Echt jetzt? Die Bundesjugendspiele abschaffen, wegen des "starken Wettkampfcharakters" und dem "Zwang zur Teilnahme". Und weil Kinder in "ihrer Peergroup gedemütigt" werden. So fordert es die Journalistin und Autorin Christine Funke in einer Online-Petition, die innerhalb weniger Tage bereits Tausende unterzeichnet haben.
Einige mögen mich für eine Rabenmutter halten, aber für mich ist dieses Anliegen schlichtweg Unsinn. Auch in der Schule meines zwölfjährigen Sohnes waren vor einer Wochen Bundesjugendspiele. Ich sehe bei ihm und seinen Mitschülern nicht den Ansatz des oben beschriebenen Schadens oder einer Traumatisierung. In einer Gesellschaft, die mehr und mehr unter Übergewicht und Folge-Krankheiten leidet, sollten wir froh sein, wenn sich unsere Kinder bewegen. Stattdessen stellen aber immer mehr Eltern ihren Nachwuchs ruhig. Nicht rennen! Sei nicht so wild! Tob nicht rum! Nicht auf den Baum klettern, du brichst dir sonst was! Solche Sätze sind zum Sound der Kindheit geworden.
Ich frage mich, wie sind wir eigentlich gesund groß geworden? Ich bin natürlich ohne Fahrradhelm Rad gefahren. Knieschützer fürs Rollschuhfahren gab es auch nicht. Und meine Eltern haben mich alleine mit Freunden durch den nahen Wald streifen lassen. Wir fanden das großartig. War es auch. Und natürlich bin ich auch manchmal hingefallen und oft mit blutig aufgeschlagenen Knien nach Hause gekommen. Meine Kindheit war ein tolles Abenteuer und ich hätte es aus heutiger Sicht nicht anders haben wollen. Ich weiß natürlich auch, dass sich die Zeiten geändert haben. Bin ja nicht naiv.
In unserer jetzigen Gesellschaft wollen immer mehr Eltern ihre Kinder vor allem schützen. Enttäuschungen und Niederlagen werden systematisch von den lieben Kleinen fern gehalten. Aber was kommen denn da am Ende für Erwachsene raus? Braucht ein Kind nicht auch mal einen Fehlschlag, um zu lernen, Frust zu verarbeiten? Um wieder aufzustehen und weiter zu machen? Hilft man den Kindern wirklich, wenn man als Helikoptereltern sich immer in alles einmischt? Ich glaube nicht.
Und damit wäre ich wieder bei den Bundesjugendspielen. Ich halte sie auch nicht für die beste Erfindung. Aber aus einem ganz anderen Grund. Leichtathletik und die geforderten Leistungen in den Disziplinen Laufen, Werfen, Weitsprung finden im Schulalltag kaum mehr statt. Welches Kind trainiert heute noch in einem Leichtathletikverein? Stehen dann die Bundesjugendspiele bevor, wird in der Schule schnell eine Doppelstunde im Sportunterricht geübt. Das reicht natürlich überhaupt nicht aus. Schnellkraft, Weitsprung und Werfen liegen hoch komplexe Bewegungsabläufe zu Grunde. Die muss man noch mal und noch mal wiederholen. Erst dann stellt sich Routine und Leistung ein. Für die Rolle, die Leichtathletik im Schulalltag und der Lebenswelt der Kinder spielt, ist sie in den Bundesjugendspielen schlichtweg überrepräsentiert. Wenn man etwas ändern möchte, dann sollte man darüber nachdenken, ob man vielleicht die Disziplinen tauscht. Vielleicht auch einen Teamwettbewerb einführt. Wo die Starken den Schwachen helfen müssen und die einen nicht ohne die anderen ans Ziel kommen. Oder ob man nicht vier oder sechs Wochen durch gezieltes Training auf die Bundesjugendspiele vorbereitet.
Bewegung ist nicht gefährlich. Im Gegenteil. Kinder, die regelmäßig Sport treiben, haben bessere Noten, so die Statistik. Sie sind ausgeglichener und leiden unter weniger Stress. Nervig sind dagegen die Eltern, die ihren Kindern ständig hinterherrufen, dass sie nicht rennen sollten, weil sie ja hinfallen könnten. Die Folgen der Stilllegung sind doch viel, viel schlimmer. Es gibt schon heute unglaublich viele Kinder und Jugendliche mit unglaublich viel Übergewicht. Das sie sicher ihr Leben lang nicht mehr los werden. Es gibt inzwischen ganze Generationen, deren einziger Sport an der Playstation oder der Wi stattfindet. Deren weitester Weg der vom Sofa zur Toilette ist. Ich finde das deprimierend. Mir tun diese Kinder leid, denen nie der Freiraum gelassen wurde, um sich und ihre Körper auszuprobieren. Die nie animiert wurden.
Das Leben ist ein Wettbewerb. Wir sollten nicht so tun, als sei das nicht so. Ich bin mit Sport groß geworden. Tennis, Basketball, Volleyball und Handball. Ich habe große Siege erlebt und viele Tränen über bittere Niederlagen geweint. Besonders beim Tennis, wo es Frau gegen Frau ging, tat das besonders weh. Aber ich habe dabei eine der wichtigsten Lektionen meines Lebens gelernt: Es gibt immer ein Rückspiel. Aber nur, wenn man aufsteht und darum kämpft.
Wir können - und vor allem sollten - unsere Kinder nicht vor allem schützen. Das lässt sie sicher nicht zu besseren Menschen werden. Wenn man die Petition weiterdenkt, dann muss man doch auch fordern, dass jedes Fußballspiel im Sportunterricht nur noch unentschieden ausgeht. Welche Demütigung wäre das denn sonst für das unterlegene Team? Und sollten wir nicht auch gleich, wenn wir schon dabei sind, den Mathewettbewerb Känguru abschaffen? Weil da werden Kinder mit ihrer niedrigen Punktzahl auch bloß gestellt. Und der Vorlesewettbewerb. Weg damit. Klausuren auch.
Aber mal ehrlich: Wollen wir das wirklich? Bei den Olympischen Spielen gibt es auch eine Gold-, eine Silber und eine Bronze-Medaille. Das sind die bejubelten Sieger. Wir feiern sie doch auch alle und jubeln ihnen zu. Und was ist denn so schlimm daran, wenn ein Kind am Ende sagt: Ich habe eine Teilnehmerurkunde, ich bin stolz darauf, denn ich habe alles gegeben?
Und falls sich manche jetzt fragen: Ich habe auch einmal nur eine Teilnehmerurkunde bekommen. Weil ich drei Mal übergetreten bin. So was passiert im Leben. Ich hatte sie trotzdem jahrelang an der Wand in meinem Zimmer hängen. Weil ich mir sicher war, alles gegeben zu haben.