stern-Umfrage Willkommen im Neid-Club

Die Hälfte der Bundesbürger glaubt laut einer Umfrage des stern, in einer Neidgesellschaft zu leben. Doch zu seinem eigenen Neid steht kaum jemand: neidisch sind immer nur die anderen. Was alles ins Fadenkreuz des Neids geraten kann - stern.de hat ein kleines Lexikon der Missgunst von A bis Z zusammengestellt.

Ihr da oben, wir hier unten: Die Hälfte aller Bundesbürger glaubt, dass wir in einer Neidgesellschaft leben, 57 Prozent sind es allein in Ostdeutschland. Für den stern hat das Berliner Meinungsforschungsinstitut Forsa ermittelt, wo und wann den Deutschen Neid am ehesten begegnet. Aber: Die wenigsten geben zu, selbst neidisch zu sein.

Frauen, finden 33 Prozent der Deutschen, sind neidischer als Männer. Nur 6 Prozent glauben, dass Männer die größeren Neidbolzen seien. Dass Frauen neidischer sind, meinen übrigens vor allem die Frauen selbst (46 %) - im Gegensatz zu 20 Prozent der befragten Männer.

Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, für die der stern 1004 Bundesbürger vom Berliner Meinungsforschungsinstitut Forsa zum Thema Neid befragen ließ.

Dass Deutschland eine Neidgesellschaft ist, sagen vor allem 30- bis 44-Jährige (56 %), Angestellte (58 %) und Beamte (64 %), eher als Arbeiter (46 %) und Selbstständige (51 %).

Neidern begegnet man nach Angaben der Befragten am ehesten in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz, weniger häufig im Freundes- und Bekanntenkreis oder der Familie. Neid bei Nachbarn stellen nach eigener Einschätzung vor allem die 18- bis 29-Jährigen sowie die Arbeiter und Angestellten fest. Arbeiter und Angestellte und die 30- bis 44-Jährigen erleben Neid, mehr als andere, am Arbeitsplatz. Neid im Freundes- und Bekanntenkreis begegnen in überdurchschnittlichem Maß die unter 30-Jährigen und die Beamten.

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Nur wenige geben Neid zu

Dass sie selber neidisch sind, geben nur wenige Bundesbürger zu. So sagen nur jeweils 7 Prozent, man sei enttäuscht oder man ärgere sich, wenn eine Person etwas hat, was man selbst gern hätte. Und nur 3 Prozent räumen ein, sie seien darüber traurig. 59 Prozent aber behaupten, sie würden andere dafür bewundern, wenn die etwas besäßen, was man selbst gern sein Eigen nennen würde. Wobei Neidforscher zum Schluss kommen, dass auch die Bewunderung vielfach als "maskierter Neid" zu sehen ist. 24 Prozent aller Befragten geben an, bei ihnen kämen keinerlei Neidgefühle auf - wobei diese Zahl mit zunehmendem Lebensalter steigt.

Den Befragten wurden schließlich typische Situationen vorgegeben, bei denen Neid womöglich gerechtfertigt wäre. Von den 55 Prozent, die Neidgefühle in bestimmten Situationen für vertretbar halten, wurden als Gründe genannt:

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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  • wenn ein Arbeitskollege mehr verdient als man selbst (25 %),
  • wenn ein Nachbar geerbt hat und nun nicht mehr arbeiten muss (20 %),
  • wenn ein Freund oder eine Freundin mit der Familie viel glücklicher als man selbst ist (15 %),
  • wenn ein Bekannter mehr Freunde hat oder schneller Freundschaften schließen kann als man selbst (12 %),
  • wenn ein Freund oder eine Freundin schöner und attraktiver als man selbst ist (10 %),
  • wenn ein Bekannter gebildeter und intelligenter als man selbst ist (9 %).

Im Osten, so die Auswertung dieser Fragestellung, ist man offenbar häufiger neidisch als im Westen, wenn ein Arbeitskollege mehr verdient. Im Westen hingegen ist man neidischer als im Osten, wenn ein Nachbar geerbt hat, wenn jemand mit seiner Familie glücklicher ist als man selbst und wenn jemand mehr Freunde hat oder gebildeter und intelligenter ist als man selbst.

Dabei halten die Jüngeren Neidgefühle eher als andere Altersgruppen dann für gerechtfertigt, wenn ein Kollege mehr Gehalt bekommt, ein Nachbar eine hohe Erbschaft gemacht hat, jemand mit der Familie glücklicher ist und wenn Freund oder Freundin attraktiver ist als man selbst.

Was alles ins Fadenkreuz des Neids geraten kann - stern.de hat ein kleines Lexikon der Missgunst von A bis Z zusammengestellt.

Abstandsneid

Neid der Privilegierten und Besserverdiener auf die sozialen Aufsteiger. Abstandsneider befürchten, dass die soziale Distanz zwischen ihnen und den Aufsteigern geringer wird und sie damit ihr Überlegenheitsgefühl verlieren könnten.

Eifersucht

Wird gern als kleine Schwester des Neids bezeichnet. Während Neid aus einer Zweierkonstellation entsteht, setzt Eifersucht ein Dreiecksverhältnis voraus: Die Rivalen A und B wetteifern um die Gunst eines Partners C, wobei einer der Rivalen glaubt, einen Anspruch auf C zu haben.

Emotionalneid

Form der Missgunst, die anderen Zeitgenossen ihre Beziehungsfähigkeit übel nimmt. Emotionalneider würden gern so viel Zeit haben wie Arbeitslose, so viel Zeit mit Familie und Kindern verbringen wie ihre Untergebenen, die pünktlich Feierabend und freie Wochenenden haben - ohne allerdings auf Karriere und Status verzichten zu wollen.

