Die Hamburger Kita Mobi beschloss, auf einen Weihnachtsbaum in ihrer Einrichtung zu verzichten, um kein Kind anderen Glaubens auszuschließen – und erntete einen Shitstorm, Beschimpfungen und "massive rassistische Drohungen". Inzwischen stellten Vorstand und Elternvertreter klar, dass sie keineswegs christliche Traditionen abschaffen wollten. Doch taugt der Tannenbaum überhaupt für diesen Streit? Der stern sprach mit dem katholischen Theologen Manfred Becker-Huberti über die Geschichte des schönsten Symbols der Weihnacht.
Herr Professor Becker-Huberti, ist der Weihnachtsbaum ein christliches Symbol?
Er ist zunächst ein jüdisches Symbol.

Tatsächlich?
Der Vorläufer des Christbaums, der "Adamsbaum" oder Paradiesbaum, ist Teil des Alten Testaments, das Judentum und Christentum teilen.
Wann taucht der erste Christbaum in Gotteshäusern auf?
Im Mittelalter, wann genau, ist nicht erforscht. Er war Teil des christlichen Gottesdienstes, er hatte sogar eine Doppelrolle.
Welche?
Der 24. Dezember ist ja nicht nur Heiligabend, sondern der Gedenktag von Adam und Eva, den ersten Menschen der Schöpfungsgeschichte, die – salopp gesagt – diese Welt so vermurkst haben, dass der Sohn Gottes geboren werden musste. In den Kirchen gab es für Menschen damals, die nicht lesen und schreiben konnten, zwei Aufführungen. Das Paradies-Spiel zeigte, wie Eva den Apfel, die Frucht der Erkenntnis, vom Baum pflückte und Adam reichte. Damit sollte erklärt werden, wie die Erbsünde in die Welt kam. Das folgende Krippenspiel erzählte die Geburt Christi. Der grüne Baum, der zum Paradiesspiel gehörte, blieb stehen und wuchs in die Tradition des Krippenspiels hinein. Aus dem Paradiesbaum wurde der Christbaum.
Ein Tannenbaum?
Nein, in der Regel war das irgendein immergrüner Baum, eine Stechpalme beispielsweise. An die Zweige wurden rote Äpfelchen gehängt, beispielsweise Renetten, die man für den Winter aufbewahrt hatte. Die Äpfelchen, in goldenes und silbernes Papier gewickelt, waren Vorläufer der heutigen Christbaumkugeln. Das war zugleich der Anfang der Familienweihnacht.
Wann begann die?
Im Jahr 1605, in einer Straßburger Wohnstube. Der damalige "Gabenbaum" oder "Bescherbaum" hatte noch keine Kerzen, er war mit Äpfeln, kleinen Kuchen und Zuckerzeug geschmückt. Im Spätmittelalter übernahm der evangelische Adel die kirchliche Tradition, nun wurde aus dem kirchlichen Paradiesbäumchen der häusliche Lichterbaum, der mit Kerzen geschmückt auf dem Gabentisch stand. Auch Gilden und Zünfte begannen, eine Weihnacht für ihre Mitglieder zu feiern, mit kleinen Geschenken und Gebäck am Christbaum, die Kinder durften sie am 6. Januar "abblümeln".
Auch katholische Kinder?
Nein, seit der Reformation ist der Christbaum das Kennzeichen der Protestanten, er wurde zum Gegensymbol der Krippe. Die Krippe war katholisch. Kein Katholik hätte damals einen Baum in sein Haus gestellt.
Der Weihnachtsbaum, ein "deutscher Exportartikel"
Der protestantische Theologe Johann Conrad Dannhauer wetterte 1642 gegen den "mit Puppen und Zucker behängten“ Weihnachtsbaum – er hielt ihn für eine Ablenkung vom wahren Glauben, für "Kinderspiel“.
Es gibt immer Kritik, wenn ein neuer Brauch auftaucht. Er hat sich trotzdem durchgesetzt, weil die Menschen das Ritual liebten und den Baum in ihre Häuser nahmen, weltweit. Er ist ein deutscher Exportartikel.
Es gibt die These, dass der Weihnachtsbaum als Symbol der Wintersonnenwende heidnische Wurzeln hat. Was stimmt?
Beides. Bäume sind Symbole des Lebens und der Hoffnung. Bäume und grüne Zweige galten schon in vorchristlicher Zeit als Zeichen, dass die Natur wieder erwacht, Leben zurückkehrt und ihre Lebenskraft die Dämonen verscheucht. Er hat Früchte, er ist unüberwindlich. In der christlichen Bilderwelt ist seine Frucht ein doppeldeutiges Symbol: In der Hand Evas ist der Apfel die Frucht, die zum Bösen führt, zur Erbsünde. In der Hand von Maria ist er die Erlösung. Sie gibt den Apfel dem Jesuskind, damit er die Menschen von der Erbsünde erlöst.
Der Weihnachtsbaum ist also heidnisch und christlich zugleich?
Das Grün als Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit verbindet beides. Das Heidnische ist aber nicht der Ursprung dieses Brauches.
Wie verbreitete er sich?
Lieselotte von der Pfalz versuchte den Baum am französischen Hof einzuführen und scheiterte. Albert aber, Gemahl der englischen Königin Victoria, konnte seine Gattin für den Baum gewinnen. Sobald er in London eingeführt war, verbreitete er sich in England und allen Ländern des Empire, beispielsweise in Kanada und Indien.
Welche Bedeutung hat der Weihnachtsbaum heute – ist er Deko oder religiöses Symbol?
Viele Menschen haben ein Problem damit, die tiefe christliche Bedeutung in diesem Baum zu erkennen. Ich habe den Eindruck, er ist Deko, und zugleich eine Zeitanzeige. Er wird immer früher aufgestellt.
Wann stellen Sie Ihren Baum auf?
Am 24. Dezember. Mit Sonnenuntergang und Einbruch der Dunkelheit beginnt Heiligabend, dann sollte der Baum stehen.
Wie fanden Sie die Aktion der Erzieherinnen in Hamburg?
Ein weiteres Beispiel für missverstandene "Political Correctness". Der missglückte Versuch, niemanden auszuschließen. Natürlich kann ich als Christ nicht verlangen, dass alle andere auch Christen sind. Man muss Position beziehen, aber man muss dem anderen zugleich zugestehen, auch eine Meinung zu haben. Ich glaube, dass viele Muslime mit unseren Weihnachtsbräuchen sehr gut umgehen können und einen Teil sogar übernommen haben, beispielsweise das Plätzchenbacken und das Aufstellen eines Tannenbaums.
Der Christbaum taugt also nicht als ideologisches Symbol, das Kinder anderen Glaubens ausschließt?
Nein, er ist absolut ungefährlich.