Defibrillatoren Flimmern mit Aufsicht

Von Erdmann Wingert
Defibrillatoren kennen viele Menschen aus Arztserien: bügeleisenartige Geräte, mit denen Doktoren Stromstöße ins Herz eines Bewusstlosen jagen. Der Mini-Defi unseres Autors wohnt in seiner Brust. Ein Schutzengel, allzeit bereit, ihm mit einem elektrischen Schlag das Leben zu retten.

Der Engel, der mein Leben rettete, war unrasiert und sprach gebrochen deutsch. "Wird alles gut!", sagte er und pumpte mit beiden Händen meinen Brustkorb auf und nieder. Ich lag auf dem Rücken und starrte in die entsetzten Gesichter der Leute, die mich umringten. Hinter ihren Köpfen stand ein Gewitterhimmel, von der nächsten Kreuzung heulte ein Rettungswagen heran.

"Wirst sehen, bald alles gut", wiederholte mein Engel, richtete sich auf, klopfte den Straßenstaub von den Knien und verschwand. Erst jetzt spürte ich die Beule an meinem Hinterkopf, Blut sickerte in meinen Kragen. Ich musste so plötzlich das Bewusstsein verloren haben, dass ich nicht mehr gespürt hatte, wie ich aufgeschlagen war.

Pumpleistung von unter 30 Prozent

Keine Frage, warum es mich umgehauen hatte. Seit einem Infarkt stolperte mein Herz, es hatte sich auf ungesunde Weise vergrößert und besaß nur noch eine Pumpleistung von weit unter 30 Prozent. In solchen Fällen genügt es, gestresst zu sein und durch Gewitterschwüle zum Bahnhof zu hasten - schon nähert man sich dem Zustand, der "Sekundenherztod" heißt und allein in Deutschland jedes Jahr mehr als 100.000 Menschenleben fordert. Er ist eine der häufigsten Todesarten in Deutschland.

Alle fünf Minuten fällt hierzulande ein herzkranker Zeitgenosse um und ist innerhalb weniger Minuten hin, wenn nicht schleunigst ein Engel um die Ecke biegt, der - wie in meinem Fall - etwas von Herzmassage versteht. Mit jeder Minute Wartezeit verringert sich die Chance zu überleben um zehn Prozent.

Schon vor meinem Sturz spielte Angst mit, wenn ich mit meinen Kindern, dem Enkel oder Freunden unterwegs war. Es genügten ein Schwindelgefühl, ein Druck auf dem Brustbein, ein kaum merkliches Herzblubbern, schon fürchtete ich, umzukippen und meinen Lieben einen Todesschrecken einzujagen.

Ein Engel, kaum größer als eine Streichholzschachtel

Der Engel, der mich inzwischen vor Angstpartien dieser Art bewahrt, ist etwas größer als eine Streichholzschachtel und wohnt einen Fingerbreit unterhalb meines Schlüsselbeins. Als ich ihn zum ersten Mal sah, lag er in der Hand von Anselm Schaumann, Oberarzt an der Hamburger Asklepios-Klinik St. Georg. Ein silbrig graues Gerät, unscheinbar und doch mit dem Wert eines Mittelklassewagens.

Denn das Ding, das mir Dr. Schaumann in einer dreistündigen Operation einsetzte, ist weitaus mehr als nur ein Schrittmacher, der mit leichten Stromstößen mein lahmendes Herz auf Trab bringt. Es registriert über drei Sonden, die es mit dem Herzen verkabeln, jede Unregelmäßigkeit, bremst zu schnelle Schläge aus und schießt seine geballte elektrische Ladung ab, wenn das lebensgefährliche Kammerflimmern droht, die "Fibrillatio" wie es auf Latein heißt.

Platinspitze im Herzmuskel

Rund 250 dieser sogenannten Defibrillatoren, kurz Defi genannt, platziert Schaumann pro Jahr in Brustkästen von herzschwachen Patienten, nach siebenjähriger Praxis ein Routineakt. Dennoch klingt immer noch Begeisterung mit, wenn er die Funktionen des winzigen Wunderwerks schildert. Ist das Interesse des Patienten groß genug, demonstriert er sie anhand eines Kunststoffherzen, das sich aufklappen und erkennen lässt, wie er die Sonden vom Defi aus durch Venen und Herzkammern zu den Stellen fädelt, wo sie ihre vorbeugende, im Notfall auch schockartige Wirkung ausüben können.

Da wird's dem Patienten schon mal ein wenig mulmig, wenn ihm der Doktor die korkenzieherartige Platinspitze der Sonde unter die Nase hält und erklärt, wie man sie in den Herzmuskel dreht. "Einhakeln" nennt er das, und wenn der Patient bei diesem Wort zusammenzuckt, verdeutlicht er ihm an Vorgängermodellen, die er aus einem Pappkarton kramt, den segensreichen Fortschritt der Defi-Technik. Groß wie eine Männerhand ist eines der Geräte, das er noch vor ein paar Jahren eingesetzt hat. "In die Bauchhöhle", erklärt er, "und die Sonden haben wir direkt ans Herz genäht."

Eine gruselige Vorstellung

Ob genäht oder verhakelt auch bei den modernen Mini-Defis gilt, dass man in den ersten Wochen keine Klimmzüge oder ähnlich heftige Übungen über dem Kopf machen darf, weil dadurch die Sonde aus ihrer Verankerung gerissen werden könnte. Eine gruselige Vorstellung! Sie ist vergessen, sobald der fünf Zentimeter lange Schnitt unterm Schlüsselbein vernarbt ist und man wieder so weit im Gleichgewicht ist, dass man sich aufs Rad schwingen darf.