Existenzialneid

Neid auf die bloße Existenz eines Anderen. Die Grundhaltung des Existenzialneiders beschrieb der Philosoph Max Scheler so: "Alles kann ich dir verzeihen, nur nicht, dass du bist und das Wesen bist, das du bist; nur nicht, dass ich nicht bin, was du bist."

Führerneid

Neid auf die Macht einer Leitungsfigur, die man mitunter selbst zum Häuptling bestimmt oder gewählt hat. Führerneider gibt es in der politischen Kaste ebenso wie im Wahlvolk.

Futterneid

Entsteht aus Mangelerlebnissen, die das Selbstwertgefühl schädigen. Futterneider gönnen dem Anderen nichts, weil sie fürchten, sonst verhungern zu müssen - nicht unbedingt physisch, son¬dern vor allem emotional.

Generationenneid

Neid der verschiedenen Altersgruppen auf die jeweils Jüngeren oder Älteren. Die Jungen neiden den Alten Einfluss, Status und Gestaltungsmöglichkeiten, die Alten den Jungen Gesundheit und sexuelle Attraktivität. Jugendprotest und die Reaktion der Erwachsenen darauf ist ein Affekt aus dieser Form des Neids, auch die aktuelle Auseinandersetzung der Jüngeren mit den so genannten 68ern oder den angeblich reichen Rentnern.

Geschlechterneid

Der Neid auf angenommene ungleiche Chancen in der Gesellschaft. Frauen neiden Männern deren einfachere Möglichkeiten, Karriere zu machen und damit Einfluss, Geld und Status zu erlangen, während Männer den Frauen ihre Emotionalität, ihre sexuelle Attraktivität und ihre Möglichkeit, Kinder auszutragen, missgönnen (Gebärneid).

Geschwisterneid

Im Wettstreit um Anerkennung, Zuneigung und Aufmerksamkeit der Eltern kommt es unter Brüdern und Schwestern immer wieder zu Neid und Eifersucht - wenn etwa die Älteren länger aufbleiben dürfen oder der Andere mehr auf dem Teller hat. Besonders ausgeprägt ist diese Form des Neids, wenn ein(e) Erstgeborene(r) "entthront" wird.

Kollegenneid

Diese Form des Neids tritt im beruflichen Wettbewerb um Anerkennung, Gehalt und Macht am häufigsten auf. Auf der einen Seite führt Kollegenneid zum fruchtbaren Konkurrenzkampf, der in Unternehmen mitunter gezielt gefördert wird, auf der anderen Seite kann er jedoch auch den Betrieb schädigen, wenn Intrigen oder gar Sabotage die Folge sind.

Konfessionsneid

War früher vor allem zwischen den beiden großen Kirchen weitaus verbreiteter als heute. Konfessionsneid kann auch bei der hartnäckigen Bekämpfung so genannter "Jugendsekten" oder der "Scientology Kirche" eine Rolle spielen. Diese Form des Neids führt auch dazu, dass viele Deutsche zum Islam konvertieren, weil sie dort eine festere Wertegemeinschaft vermuten als in den traditionellen deutschen Kirchen.

Penisneid

Eine angebliche Neid-Art, die auf Siegmund Freud zurückgeht: Frauen seien neidisch auf das Geschlechtsorgan des Mannes, fühlten sich angeblich zu kurz gekommen zu sein. Spielt heute in der Fachwelt so gut wie keine Rolle mehr.

Ressentiment

Ressentiment (franz. für heimlicher Groll) bezeichnet eine emotionale und mit starken negativen Affekten verbundene Ablehnung eines Sachverhaltes, von dem Gefährdung, Bedrohung oder Behinderung befürchtet wird. Ressentiments können sich auf Personen, Gruppen oder Ethnien beziehen. Dazu disponiert sind Menschen und Gruppierungen, die sich benachteiligt und unterlegen fühlen und mit Vorurteilen ihre Feindseligkeit verdrängen müssen. Folge: Nationalismus, Rassenhass, Fanatismus.

Sexualneid

Wer sich unattraktiv und damit sexuell benachteiligt fühlt, beneidet die, die sexuell erfüllter zu sein scheinen oder es tatsächlich sind. Mögliche Sexualneider sind danach Zölibatäre, die Keuschheit predigen, oder ältere Menschen mit ihren Mahnungen, die heutige Jugend möge sich so einschränken, wie man es früher auch gewohnt (oder dazu gezwungen) war. Eine weitere Variante des Sexualneids ist der Potenzneid.

Wirtschaftsneid

Wird gegen Minderheiten entwickelt, die als ökonomisch besonders potent gelten. Ob Porsche-Fahrer oder Politiker, Manager oder Erben - wer (auch nur scheinbar) reicher oder privilegierter als man selbst ist, gerät ins Fadenkreuz des Wirtschafts- oder Sozialneiders, der sich unterlegen und minderbemittelt sieht. Und wenn der auch noch - zum Beispiel durch fiskalische Maßnahmen - etwas vom Kuchen abhaben will, wird versucht, ihn schnell zur Räson zu bringen - Schlag-Wort Neidsteuer. Wirtschaftsneid war mit Sicherheit auch ein Auslöser für Antisemitismus und Judenhass in Hitler-Deutschland.

Zukunftsneid

Tritt vor allem bei Schwerstkranken mit nur noch wenig Lebenserwartung auf. - Oder auch bei den Kickern des Fußballclubs Energie Cottbus - wenn's um die 1. Bundesliga geht.

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