Im Jahr 2021 verkaufte Jochen Heyer, 57, seine Möbel und wanderte nach Portugal aus. Schon zweimal war er dort im Urlaub gewesen, es hatte ihm gefallen. Den deutschen Wintern versuchte er ohnehin schon eine Weile zu entkommen, denn Erkältungskrankheiten muss er vermeiden.
Er, der allergisches Asthma und COPD Stufe 3 hat. Jede Krankheit könnte den Zustand seiner Lunge weiter verschlimmern. Im Winterhalbjahr reiste er deshalb oft und hatte so schon über 70 Länder erkundet. Warum also nicht dauerhaft dort leben, wo es warm ist.
Sein Job ermöglicht es ihm, von überall zu arbeiten. Er ist zwar gelernter Yoga-Lehrer, verdient sein Geld aber über seinen Etsy-Shop. Dort verkauft er Mineralien. Amethyste, Achate, Turmaline, Opale.
Mit den Produktfotos macht er sich Mühe, fährt mit den Steinen in die Natur, dorthin, wo die Sonne scheint. Macht Bilder, auf denen die Steine ihre ungewöhnlichen Farben zeigen dürfen. Für ihn sind die Steine mehr als nur Geröll. Für ihn sind sie Lebewesen. Viele Kristalle wachsen in ihrem Lebenszyklus, am Anfang sind sie nur zwei Zentimeter klein, doch über tausende Jahre werden sie groß, schwärmt er. In einem Zeitraffer würde man sie wachsen sehen wie eine Pflanze.
Auch in Portugal verkaufte er sie. Baute seinen Stand auf Märkten und Festivals auf, dazu etwas Schmuck und Kunsthandwerk. Doch er wurde nicht glücklich in Portugal. Das musste er sich eingestehen. Und deshalb kam er nach zwei Jahren zurück nach Deutschland, in den Ruhrpott, in seine Heimatstadt Bochum. Dorthin, wo er noch Freunde aus der Kindheit hat. Dorthin, wo seine Schwester lebt und wo er alle Straßen kennt.

Drei Monate lebte er da ab Juli 2023 auf dem Parkplatz einer Kirche. Ohne Strom. Nur ein Bett und eine kleine Toilette, getrennt von einer Schiebetür. Ein tiny tiny house. Morgens stand er auf und ging in ein nahegelegenes Eiscafé. Dort konnte er seinen Computer laden und nach neuen Bestellungen in seinem Etsy-Shop schauen.
Dann suchte er die verkauften Steine und verpackte sie. Rund 800 hat er in drei großen Umzugskartons gelagert, sie sind in Luftpolsterfolie eingeschlagen, damit sie nicht kaputt gehen. Doch trotz der großen Menge weiß Jochen bei fast jedem, in welchem Karton und in welcher Ecke er sich befindet.

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"Warum wollen Sie umziehen?" Die Antworten auf diese Frage sind so vielfältig und spannend wie der Wohnungsmarkt selbst. In dieser Serie lässt der stern jede Woche Menschen erzählen, warum sie eine neue Wohnung suchen.
Bei jedem Stein freut er sich, wenn der ein neues Zuhause bekommt. "Bei Steinen gibt's kein neu oder gebraucht, die sind alle alt, keinen kümmert's, ob die aus erster, zweiter, dritter oder vierter Hand kommen. Ob die einen Kratzer mehr oder weniger haben." Wobei Jochen eigentlich am liebsten alle behalten würde.
Außer Kleidung und Steinen hat Jochen nicht viel, alles passt in seinen Van. Nur ein großes Gemälde, das früher bei seiner Mutter hing, besitzt er noch. Es ist ein Stillleben, ein Korb mit Früchten. Seine Mutter sagte immer: Schau mal, der Korb ist voll, er ist nicht leer. Eine Metapher, man solle positiv denken. Das hat er sich bewahrt.
Aktuell wohnt Jochen in einer Wohnung, aber nur zum Übergang. Ein Ehepaar vermietet sie ihm. Doch der Sohn des Paares wird diesen Frühling fertig mit Studieren. Er soll die Wohnung haben. Und Jochen muss wieder raus nach nicht mal einem halben Jahr. Da er nicht nur auf Katzen und Hausstaub allergisch ist, sondern auch auf Industrieabgase, sucht er nun eine Wohnung im Grünen.
Falls er nichts findet, würde er auch wieder im Camper wohnen. Erstmal kommt ja der Sommer. Aber allein für seinen Etsy-Shop, für sein Business, braucht er eine feste Adresse. Für Retouren, für unzustellbare Pakete.
Welchen ungewöhnlichen Plan er mit einer fast fremden Frau geschlossen hat, erfahren Sie nächste Woche in der Folge über Ute.
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