Oder wenn einem beim Treppensteigen nicht schon nach fünf Stufen schwarz vor Augen wird, bei Stress und Gewitter allenfalls ein Kribbeln in der Brust andeutet, dass der freundliche Fremdkörper überm Herzen eingegriffen und möglicherweise das Schlimmste verhütet hat. Aber selbst bei unkontrolliertem Herzrasen mit bis zu 500 Schlägen pro Minute hätte er ja noch ein letztes Mittel in der Reserve gehabt: den Elektroschock, der mir bisher zum Glück erspart geblieben ist.

Man kennt diesen Effekt aus Notarztserien im Fernsehen: diese bügeleisenartigen Geräte, mit denen ein beherzter Doktor eine geballte Stromladung ins flimmernde Herz eines Bewusstlosen jagt. Inzwischen gibt es in Deutschland rund 10.000 externe Defi brillatoren, sie gehören zum Standard jedes Rettungswagens, hängen in Flughäfen, Bahnhöfen und vielen Kaufhäusern herum. Sogar im Freiburger Münster steht eines bereit - offenbar hat auch das Gottvertrauen der Kirche seine Grenzen.

Leider werden diese lebenswichtigen Geräte in Deutschland viel zu selten genutzt, wahrscheinlich weil kaum einer weiß, dass es sie gibt. Anderswo haben sie sich vielfach bewährt, unter anderem in den Kasinos von Las Vegas, wo sie an allen Ecken und Enden präsent sind, dazu Personal, das mit ihnen umgehen kann. Jeder zweite vom plötzlichen Herztod bedrohte Besucher wird dort per Elektroschock gerettet und somit als dankbarer Kunde erhalten.

Externe Geräte müssen Haut und Fleisch überwinden

Im Gegensatz zu meinem implantierten Defi mit seinem direkten Draht zum Herzen, müssen externe Geräte den Widerstand von Haut, Fleisch und Rippen überwinden und deshalb mit einer Stromstärke zuschlagen, bei der eine Haushaltssicherung durchknallen könnte. Entsprechend heftig gestaltet sich die Reaktion des Betroffenen, der sich unter den handtellergroßen Elektroden wie bei einer Teufelsaustreibung windet und aufbäumt. Einschlägige Ratgeber warnen davor, ihn zu berühren, während er unter Strom steht. Bis zu 360 Joule - die 70-fache Ladung eines Elektrozauns - könnten sogar einen Ochsen flachlegen.

Der kleine Notarzt über meinem Herzen kommt mit 30 Joule aus, wenn er überhaupt eingreifen muss. Gut möglich, dass er weiterhin nur Bereitschaftsdienst schiebt, nicht zuletzt, weil ich ein braver Patient bin, der sich das Rauchen abgewöhnt hat und täglich eine Handvoll Pillen schluckt, die Pulsfrequenz und Cholesterinspiegel senkt, Blut verdünnt und Gefäße erweitert. Aber der wichtigste Schutzfaktor scheint mir die Tatsache zu sein, dass mein Defi ein minutiöses Tagebuch führt und lernfähig ist.

Es grenzt an Zauberei, die ich alles halbe Jahr in der Ambulanz des Doktor Schaumann erlebe, wenn ich in Rückenlage neben seinem Monitor ruhe und eine ringförmige Apparatur auf meiner Brust die Daten aus dem winzigen Computer des Defis abruft, um sie in sein Programm einzugeben. Es heißt "Merlin", wie der mythenumwobene Magier, und bietet meinem Arzt die zauberhafte Möglichkeit, jede Rhythmusstörung der vergangenen Monate zu erkennen und zu analysieren, auch solche, die ich gar nicht wahrgenommen habe.

So kommt es vor, dass mich Schaumann fragt, was denn an einem bestimmten Tag vor einem halben Jahr mit mir los war. Jedes Mal habe ich längst vergessen, was mein Herz flimmern ließ, Merlin nicht. "Jeder bringt andere Störungen mit", sagt Schaumann, während er seinen Cursor durch endlose Datenreihen jagt. "Die Kunst besteht darin, den Defi auf den Patienten individuell einzustellen. Einer braucht mehr Stimulation, der andere weniger."

Genau dosierte Stromstöße

Mein gelehriger Defi erkennt inzwischen ziemlich genau, ob der Aufstieg über vier Treppen oder eine krankhafte Störung meinen Pulsschlag erhöht hat, wartet ab, ob sich der Kreislauf beruhigt, und schreitet erst ein, wenn die Frequenz über die kritische Marke von 180 Schlägen pro Minute steigt. In diesem Fall leitet er ein verblüffendes Überholmanöver ein: Mit genau dosierten Stromstößen erhöht er die Pulsfrequenz auf 190 und bremst sie aus dieser Führungsposition auf das Normalmaß von 60 herunter.

Es lässt sich leben mit einem so klugen Kerlchen in der Brust, das nicht nur den Kreislauf, sondern auch das seelische Gleichgewicht stabilisiert. Denn das Herz ist ja mehr als nur ein Muskel, ist das Organ, dem wir Empfindungen aller Art zuordnen. Dankbarkeit gehört dazu, nur: Wie dankt man einem grauen Kästchen, das im Verborgenen wirkt? Stattdessen würde ich lieber meinen Lebensretter ans Herz drücken, das unter seinen Händen wieder auferstanden ist. Doch wie's mit Engeln so geht, er ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Nur seine Prognose hat Bestand: "Wird alles wieder gut!"

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