Studie mit Verhaltens-Tipps Vegan leben und weniger fliegen fürs Klima – warum die Vorschläge der Uni Leeds unrealistisch sind

Eine Person hält einen Burger in beiden Händen
Der Fleischverzehr ist für viele ein großer Genuss. Werden also wirklich viele Menschen freiwillig darauf verzichten, um das Klima zu schützen?
© Westend61 / Imago Images
Eine neue Studie schlägt sechs Alltags-Tipps vor, die jeder befolgen könne, um den Klimawandel zu stoppen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn unser Konsumverhalten lässt sich nicht so einfach auf den Kopf stellen.

Überschwemmungen, Waldbrände, Ernährungskrisen: Der Klimawandel ist eine große Bedrohung für alle Menschen. Doch eigentlich ist es gar nicht schwer, ihn aufzuhalten, sagt eine Analyse vom Projektdienstleister Arup. Sie basiert auf einer Studie der Universität von Leeds und der Initiative C40, in der Städte weltweit im Kampf gegen die Klima-Krise zusammenarbeiten. Demnach müsse man bis zum Jahr 2030 lediglich sechs Maßnahmen in seinem Lebensstil umsetzen.

Auf den ersten Blick sind die Vorschläge einleuchtend. Auf den zweiten Blick aber bedeuten sie im Grunde, dass wir unser gesamtes Konsumverhalten radikal umkrempeln müssten. Das ist fernab von der Realität. Zum Einen sind die Menschen zu bequem, um ihre Gewohnheiten ohne gewichtigen Grund umzustellen. Und zum Anderen basiert unsere Arbeitswelt und unsere gesamte Wirtschaft auf vielen dieser Verhaltensweisen. 

Ohne Auto und Flugzeug fehlen große Freiheiten im Alltag

Nur noch einmal in drei Jahren einen Kurzstreckenflug unternehmen – einen Langstreckenflug sogar nur noch einmal in acht Jahren? Und zugleich das Auto abschaffen? Wie stellen sich die Studienautoren das vor? Das ist reines Wunschdenken.

In einer Zeit, in der die Zugfahrt von Hamburg nach Paris nicht nur deutlich länger dauert als ein Flug, sondern oft auch spürbar teurer ist, will wohl kaum jemand auf das Flugzeug verzichten. Und ist es nicht realistisch, dass jeder nur noch alle drei Jahre in den Urlaub fliegt.

Oder sollen die Urlauber auf die Kreuzfahrtschiffe ausweichen, die ebenfalls enorm klimaschädlich sind? Wenn neben den Flugreisen dann auch noch das eigene Auto wegfällt, sind die Reise- und Fortbewegungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Und das würde ja bedeuten, dass es bald keinen privaten Pkw mehr auf den Straßen geben würde.

Zum Bäcker um die Ecke oder in ein nahegelegenes Restaurant fahre ich auch mit dem Fahrrad. Oder ich gehe zu Fuß. Aber für längere Strecken sowie zu jenen aufwendigeren oder schwer erreichbaren Zielen ist das Auto ein hilfreiches und bequemes Fortbewegungsmittel. Diese Freiheit geben vermutlich die wenigsten Menschen freiwillig auf. Und was sollen die Bewohner abgelegener Regionen machen? Für eine autofreie Welt existiert gar keine ausreichende Infrastruktur.

Außerdem soll man nach den Vorschlägen der Forscher einen Laptop und andere vergleichbare Elektronikgeräte mindestens sieben Jahre behalten. Dass sich die Elektronikbranche rasend schnell weiterentwickelt, haben die Studienautoren wohl nicht bedacht.

Man muss gar nicht jedem Elektronik-Trend hinter laufen, um einschätzen zu können, dass sieben Jahre extrem lang sind: Ein elektronisches Gerät ist bereits vor Ablauf seiner zweijährigen Garantie veraltet; im Laufe der Zeit können manche Funktionen nur noch mit Einschränkungen genutzt werden. Manche Geräte werden auch gar keine sieben Jahre alt. Da nutzt es nichts, zu sagen: "Es geht nicht darum, in die Steinzeit zurückzukehren, sondern darum, ein Gleichgewicht zu finden", wie der britische "The Guardian" zitiert.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Es muss ein gesundes Maß geben

Ähnlich sieht es mit der Kleidung aus: Es gibt andauernd Trends, die Auswahl ist enorm, viele Menschen shoppen einfach gern. Allein an einem Shoppingtag kauft der Eine oder Andere schon locker drei Kleidungsstücke. Also etwa eine neue Jeans, ein Pullover und ein T-Shirt.

Das restliche Jahr dürfte er dann eigentlich nichts mehr kaufen, so will es die Studie. Dabei kauft der Deutsche laut Greenpeace im Durchschnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr. Sicherlich braucht niemand ständig neue Klamotten – und ein Blick auf dessen Produktionsumstände ist ratsam – aber drei neue Teile jährlich bedeutet eine Reduzierung um 95 Prozent.

Kommen wir zur Ernährung: Diese größtenteils auf pflanzliche Lebensmittel umzustellen, ist für viele Menschen wohl undenkbar. Wenn dann noch die Milchprodukte wegfallen, wie es die Studie ebenso fordert, verringert sich die Auswahl an Lebensmitteln ungemein. Zugegebenermaßen könnte der eine oder andere den Fleischkonsum reduzieren – und wenn er es für seine eigene Gesundheit tut. Denn abgesehen von den vielen Tieren, die für unseren Fleischkonsum sterben müssen, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) einem Erwachsenen ohnehin, weniger als 600 Gramm Fleisch pro Woche zu essen.

Wer sich vegan ernährt, muss zudem schauen, dass er alle wichtigen Nährstoffe bekommt. Also wie viele Menschen wären bereit, ihre Nahrung derart radikal zu ändern? Auch dieser Vorschlag ist – zumindest für große Teile der Bevölkerung – nicht realistisch.

Klimabewusst leben, aber ohne Plastikverpackungen und CO2-Mengen

Weiter ruft die Studie dazu auf, die Ernährung hinsichtlich des Abfallaufkommens umzustellen. Doch kann man überhaupt Lebensmittel konsumieren, ohne dass Abfall entsteht? Das wäre toll, ist in der Praxis aber wirklich schwierig. Denn Kartoffeln, Tomaten und Co. lassen sich im Supermarkt oder Discounter nicht ohne Plastikverpackung finden. Manchmal ist sogar die Gurke in Plastik gehüllt. Ganz abgesehen von Trockenprodukten wie Reis, Nudeln und Müsli. Leider.

Zu guter Letzt fordert die Studie auch, mindestens eine Veränderung im Leben vorzunehmen, um das System zu verändern. Das ist wohl die einfachste der sechs Maßnahmen. Wenn ich zum Beispiel auf Ökostrom umsteige, mein Haus isoliere oder den Rentenanbieter wechsle, ist das bestimmt eine gute Sache. Allerdings kann so doch nicht der Klimawandel aufgehalten werden.

Natürlich kann und sollte jeder etwas zum Klimaschutz beitragen. Denn unser Konsumverhalten hat direkten Einfluss auf die Umwelt. Um dem entgegenzuwirken, liefert die Studie durchaus wichtige Denkanstöße. Allerdings zeigt sie vor allem, wie extrem schwierig es werden dürfte, unseren gesamten Lebensstil klimafreundlicher zu gestalten. Dabei macht es keinen Sinn, dem Menschen seine größten Bequemlichkeiten zu nehmen, während Produkte unnötig in Plastik verpackt werden und die Industrie weiter große Mengen CO2 ausstößt.