Meine Tochter hat mich dazu aufgefordert, sämtliche meiner Texte ab sofort in gendergerechter Sprache abzufassen. Mit Sternchen oder Unterstrich oder Schrägstrich oder Binnen-I. Dürfe ich mir aussuchen, aber so wolle sie das sehen. Es könne ja schlecht sein, dass die Welt sich immer schneller drehe und ihr Vater mit ein paar anderen Knackern starr auf den von Männern konstruierten Unsinn vom grammatikalischen Geschlecht bestünde.
Ich habe vorsichtig nachgefragt, ob ihre Forderung auch für Lyrik gelten soll. Ich mache keine Lyrik. Aber wenn Gedichte aus künstlerischen Gründen vom Gender-Mainstreaming ausgenommen sind, sattele ich um. Sie hat mich als outdatet und lame bezeichnet und dann, schließlich: als alten weißen Mann. Zack. Eben noch einigermaßen cool und in ihrem Freundeskreis beliebt, bin ich nun in ihren Augen nicht mehr vermittelbar.
Männlichkeitsfossil
Weiß stimmt natürlich, ziemlich weiß sogar. Mann auch. Aber alt? Ich fühle mich keineswegs alt, und vor allem habe ich immer geglaubt, relativ nahe entlang der Gegenwart zu leben, manchmal fühle ich mich sogar regelrecht jung, zum Beispiel wenn ich freiwillig im Auto die unerträglich zeitgemäße Musik meiner Kinder mithöre, ohne sie mit Neil Young, den Sex Pistols oder Public Enemy zu vergleichen. Paternalistische Vorträge habe ich mir längst abgewöhnt, ich bin neugierig und aufgeschlossen, was auch damit zu tun hat, dass ich fast taub bin. Mich kann eigentlich nichts erschüttern. Auch nicht der moderne Feminismus, dem mein Kind zuneigt.

Das meiste davon verstehe ich irgendwie, doch in der Vorstellung meiner Töchter und ihrer kompletten Frauengeneration bin ich ein Beharrer, ein verknöcherter Chauvi, ein Männlichkeitsfossil.
Und nun frage ich mich: Ist da was dran? Haben wir mittelalten Männer aus den Geburtsjahrgängen 1960–70 uns zu wenig aus dem Erbgut unserer Nachkriegsväter herausgemendelt? Sind wir fortschrittstechnisch unterentwickelt? Oder schlicht borniert, weil wir manchmal dazu neigen, feministischen Protest auch rein ästhetisch zu beurteilen? Ich bin verunsichert. Als Vater sowieso. Aber auch als Mann.
Mein Kind ist 21, und in den Jahren seit 1998 hat sich wirklich eine Menge getan zwischen den Geschlechtern. 1998 regierte in Nordrhein-Westfalen der Ministerpräsident Johannes Rau. Als er gefragt wurde, ob es nicht möglich sei, das damals im Bau befindliche neue Fußballstadion in Gelsenkirchen nach einer Frau zu benennen, antwortete der Landesvater launig: "Wie sollen wir das denn nennen? Dem-Ernst-Kuzorra-seine-Frau-ihr-Stadion?" Das war auf mehreren Ebenen lustig und blieb als Bonmot im Gedächtnis. Später wurde Rau noch Bundespräsident. Ich wage die Behauptung, dass dies 2019 nach so einem Spruch ziemlich unwahrscheinlich wäre.
Würde Rau noch leben und übermorgen so ein Ding raushauen, wäre es vermutlich innerhalb von einer Woche karrieretechnisch um ihn geschehen. Shitstorm auf allen Netzwerken, Onlinepetitionen, Demonstrationen vor der Staatskanzlei, Rücktrittsforderung der Opposition, Strafantrag wegen allem Möglichen und schließlich: "hart aber fair" mit dem Knallerthema: "Wie frauenfeindlich darf Politik sein?" Eingeladen wahrscheinlich Jan Fleischhauer, Wolfgang Kubicki, Sophie Passmann, Barbara Schöneberger und Karl Lauterbach (Letzterer ist immer eingeladen, er kann nur manchmal nicht).

