Veronique Kouchev designt Computerspiele, studiert Kommunikationsdesign, hat einen eigenen Streamingkanal, malt und bastelt gerne. Ein echter Tausendsassa. Sie hat einen anderen Blick auf die Welt. Sie bemerkt Details, die andere nicht bemerken würden. Doch in einer Welt voller Eindrücke, Geräusche und Hektik ist es schwer für sie runterzufahren. Sie ist eigentlich immer angeknipst. In ihrem Kopf ist viel los. Warum sie die Welt mit anderen Augen sieht, sie Schwierigkeiten hat, die Mimik in Gesichtern zu deuten oder in der Schule ständig aneckte, hat die junge Frau lange nicht verstanden. Sie hatte nur das Gefühl, dass sie anders ist. Das irgendwas an ihr komisch ist. Erst mit 17 Jahren bekommt Veronique Kouchev für dieses Gefühl einen Namen: Autismus-Spektrum-Störung. Ihre Geschichte hat sie in einem Buch aufgeschrieben.
Sie beschreiben, dass Sie schon als Kind gemerkt haben, dass Sie "anders" sind. Können Sie erklären, was Sie damit meinen?
Veronique Kouchev: Ich habe nicht wirklich einen Draht zu den anderen Kindern gefunden. Ich habe andere Wege eingeschlagen, um Lösungen zu finden und habe über andere Dinge nachgedacht. Ich bin angeeckt und in der Schule gemobbt worden. Als auch nach mehreren Schulwechseln immer wieder die gleichen Probleme auftraten, war ich mir sicher, dass ich ein Problem habe. Ich wusste aber nicht, was es ist. Das war sehr frustrierend.
Das hat bestimmt auch zu Konflikten geführt?
Die größten Konflikte gab es wirklich in der Schulzeit. Feuer gegen Feuer – das war immer meine Devise. Zum Beispiel kam es auf einer Klassenfahrt immer wieder zu Reibereien und Auseinandersetzungen, die dann auch gewaltsam endeten. Heute weiß ich, dass es nichts bringt. Kommunikation ist für mich der Schlüssel. Ich erkläre Menschen, warum ich auf eine bestimmte Art reagiere oder warum manche Dinge für mich schwierig sind und in den meisten Fällen reagieren die Menschen verständnisvoll.
Welche Situationen waren in Ihrem Alltag früher am schlimmsten für Sie?
Wenn ich mich nicht mitteilen oder ausdrücken konnte und dieses panische Gefühl in mir hochkam. Was auch schlimm für mich war, wenn ich von Situationen oder Dingen überflutet wurde – wenn es einfach zu viel für mich war.
Wir haben über Ihre Schulzeit und die vielen Probleme, die es gab, gesprochen. Sie schildern selbst, dass Sie "anders" waren. Doch eine Erklärung dafür hatten Sie nie. Erst mit 17 Jahren erhielten Sie die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung. Warum kam die Diagnose erst so spät?
Ich würde heute sogar sagen, dass sie weder zu früh noch zu spät kam. Ich hatte das Glück, mit 17 Jahren diagnostiziert zu werden. So hatte ich als Jugendliche schneller Anspruch auf einen Therapieplatz, als ich es als Erwachsene gehabt hätte. Außerdem war es zu einem Zeitpunkt, an dem ich an der Schwelle zum Erwachsenenleben stand und durch die Diagnose sowie die Therapie die Möglichkeit hatte, mich gut zu wappnen.
Schon als Kind bin ich von einem zum nächsten Psychologen gegangen – doch eine Diagnose habe ich nie bekommen. Ich glaube, dass das Problem darin lag, dass ich immer zu den Psychologen hingegangen bin. Denn: Wir alle präsentieren uns außerhalb unseres Zuhauses anders und verhalten uns nicht genauso wie in unserer gewohnten Umgebung. Schließlich hatte eine Familienhelferin, die mich in meinem Zuhause gesehen und begleitet hat, den Verdacht, dass ich eine Autismus-Spektrum-Störung haben könnte. Nach Gesprächen und schriftlichen Tests bei einer Psychologin bekam ich dann die Diagnose: Asperger-Autismus. Als sie mir erzählt hat, was eine Autismus-Spektrum-Störung ist, konnte ich mich damit hundertprozentig identifizieren. Und das war einfach richtig toll. Für meine Mutter ist an diesem Tag irgendwie die Welt untergegangen, weil sie dachte, dass ich so niemals ein eigenständiges Leben führen könnte. Doch für mich war es wunderbar, dass ich endlich herausgefunden hatte, was mit mir los ist.
Was hat sich dadurch geändert, dass Sie endlich einen Namen dafür hatten?
Ich hatte vorher keine Ahnung davon, dass ich Dinge, Mimik und Situationen anders wahrnehme als andere Menschen. Ich hatte einfach nur das Gefühl, dass ich anders bin, aber ich wusste nicht, warum, wie oder wo genau. Durch die Diagnose wurden mir plötzlich viele Sachen bewusst, ich wusste, womit ich Schwierigkeiten habe oder welche Dinge ich gut kann. Ich konnte mich viel besser mit mir auseinandersetzen und wusste, wo ich anknüpfen konnte. Wir Menschen haben alle den Drang, dass wir eine Erklärung suchen und verstehen wollen, was los ist. Und diese Antwort habe ich mit der Diagnose endlich bekommen. Viele Menschen wollen etwas in ihrem Leben verändern und wissen aber nicht, wie sie das anstellen sollen. Durch die Diagnose wusste ich, wie ich etwas in meinem Leben verändern kann. Ich habe zum Beispiel Schwierigkeiten, die Mimik von Gesichtern zu verstehen. Also habe ich verschiedene Gesichtsausdrücke wie Vokabeln gelernt und kann so im Alltag besser einordnen, wie sich meine Mitmenschen fühlen oder wie sie ticken.

Sie nennen Ihren Asperger-Autismus "anders". Was ist Ihre ganz persönliche Definition?
Es ist ein Teil von mir, wie auch andere Charaktereigenschaften ein Teil von mir sind. "Anders" kann nicht ohne mich existieren und gehört zu mir. So wie mein Arm oder Bein ein Teil von mir ist und nicht ohne mich weiter existieren könnten.
Was ist für Sie das Wichtigste, was Sie auf Ihrem Weg gelernt haben?
Alle Menschen haben Probleme, doch wichtig ist nur, was man daraus macht. Egal, ob es Autismus, eine Depression oder etwas ganz anderes ist. Mit sich selbst in Einklang zu kommen, ist wichtig. Wer mit sich selbst im Einklang ist, kann viele Situationen smooth händeln. Wenn mir zum Beispiel in manchen Situationen manche Begriffe nicht einfallen, scherze ich einfach darüber und lache.
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