Zivildienst "Irgendwann geht die Menschlichkeit verloren"

Ohne Zivis würde vieles auf der Strecke bleiben: Die jungen Männer helfen beim Waschen, Ankleiden, Aufräumen, Essenreichen, sie begleiten die älteren Menschen beim Spaziergang oder zum Arzt, erledigen auch mal kleine Botengänge.

Geduldig reicht Norman Grosser der 70-jährigen Elli Vietense das Frühstück. Stück für Stück mit der Gabel. Allein zu essen, das schafft die an Demenz erkrankte Frau nicht mehr. Zusammen mit 14 weiteren Patienten lebt sie im "geschützten Wohnbereich" des Evangelischen Alten- und Pflegeheims Augustenstift in Schwerin. Norman ist "ihr Zivi". Vor fünf Monaten hat er sich gegen das Militär und für den Dienst an alten Menschen entschieden.

Wohlfahrtsverbände sind alarmiert

Der junge Mann ist einer von rund 95.000 Zivildienstleistenden in Deutschland, die ihren zehnmonatigen Ersatzdienst im sozialen Bereich absolvieren. Die Zukunft dieses Dienstes steht mit der Debatte um Abschaffung der Wehrpflicht auf der Kippe. Wohlfahrtsverbände fürchten um die Qualität der Kranken-, Alten- und Behindertenpflege, falls der Zivildienst auf neun Monate verkürzt und 2008 gänzlich auslaufen sollte.

Besonders Behinderte und ältere Menschen brauchen sie

"Ohne unsere Zivis würde vieles auf der Strecke bleiben", sagt Etta Nast, Leiterin des Sozialen Dienstes im Augustenstift. Die jungen Männer helfen beim Waschen, Ankleiden, Aufräumen, Essenreichen, sie begleiten die älteren Menschen beim Spaziergang oder zum Arzt, erledigen auch mal kleine Botengänge. "Wenn ich mal Heißhunger auf Süßes oder geräucherten Fisch habe, dann bringt der Zivi das für mich mit", freut sich eine Bewohnerin.

Entlastung der Altenpfleger

Den Demenzerkrankten im "geschützten Wohnbereich" indes fehlt die Kraft dazu, ihre Wünsche zu äußern. "Sie brauchen unendlich viel Fürsorge und das Gefühl, nicht allein zu sein", weiß Norman Grosser. Einfach dasitzen, ihnen zuhören, mit ihnen reden, in Ruhe das Essen geben. "Für solche Extras fehlt uns die Zeit. Insofern sind die Zivis durch nichts zu ersetzen", meint Altenpflegerin Lia Grüttner. "Wenn der Zivildienst gekürzt oder gestrichen wird, geht hier irgendwann die Menschlichkeit verloren", ist der 20-jährige Norman überzeugt.

Hilfskräfte müssten erst angelernt werden

Alternativen zu ihren sieben Zivildienstleistenden in den vier Häusern des Augustenstifts sieht Etta Nast nicht. Nur bei einer längeren Übergangsfrist wäre es möglich, Hilfskräfte anzulernen. "Auch geringfügig Beschäftigte müssen bestimmte Fähigkeiten erwerben, um mit stark Pflegebedürftigen vernünftig umgehen zu können", sagt sie. Das Geld für weitere Fachkräfte habe die Einrichtung nicht. Und bereits jetzt trage der Bund nur noch 30 Prozent der Zivi-Kosten, die sich im Monat auf 500 bis 600 Euro je Stelle belaufen würden. Eine weitere Verkürzung der Dienstzeit, die durch Lehrgänge, Einarbeitung und Urlaub ohnehin geschmälert sei, bringe unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand und zudem eine große Unruhe ins Haus.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Junge Männer werden erwachsen

"Gespart wird wieder am falschen Ende", entrüstet sich Norman. Er habe bereits ein Freiwilliges soziales Jahr in einer Behinderteneinrichtung absolviert und wolle nach seiner Zivi-Zeit Krankenpfleger werden. Dies stehe für ihn fest, seit ein Freund durch einen Unfall zum Pflegefall wurde. Im Augustenstift habe er Erfahrungen und Wissen gewonnen, dies alles möchte er nicht mehr missen, sagt er. "Die jungen Männer werden hier erwachsen", beobachtet Etta Nast immer wieder. "Sie bringen viel Liebe zu dieser harten Arbeit mit, aber auch neue Ideen und richtig frischen Wind in die Altenpflege."

DPA
Grit Büttner