Während Kubicki die ganze Zeit an Frank Plasbergs Stehtisch aussieht, als stünde er gerade um ein Uhr nachts an der Bar im Hilton, gibt sich Jan Fleischhauer die größte Mühe, nicht als Macho zu erscheinen, und wiederholt seinen bereits veröffentlichten Satz, Frauenrechte seien wie Umweltschutz, keiner habe etwas dagegen. Der Vergleich ist so hübsch wie entlarvend, er bringt nämlich die Respektlosigkeit auf den Punkt, mit der Männer das Thema behandeln. Denn obwohl zum Beispiel alle Menschen prinzipiell für Mülltrennung sind, schmeißen sie die Alu-Chips-tüten mit in den Plastikmüll und die braunen Weinflaschen in den Behälter für weißes Glas. Weil’s irgendwie auch wurscht ist.

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Gender Pay Gap
Und genauso gehen wir Männer auch mit dem Feminismus um. Natürlich sind wir gegen den Gender Pay Gap. Aber würden wir auf einen Teil unseres Gehalts verzichten, damit die Kollegin im Nachbarbüro genauso viel bekommen kann wie wir? Vielleicht. Zeitlich befristet. Eher nicht, nein. Man kann ja nicht Unrecht mit Unrecht ausgleichen, würden die meisten Kollegen argumentieren. Das gilt auch für die Chancengleichheit. Theoretisch sind wir dabei. Aber sobald eine Frau den peinlichen Umstand erwähnt, dass in den Vorständen deutscher Unternehmen nach wie vor praktisch keine weiblichen Manager beschäftigt sind, meldet sich garantiert irgendein Depp und teilt mit, dass es auch kaum saarländische Chefs in deutschen Konzernen gebe. Und dass der Saarländer an sich damit dieselbe Form der Diskriminierung zu ertragen habe wie die Frauen. Ogottogott.
Die Männer finden einfach keine passenden Antworten auf Fragen, die ihnen früher allerdings auch nie gestellt wurden. Warum ist fast die Hälfte des Publikums bei "Rock am Ring" weiblich, aber über 90 Prozent der Künstler auf der Bühne sind männlich? Warum gilt unter Produzenten, Sendern und Verleihern das Attribut "fuckable" immer noch als Goldstandard bei der Besetzung weiblicher Film- und Serienrollen? Warum schwenkt die "Tagesschau" bei einem Beitrag sekundenlang über die Beine der Politikerin Katja Suding? Wenn sie Werbung für Strumpfhosen machte, könnte man das verstehen. Aber es ging um das Dreikönigstreffen der FDP. Und: Warum sehen Politiker im Gegensatz zu ihren Kolleginnen immer so scheiße aus?
Gut, für sein Aussehen kann niemand etwas, aber wer hindert diese Vögel daran, sich wenigstens vernünftig anzuziehen? Eine Handvoll Politiker bekommt das hin. Andreas Scheuer, Christian Lindner, Robert Habeck. Vorzeigbare Männer, die es genießen, angesehen zu werden. Aber dahinter tut sich ein endloser Acker von Mittelmäßigkeit und würdelosem Untalent zur optischen Präsentation auf.

Beispielhaft dafür kann auf das Gruppenbild von der Vorstellung der Führungsmannschaft des Bundesministeriums des Inneren (BMI) verwiesen werden. Innenminister Seehofer präsentiert im März 2018 sein Team. Keine einzige Frau dabei, logisch. Und sämtliche Männer sehen aus, als wären sie von ihrer blinden Nanny angezogen worden. Hosen zu lang, Krawatten zu kurz, Jacketts zu eng. Es ist ein Trauerspiel. Man könnte einwenden, dass es bei politischen Ämtern nicht in erster Linie darauf ankommt, einen guten Anzug zu tragen und die Brille nach der Gesichtsform auszuwählen. Aber wenn nur eine einzige Frau auf dem Bild zu sehen gewesen wäre, käme einem das Regierungshandeln des Heimatministeriums ein wenig erträglicher vor. Das Foto wurde nach angemessenem Shitstorm von der BMI-Seite gelöscht.
Aber Männer geben nicht nur eine schlechte Figur ab, wenn sie sich fotografieren lassen, sondern auch, wenn sie gegen Frauen in den Krieg ziehen, was an sich schon von einem geringen Selbstwertgefühl zeugt. Ende Juli bezeichnete die konservative italienische Zeitung "Libero" den Auftritt der deutschen Kapitänin Carola Rackete vor einem Gericht als "Schamlosigkeit ohne Grenzen". Weil sie bei diesem Termin keinen Büstenhalter trug. Der Befund der Zeitung, die dem damaligen italienischen Innenminister Salvini nahesteht, hatte womöglich damit zu tun, dass die mutige Aktivistin den dröhnenden Macho weltweit bloßgestellt hatte. Und aber leider auch damit, dass manche Menschen ihren Blick nur sehr mühsam konzentriert auf ein wichtiges Thema richten können. Auf die Titten zu glotzen erfordert weniger Denkleistung.
