stern-Report Wenn Mütter töten

Sie haben Angst, sind isoliert und einsam und verdrängen ihre Schwangerschaften bis zum Schluss: Frauen, die ihre neugeborenen Babys umbringen oder aussetzen. Für seinen neuen stern-Report "Weggeworfen" hat Manfred Karremann mit Ermittlern und Medizinern geredet - und verurteilte Mütter im Gefängnis befragt.

"Totes Baby in Müll-Sortieranlage - 17-Jährige festgenommen", "Grausiger Fund: Mutter legt Neugeborenes in Gefrierschrank" oder "Totes Baby in Brandenburg entdeckt - Leiche war vergraben". Nur drei Schlagzeilen aus den vergangenen Monaten. Immer wieder schockieren solche Meldungen die Öffentlichkeit. 22 bis 23 Säuglinge werden Jahr für Jahr von ihren Müttern kurz nach der Geburt getötet, 10 bis 15 ausgesetzte Babys noch lebend gefunden.

Heimliche Geburten und der Tod von Babys

"Es ist immer ein Zufall", sagt Heinz Sprenger, "wenn ein kleines Ärmchen oder ein Fuß irgendwo in einer Tüte oder im Müll bemerkt wird." Praktiker wie Sprenger, Leiter der Duisburger Mordkommission, gehen nämlich davon aus, "dass die Babys, die in den Akten der Mordkommissionen registriert sind, nur ein paar von Hunderten pro Jahr sind, die niemals entdeckt werden".

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...erfahren Sie im neuen stern. Und am 30. Juli um 00.00 Uhr wiederholt das ZDF Manfred Karremanns 3sat-Dokumentation "Wir sind doch Kinder. Misshandelt, ausgesetzt, getötet – weil sie störten".

Was bringt Frauen dazu, ihre Schwangerschaften zu verheimlichen oder zu verdrängen und die Neugeborenen umzubringen oder auszusetzen? Vor allem dieser Frage ist stern-Mitarbeiter Manfred Karremann für seinen Report "Weggeworfen" nachgegangen.

Er hat mit Müttern, die ihre Kinder nach der heimlichen Geburt getötet haben und dafür zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, stundenlange Gespräche geführt, hat über die Befindlichkeiten dieser Frauen während ihrer Schwangerschaften geredet, über die heimlichen Geburten und den Tod ihrer Babys.

"Ich habe im Prinzip immer darauf gewartet, dass ich unter Druck gesetzt werde", sagte eine, "dass ich zugeben muss, tatsächlich schwanger zu sein." Schon ihr erstes Kind hatte sie heimlich in einer Klinik zu Welt gebracht, und als sie mit dem zweiten schwanger war, erfuhr es ihr Lebensgefährte erst kurz vor der Geburt. Daraufhin hatte er ihr gedroht, "falls ich noch einmal schwanger werde sollte und ihm das verschwiege, dann trennt sich die Familie, trennen sich die Wege." Sie brachte ihr Kind schließlich auf der Toilette zur Welt und erstickte es - während ihre kleinen Söhne schliefen und ihr Partner vor dem Computer hockte. Das tote Baby versteckte sie in der Tiefkühltruhe im Keller, wo es der Vater erst Monate später entdeckte.

Hilfe für Mütter in Not

Unter der bundesweiten Notrufnummer.0800/456.07 89 ist das Projekt Findelbaby des Hamburger Vereins SterniPark e. V. zu erreichen. Das Angebot des Vereins mit weiteren Links finden Sie unter SterniPark

Das bayerische Moses-Projekt von Donum Vitae e. V., einem Verein katholischer Bürgerinnen und Bürger, arrangiert ebenfalls anonyme Geburten für Mütter in Not - bayernweit unter der Notrufnummer.0800/006 67 37. Weitere Infos unter Moses-Projekt

Die Adressen der deutschen Babyklappen und Infos über Funktionsweise und Konstruktion unter Babyklappe.info

Adressen von Beratungsstellen, Initiativen und Mutter-Kind-Einrichtungen: Lebensrecht

Ausgezeichnete private Selbsthilfe-Site von ehemaligen und betroffenen Müttern in Not: Mamis in Not

Motiv: Panische Angst

Eine andere Mutter, die ihr Kind eine halbe Stunde nach der Geburt in einem Pappkarton bei klirrender Kälte aussetzte und erfrieren ließ, gab als Motiv "panische Angst" vor ihrem gewalttätigen Freund an, vor dem sie ihre Schwangerschaft verheimlichte, der mit ihr schon einen Sohn hat und ein weiteres Kind auf keinen Fall mehr wollte.

Die Frau, die ihren toten Säugling in die Tiefkühltruhe steckte, hatte vor ihrer Niederkunft noch mit der Telefonseelsorge und der Caritas telefoniert, hatte sich informiert über Babyklappen und die Möglichkeit einer anonymen Geburt. Doch irgendwann war es zu spät. Vielleicht, sagt die Mutter, wäre das Kind noch am Leben, "wenn es so was wie einen Babynotruf geben würde, dass einen jemand abholt, zur anonymen Geburt fährt und wieder heim - oder eben das Baby mitnimmt, ohne Fragen".

"Rettung lohnt den Aufwand"

Zwischen 2000 und 2007 wurden in Deutschland knapp 80 Babyklappen eingerichtet, in denen Mütter ihre Neugeborenen anonym (und straffrei) ablegen können. Bis Ende des vergangenen Jahres waren mindestens 143 Kinder in solchen Einrichtungen abgegeben worden. "Wenn wir damit nur einige der sonst ausgesetzten Babys retten können, lohnt sich schon der ganze Aufwand", sagt Professor Peter Seiffert vom Katholischen Klinikum in Duisburg, das eine eigene Babyklappe betreibt. Wer sein Kind nicht allein zur Welt bringen will, hat - obwohl in Deutschland nicht legalisiert - die Möglichkeit der anonymen Geburt in einer Klinik. Rund 130 deutsche Krankenhäuser bieten solche vertraulichen Entbindungen an, bezahlt vor allem aus Spenden. Vermittelt werden anonyme Geburten unter anderen vom Projekt Findelbaby des Hamburger Vereins SterniPark e. V. (bundesweiter Notruf:.0800/456.07 89).

Das Baby aus der Tiefkühltruhe könnte heute noch leben, wenn seine Mutter diese Telefonnummer gekannt hätte. Selbstverständlich, sagt Leila Moysich von SterniPark e. V., hätte man die Frau abgeholt und für sie eine anonyme Geburt in einer Klinik arrangiert: "Natürlich hätten wir auch das Baby übernommen - keine Fragen, keine Zeugen, keine Polizei."