stern-Umfrage Studenten, Beamte, Rentner – ein Blick in Deutschlands (leere) Lehrerzimmer

Lehrerin unterstützt Schülerin
Unterricht in einer Grundschule. Auch dor mangelt es an Personal
© Marijan Murat / DPA
In den Schulen fehlen so viele Lehrer wie seit Jahrzehnten nicht. Doch wer steht da eigentlich im Klassenzimmer an der Tafel? Ein Blick auf die deutsche Lehrerschaft.

Die deutschen Schulen ächzen: unter wachsenden Schülerzahlen, bunteren Klassen – und viel zu wenig Personal. Dem Anspruch des Nachwuchses nachzukommen, daran scheitert das Bildungssystem, weil es zu Wenige gibt, die sich dem widmen wollen. Deutschlandweit gibt es etwa 32.000 Schulen, gut jede zweite startete mit Personallücken ins Schuljahr 2022/23. Das zeigte zuletzt eine Forsa-Umfrage. Die Rufe, den Lehrermangel irgendwie zu beheben, schrillten zum Jahresbeginn besonders laut, als ein Bildungsgremium Lösungen für das Problem präsentierte.

Ein Vorschlag: Mehr Quer- und Seiteneinsteiger in die Schulen locken, das Hochschulangebot ausbauen, ältere Schüler ins Selbststudium schicken. Und: Rentner sollen auf den Ruhestand verzichten und länger an der Tafel stehen.

Der stern wollte wissen, wie sich das Lehrerpersonal zusammensetzt und hat bei den Bildungs- und Kultusministerien der Länder nachgefragt.

Hälfte der Schulen klagt über Mangel an Lehrern zu Schulbeginn

Laut der stern-Umfrage sind im aktuellen Schuljahr fast 590.000 Lehrkräfte in ganz Deutschland tätig. Abzüglich Berlin, das sich auf mehrmalige Anfrage nicht äußerte. In Bayern liegen lediglich Daten aus dem Schuljahr 2021/22 vor. Das Statistische Bundesamt gibt 710.000 Lehrkräfte in der Bundesrepublik an, eine deutliche Differenz. 57 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut Forsa befragten Schulleiter gaben an, dass mindestens eine Stelle zum Schulbeginn unbesetzt war. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der die Umfrage in Auftrag gegeben hatte, sprach angesichts der Lücke von einem "bedrückenden Befund".

84 Prozent der Schulleiterinnen und Schulleiter gehen davon aus, dass ihre Schule in Zukunft stark oder sogar sehr stark vom Lehrkräftemangel betroffen sein wird. Besonders groß ist das Problem der Umfrage zufolge an Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie an Förder- und Sonderschulen. Die Einrichtungen versuchen, mit der Beschäftigung von Seiten- oder Quereinsteigern gegenzusteuern. In etwa 60 Prozent der Schulen ist das nach Angaben der Schulleitungen der Fall.

Konkrete Zahlen gibt es hierzu aber kaum, weil die Zahl der Seiteneinsteiger in mehreren Bundesländern nicht gesondert erhoben, sondern mit Teilzeitkräften, Studierenden und Rentnern verrechnet wird. Die stern-Anfrage in den Bundesländern ergab, dass derzeit knapp 18.900 Quer- beziehungsweise Seiteneinsteiger in deutschen Schulen tätig sind. Die meisten davon arbeiten in Nordrhein-Westfalen (6464), Hessen (6393) und Brandenburg (3222). Im Saarland prüfen die Behörden derzeit, ob für das Fach Informatik Quereinsteiger angeworben werden können. Ab kommendem Schuljahr ist das Fach für alle Schüler ab der 7. Klasse verpflichtend, der Bedarf an Lehrkräften ist offenbar groß.

Viel Teilzeit, ein paar Studierende und Pensionäre

Dass der Fachkräftemangel in der Lehrerschaft so groß ist, liegt auch an der hohen Teilzeitquote. Sie ist im Vergleich zu anderen Berufen mit knapp 41 Prozent überdurchschnittlich und so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Laut stern-Umfrage sind insgesamt 263.327 Lehrkräfte in Teilzeit – Berlin ist auch hier mangels Rückmeldung nicht eingerechnet.

Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass der hohe Frauenanteil unter den Pädagogen die Teilzeitquote hochtreibt. Im Schuljahr 2021/2022 waren 73 Prozent oder nahezu drei Viertel der Beschäftigten weiblich. Die Teilzeitquote unter Lehrerinnen lag im Schuljahr 2021/22 bei 48 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch als unter Lehrern (20 Prozent).

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Können Rentner und Studierende das Problem lösen? In Bremen werden Studierende etwa als Vertretungskräfte eingesetzt, die meisten befinden sich noch im Erst- oder Bachelor-Studium. Bundesweit sind nach Angaben der Bundesländer, die Daten zu den angestellten Studierenden erheben, 20.500 tätig. Allerdings besteht nicht überall eine Meldepflicht, unter anderem in Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz.

Selbiges gilt für jene, die eigentlich im Ruhestand sein sollten, aber mangels Personals weiter an der Tafel stehen. Auch sie werden in einigen Bundesländern entweder gar nicht erfasst, oder statistisch mit Studierenden, Quereinsteigern und Teilzeitbeschäftigten verrechnet. Nach der Umfrage sind derzeit ungefähr 4846 Lehrer tätig, die entweder ihre Altersgrenze für den Ruhestand überschritten und ihre Verträge verlängert haben oder aus der Rente in die Klassenzimmer zurückgekehrt sind. Besonders hoch ist die Zahl in Nordrhein-Westfalen. Dort hat sich die Zahl der eigentlich pensionierten Lehrkräfte an den Schulen seit 2016 auf 1228 vervierfacht.

Der Ruf nach attraktiveren Arbeitsbedingungen bleibt

Im Gespräch mit der "Augsburger Allgemeinen" hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger Lebensarbeitszeitkonten vorgeschlagen. Dies würde es Lehrkräften, "die noch Reserven haben, ermöglichen, für mehrere Jahre ein oder zwei Stunden mehr zu unterrichten und dafür dann ein oder zwei Jahre früher in Ruhestand zu gehen". Zudem bräuchte es Anreize, damit Lehrkräfte freiwillig länger arbeiten.

Auch müsse bei bisherigen Maßnahmen nachgebessert werden, etwa bei der "Gewinnung und Nachqualifizierung von Quereinsteigern, Lehrkräften im Ruhestand und Lehramtsstudierenden". Viele derzeitige Maßnahmen machten den Lehrberuf unattraktiv, anstatt den Nachwuchs zu motivieren. "Der Anteil der Studienanfänger im Lehramt an der Gesamtzahl der Studienanfänger ist von mehr als elf Prozent vor 30 Jahren auf jetzt 8,5 Prozent zurückgegangen", sagt Meininger. Nach Einschätzung des Verbandes herrscht in Deutschland aktuell der "größte Lehrkräftemangel seit 50 Jahren".