Uncharmantes Trampeltier
Ich kann verstehen, wenn Frauen sich derartige typisch männliche Eseleien nicht mehr gefallen lassen wollen und ihrer Wut in den sozialen Netzwerken freien Lauf lassen. Ich kann auch verstehen, dass dabei der Mann an sich bisweilen über einen Kamm geschert wird, denn das Benehmen des ignoranten, rücksichtslosen und uncharmanten Trampeltiers ist nun einmal männlich. Und männlich bin ich auch. Wir sind alle zwischendurch mal Trump, denn wir haben alle schon mal zotige Scherze gemacht, Frauen ein bisschen belächelt oder die Tür nicht aufgehalten. Auch wenn wir uns nicht daran erinnern möchten. Also sollte ich mich nicht beklagen.
Doch irgendwann werde ich bei feministischen Zornausbrüchen doch widerständig. Es berührt mich, wenn ein mehrere Jahrzehnte altes schwärmerisches Gedicht von einer Fassade getilgt wird, weil es angeblich sexistisch sei. Das ist schwer erträglicher Aktionismus auf Kosten der Kunst. Zum Glück wurde das Gedicht "Avenidas" des 94 Jahre alten Eugen Gomringer andernorts wieder auf eine Hauswand gemalt. Es richtet dort genauso wenig Schaden an wie vorher an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Es befremdet mich, wenn Museen keine uralten Bilder oder Statuen ausstellen sollen, weil die dargestellte Nacktheit frauenfeindlich sei. Es ärgert mich, wenn jede zweite misslungene Anmache zum #MeToo-Fall hochgebraten wird. Als seien sämtliche Männer potenzielle Sittenstrolche.
Letzteres hat dazu geführt, dass verunsicherte Männer tremolierten, bald dürfe man gar nichts mehr. Das ist natürlich dämlich. Man darf prinzipiell alles, wenn es der oder die andere auch will.

Es ist wahnsinnig einfach: Frauen möchten sehr gern angesprochen werden. Jedenfalls manche. Manchmal. Männer sind gut beraten, bei einem Flirt darauf zu achten, was erwünscht ist und was nicht. Man fällt nicht gleich mit der offenen Hose ins Haus. Man nähert sich an. Wenn kein Interesse besteht, verhält man sich nicht beleidigt und beleidigend, sondern winkt fröhlich als Gentleman zum Abschied und versucht sein Glück woanders. So schwer ist das nicht.
Aber meine Tochter erzählt mir, dass sie im Nachtleben ständig begrapscht oder ordinär vollgetextet wird. Keine Ahnung, warum Männer so etwas machen. Ich glaube, dass wir früher nicht so waren. Womöglich hängt dieses stark veränderte Balzverhalten damit zusammen, dass die Jungs einfach zu viele Pornos im Internet anglotzen. Dort sind die Dialoge oft recht zügig absolviert und dramaturgisch zielgerichtet getextet. Wer zu viel Freizeit mit dem Studium solcher Lehrfilme verbringt, wird am Ende allein bleiben. Mit dem aufgeklappten Laptop im Bett. Selbst schuld.
Apropos Schuld. Was haben eigentlich die Schwulen verbrochen? Nicht einmal die sind noch vor feministischem Furor sicher, dabei werden doch gerade die an Weiblichkeit nur sehr maßvoll interessierten Homosexuellen eigentlich traditionell von den Frauen als ungefährlich, mehr noch, als auf ihrer Seite stehend geschätzt. Und nun berichtet der "Tagesspiegel", dass in Berlin ein Kulturkampf zwischen den schwulen Aktivisten auf der einen Seite und denjenigen des neuen und ziemlich unheiteren Feminismus auf der anderen tobt. Das liegt daran, dass die alten weißen Homosexuellen als geschlechtsbedingt im Vorteil angesehen werden. Mann ist Mann. Und weil es in der LGBTIQ-Szene nun einmal keine Heteros gibt, an denen man sich abarbeiten könnte, müssen die Schwulen diese Feindbildlücke ausfüllen. Das erscheint schon ein wenig ausgedacht und vor allem ziemlich urban. Kann schon sein, dass man mit der These, dass Schwule grundsätzlich Vorteile von ihrem Mannsein hätten, in Berlin-Kreuzberg punkten kann. In der Eifel, auf der Schwäbischen Alb und in Niederbayern halte ich diesen Ansatz hingegen für diskutabel.
