe werden wenn nötig geliefert, viele Kundinnen und Kunden haben kein Auto.
Doch das Kaufhaus wird sich im kommenden Jahr nicht mehr finanzieren können. Der Bund teilt den Jobcentern Geld zu. Wenn der Entwurf des Finanzministers so beschlossen wird, muss das Hamburger Jobcenter im kommenden Jahr 25 Millionen Euro einsparen. Das Jobcenter wird deshalb an allen Ecken sparen müssen, sagt eine Sprecherin dem stern – auch an sozialen Projekten und Arbeitsgelegenheiten wie "fairKauf", die vom Jobcenter wesentlich unterstützt werden.
Sozialkaufhaus in Hamburg-Harburg bietet auch Arbeitsplätze
Gerade in Zeiten von großer Unsicherheit, hoher Inflation und mehr Zuwanderung treffen die geplanten Kürzungen sozial benachteiligte und hilfesuchende Menschen schwer. Damit breche für viele Menschen ein wesentlicher Teil der sozialen Infrastruktur weg, sagt Agnieszka Biskup vom Sozialträger In Via Hamburg dem stern: "Und das passiert in Zeiten, in denen das Geld in immer mehr Haushalten knapp wird. Im Harburger Kaufhaus besuchen uns täglich bis zu 300 Kund:innen. Wo sollen diese Menschen zukünftig einkaufen?"
Zudem beschäftigt das Kaufhaus rund 60 Mitarbeitende, die vom Jobcenter bezahlt werden. Ehrenamtliche, Geflüchtete, oder Arbeitslose beispielsweise, die sich mit zwei Euro pro Stunde das Bürgergeld aufstocken. Auf diese Weise verbessern sie ihre Sprachkenntnisse und erwerben Fähigkeiten, die sie weiter für den Arbeitsmarkt qualifizieren. Für diese Menschen fiele der Arbeitsplatz weg.
Das Sozialkaufhaus bietet ein niedrigschwelliges Angebot für sozial Benachteiligte. Und das in einem Stadtteil, in dem laut dem Statistischen Amt Nord der Anteil der Arbeitssuchenden deutlich höher liegt (8,1 Prozent), als im Hamburger Durchschnitt (5,5 Prozent).

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Die "fairKauf"-Kundschaft reagiert deshalb mit Unverständnis, sagt Biskup dem stern: "Sie kann diese Entscheidungen gar nicht nachvollziehen, weil die Wirkung der Sparmaßnahmen hier gerade die Menschen treffen, die es jetzt schon am schwersten haben." Stammkunden und Betroffene sammeln Unterschriften, in dem Versuch, das Sozialkaufhaus doch zu erhalten.
Neben den Arbeitsmöglichkeiten und günstigen Einkäufen hat das Kaufhaus nach Ansicht von Biskup auch eine Vorbildfunktion. Gegenstände, die sonst auf dem Müll landen, werden dort aufgearbeitet und weiterverwendet. Schülerinnen und Schüler können dort Praktika absolvieren und soziale Berufe für sich entdecken.
Das zugehörige Café Fair bietet auch einen sozialen Treffpunkt, dort werden günstige Mahlzeiten serviert. "Das Harburger Sozialkaufhaus ist mehr als ein Shop. Es ist eine Institution, in der sich Harburger Bürger:innen treffen, austauschen und vernetzen", sagt Biskup. "Zu uns kommen viele sozial benachteiligte Familien, Rentner:innen und Zugewanderte, die oft nicht wissen, wie sie sonst über die Runden kommen."
Sparpläne des Finanzministeriums betreffen nicht nur Hamburg
Das Sozialkaufhaus in Hamburg-Harburg ist bei weitem nicht die einzige Einrichtung, die von den Sparplänen von Finanzminister Christian Lindner betroffen wäre. Bundesweit drohen massive Kürzungen im sozialen Bereich. Allein in Hamburg sind 34 Projekte gefährdet. Auch der Wohlfahrtsverband Caritas Deutschland kritisierte deshalb den Haushaltsentwurf, als dieser im August öffentlich wurde.
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa sagte in einer Stellungnahme: "Die Regierung nimmt Ankündigungen und Zusagen vor allem dort zurück, wo es Menschen betrifft, denen in ihrem Leben bereits viel zu viel Unsicherheit zugemutet wurde." Diese Kürzungen könnten auch nicht ausgeglichen werden, heißt es vom Caritas-Finanzvorstand Steffen Feldmann: "Wohlfahrtsverbände, die nicht gewinnorientiert agieren dürfen, planen naturgemäß in Richtung einer schwarzen Null. Da bleibt kein Spielraum."
Noch laufen die Beratungen in den Ausschüssen des Bundestags, Klarheit wird es wohl erst im November oder Dezember geben. Das Jobcenter in Hamburg bemüht sich derweil, die Kürzungen mit individuellen Beratungen für Langzeitarbslose auszugleichen. Niemand solle alleingelassen werden, sagt eine Sprecherin dem stern: "Dafür stehen wir auch dann, wenn die geplanten Kürzungen des Bundes tatsächlich realisiert werden sollten." Sollte der Haushalt so beschlossen werden, muss allerdings auch das Jobcenter bei seiner eigenen Verwaltung kürzen – und damit auch bei den Beratungsangeboten.