Alter weißer Mann
Natürlich habe ich Verständnis für jedes feministische Anliegen und auch für die meisten Forderungen der queeren Community. Nur bedeutet Verständnis nicht zwangsläufig, dass man deren Meinungen auch in allen Belangen teilt. Ich verstehe zum Beispiel Menschen, die es ungerecht finden, dass nicht in sämtlichen öffentlichen Verwaltungsgebäuden Extra-Toiletten für das dritte Geschlecht eingebaut werden. Aber ich bin nicht der Meinung, dass folglich alle Rathäuser in Deutschland umgebaut werden sollten. Und deshalb muss ich ganz schön was einstecken zu Hause. Ein Mangel an Empathie für Minderheiten wird mir unterstellt und ein altmodisches Frauenbild sowieso. Unter anderem, weil ich es mag, wenn Frauen Kleider tragen. Einfach so mag ich das. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, dass ich damit womöglich althergebrachte Rollenbilder manifestiere oder gar die Frauen unterdrücke. Ich mag halt Kleider.
Und ich bin himmelweit entfernt von der Haltung des früheren Bundeskanzlers Schröder, der 1998, also zu Zeiten des Rau-Zitats, das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als "Familie und das ganze Gedöns" abtat. Ich halte es mit Monaco Franze und seinem Bekenntnis: "Ehrlich gesagt, ich interessiere mich wahnsinnig für Frauen." Und ich fühle mich ungerecht behandelt mit der Behauptung, ich sei ein alter weißer Mann. Ich sehe da bei mir kaum Defizite, lediglich bei der sogenannten gendergerechten Sprache werde ich bockbeinig. Kommt nicht infrage. Ich denke Frauen nämlich immer mit. Selbst wenn die Spießermetapher vom "kleinen Mann" irgendwo auftaucht, sehe ich sofort auch die "kleine Frau". Ich bin in dieser Hinsicht vorbildlich, ich habe es nicht nötig, mit Sternchen, Auslassungen oder Sonderbetonungen Frauen zu einem Recht zu verhelfen, das sie bei mir nicht erstreiten müssen, sondern haben.
![ERNEST HEMINGWAY with leopard he has killed in Uganda, 1/24/54. [ Rechtehinweis: picture alliance/Everett Collection ] Ernest Hemingway mit Gewehr in der Hand. Neben ihm ein erlegter Jaguar liegend](https://image.stern.de/8933566/t/Go/v8/w960/r1.7778/-/gestern-noch-cool-heute-ein-picture-1101913929.jpg)
Grammatik ist nicht dazu da, Gerechtigkeit herzustellen, schon gar nicht, wenn nicht einmal ein Mangel an Gerechtigkeit herrscht. Ich mache mich nicht zum Botschafter, außer für meine eigenen Botschaften. Außerdem liebe ich unsere Sprache und beteilige mich sehr an ihrer Pflege. Binnen-I kommt auch nicht infrage. Basta. Und wenn ich ihr das sage, sagt meine Tochter bloß: alter weißer Mann. Das macht mich langsam nervös. Was soll das überhaupt? Meine Männlichkeit ist eine völlig normale und altersgemäße. Es ist die Art von Mannsein, die wir in den 60er und 70er Jahren gelernt und seitdem einigermaßen erfolgreich abgeschüttelt haben. Aber wird man dafür gelobt? Nö.
Als ich ein kleiner Junge war, arbeitete mein Vater für den "Playboy" und für die "Bravo". Wir hatten diese Hefte und viele weitere zu Hause rumliegen, und ich staunte nicht schlecht über die in beiden Titeln abgebildeten Hasen, die damals tatsächlich noch so genannt wurden. Während die "Bravo" bei der Darstellung von Nacktheit noch einen pädagogischen Ansatz zu pflegen schien, zeigte der "Playboy" so richtige Frauen. Aber nicht nur, auch Stereoanlagen, Autos, Krawatten und Herrendüfte sowie Männer, die es im Leben zu etwas gebracht hatten. Es war eine James-Bond-Welt, die vor 45 Jahren schon leicht angestaubt wirkte, mir aber gefiel. Richtige Männer in dieser Zeit waren Typen wie Curd Jürgens, Helmut Schmidt und Hans-Joachim Kulenkampff. Kriegsgeneration. Manche von denen mussten sehr früh Männer werden.
Deren Söhne waren unsere Väter, die sich einen Weg ins Leben suchen mussten und dabei das Trauma der Eltern in ihrer Seele mit sich herumschleppten. Und ein ziemlich pragmatisches Rollenverständnis, was die Beziehung zwischen Mann und Frau betraf. Bei uns war das nicht anders. Mein Vater ging arbeiten, meine Mutter gibt seit über 50 Jahren als Beruf "Hausfrau" an, obwohl sie von Beruf eigentlich Industriekauffrau war. Vor einigen Jahren sagte sie mit Blick auf ihre drei berufstätigen Schwiegertöchter: "Ich glaube, ich gehöre zur letzten angeschmierten Frauengeneration."
Pasta-Plauze und Klobrillenbart
Und ich gehöre zu einer Generation von Männern, die dabei ist, ein überkommenes Frauenbild ebenso zu überwinden wie das des unzerstörbaren Mannes, der schon als kleiner Junge nicht weinen durfte und der sich für Hasen, Autos und die Welteroberung interessiert, während Muttchen zu Hause einen Kuchen backt und mit den Schluffen in der Hand an der Haustür steht, wenn Vati nach Hause kommt.
Obwohl ich die Vorstellung einer dienstbaren und erfreulich meinungslosen Frau eher ulkig als erstrebenswert finde, werde ich andauernd kritisiert. Es geht den Frauen in meiner Umgebung einfach nicht schnell genug mit dem gesellschaftlichen Umbau. Wenn das nicht so anstrengend wäre, könnte es mir egal sein. Ich muss kein Vorbild mehr sein, meine Kinder sind groß, und ich trage praktisch keine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Trotzdem mache ich mir Sorgen, denn die jungen Männer brauchen irgendwen, an dem sie sich orientieren können. Es gäbe da viele kluge Frauen, aber die sind kein Maßstab fürs Mannsein.

Die Auswahl im Schaufenster der Männlichkeit kommt mir gerade etwas dünn vor. Da sind zum einen Typen wie Matteo Salvini. Ein Prolo mit Kettchen, Pasta-Plauze und Klobrillenbart. Ordinär, hemmungslos und knallrechts. Kein gutes Beispiel, eigentlich für gar nichts. Oder wie wäre es mit diesen ständig aus dem offenbar nie versiegenden Trottel-Tümpel der Privatfernsehen-Industrie nachrückenden Klotzköpfen, die mit gezupftem Brusthaar und aufwendigen Körperbeschriftungen Promi-Container, Dschungelprüfungen und Tanzkurse absolvieren? Oder mit weltentfernt scheinenden Mathematikern wie dem deutschen Fields-Preisträger Peter Scholze? Oder mit Hip-Hop-Künstlern, deren Texte derart frauenfeindlich sind, dass man sie verbieten müsste? Was übrigens daran scheitert, dass wir aus Faulheit nie richtig zuhören bei dem Mist, den unsere Kinder durch ihre Kopfhörer ins Hirn saugen. Oder was ist mit unserem unsichtbaren Bundespräsidenten?
Freudentränen
Wo und bei wem können sich Männer abschauen, wie man 2019 ein richtiger Mann ist? Ich weiß es nicht. Ich glaube, die besten Männer sind jene, die genauso männlich sind, wie es gerade erforderlich ist. Keinesfalls mehr und bitte auch nicht weniger. Was allerdings erforderlich ist, muss leider jeder selbst herausfinden. Das ist ein schwerer Weg, aber die Frauen machen uns gerade vor, wie man sich aus männlicher Knechtschaft befreit, also sollten wir das auch schaffen – und uns hinter uns lassen. Seid einfach anständig, höflich und tolerant, damit ist schon viel gewonnen.
Und vielleicht wird die Debatte um Stadionnamen in drei oder vier Jahrzehnten auch ganz anders geführt als vor 21 Jahren. Das hätte sich Johannes Rau vielleicht nie träumen lassen, aber womöglich wird 2060 ein neues Stadion in Frankfurt eingeweiht – und nach einer Legende des Fußballsports benannt: Birgit Prinz. Die gebürtige Frankfurterin hat sagenhafte 214 Länderspiele für Deutschland absolviert und dabei 128 Tore geschossen. Marken, die kein Mann je erreicht hat. Wer weiß, vielleicht nennen sie die Arena nach ihr "Prinzenpark". Ein Name mit Tradition. Bei der Eröffnung bebt das Stadion vor Freude und Stolz. Alle Zuschauer erheben sich zu Ehren der 82-jährigen Birgit Prinz. Ich bin 93 Jahre alt und weine vor Glück.
Schön wär’s.
Dieser Artikel ist dem aktuellen stern entnommen: