Anzeige
Anzeige

Depression Der graue Schleier über der Seele

Eine Depression kann jeden treffen. Im stern.de-Interview spricht Psychiater Ulrich Hegerl über Ursachen und Symptome der Volkskrankheit.

Herr Hegerl, wie viele Menschen sind in Deutschland von einer Depression betroffen?
Die Depression gehört zu den häufigsten und auch zu den am meisten unterschätzten Krankheiten. Sie zählt zu den größten Volksleiden. In Deutschland sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung betroffen - das entspricht ungefähr vier Millionen Menschen.

Tritt die Krankheit häufiger auf?
Wenn man die Statistiken der Krankenkassen betrachtet, könnte man diesen Eindruck gewinnen. Psychische Erkrankungen sind immer häufiger ein Grund, dass sich Menschen arbeitsunfähig melden oder früher in Rente gehen. Allerdings werden Depressionen mittlerweile auch besser erkannt. Vieles, was früher als chronischer Rückenschmerz, Burn-out oder Tinnitus diagnostiziert wurde, war tatsächlich eine Depression. Auch die Versorgung hat sich deutlich verbessert. Dass in den vergangenen 20 Jahren die Anzahl der Suizide von jährlich 15.000 auf um die 9400 gesunken ist, dürfte dadurch zu erklären sein

Was löst eine Depression aus?
Eine Depression hat zumeist viele Gründe. Chronische Überlastung, der Verlust des Arbeitsplatzes, der Tod einer nahestehenden Person - das alles sind mögliche Auslöser. Oft findet man aber auch keine nennenswerten Auslöser oder es sind eher positive Veränderungen im Leben wie eine Beförderung oder ein Urlaubsantritt, die dem Depressionsbeginn vorausgehen. Um depressiv zu erkranken ist eine Veranlagung hierfür notwendig, wobei diese genetisch bedingt oder auch erworben sein kann. Wenn ein Verwandter ersten Grades depressiv ist, erhöht sich das Risiko, selbst an einer Depression zu erkranken, um das Zwei- bis Dreifache. Auch eine Traumatisierung in der frühen Kindheit kann das Risiko steigern, im späteren Leben depressiv zu erkranken.

Woran erkenne ich, ob ich selbst oder ein mir nahestehender Mensch erkrankt ist?
Wenn jemand depressiv ist, ist nicht nur die Stimmung gedrückt, das ganze Leben verändert sich. Die Betroffenen sind oft nicht in der Lage, kleinste Entscheidungen zu treffen. Sie scheinen wie erstarrt, ohne die Fähigkeit, Freude zu empfinden. Sie plagen sich mit Schlafstörungen und Appetitmangel, der mit einem Gewichtsverlust verbunden ist. Die Wirklichkeit wird häufig vollkommen pessimistisch verzerrt wahrgenommen. Depressive machen sich Vorwürfe, geben sich selbst Schuld an ihrem Zustand. Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle entstehen. Viele ziehen sich zurück, nehmen nicht mehr am sozialen Leben teil. Besonders schlimm ist die allumfassende Hoffnungslosigkeit, aus der sich viele Depressive nicht mehr befreien können. Dann kommt es zur verzweifelten Tat.

Gehören Suizidgedanken zur Depression?
Ja. Fast alle Patienten mit schweren Depressionen denken zumindest an Selbsttötung. Es existieren verschiedene Zahlen, aber vier bis zehn Prozent aller schwer depressiv Erkrankten bringen sich um. Bis zu 90 Prozent der Suizidopfer waren psychisch krank. Ein Suizid erfolgt fast immer vor dem Hintergrund einer psychischen Erkrankung, wobei die Depression am häufigsten ist. Sie ist daher nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv eine schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung.

Wie kann den Erkrankten geholfen werden?
Es gibt gute Möglichkeiten, Depressionen zu behandeln - zum einen mit Antidepressiva und zum anderen durch Psychotherapie. Insbesondere für die so genannte kognitive Verhaltenstherapie ist die Wirkung gut belegt. Zumeist ist es sinnvoll, Medikamente und Psychotherapie zu kombinieren.

Wie verhalte ich mich als Angehöriger am besten?
Für die Angehörigen ist es vor allem wichtig, dass sie sich über die Krankheit informieren und das ablehnende Verhalten nicht auf sich selbst beziehen. Soweit die eigenen Kräfte reichen, ist es sinnvoll, dass sie dem Erkrankten Mut zusprechen und an seiner Seite stehen. Zudem sollten sie mit gut gemeinten Ratschlägen vorsichtig sein: Es hilft nicht, einen depressiven Menschen aufzufordern, sich zusammenzunehmen. Dieser Ratschlag verstärkt möglicherweise sogar die Schuldgefühle. Wichtige Entscheidungen sollten aufgeschoben werden, bis die Depression vorbei ist. Denn in den Tiefphasen nehmen die Betroffenen die Realität verzerrt war - und bereuen eventuell in Nachhinein ihre Entscheidungen.

Wie erkenne ich als Angehöriger oder Arzt, dass sich jemand das Leben nehmen will?
Wenn jemand andeutet, dass er sich umbringen will, ist dies immer ernst zu nehmen. In den meisten Fällen wird ein Suizid vorher angekündigt. Verwandte sollten in diesem Fall darauf drängen, dass eine Behandlung durch einen Psychiater oder Nervenarzt erfolgt.

Wie können Angehörige den Schock verarbeiten, wenn sich ein nahestehender Mensch das Leben nimmt?
Das ist eine der schrecklichsten Situationen. Die ganze Familie ist traumatisiert. In diesem Fall ist nur zu hoffen, dass sie gemeinsam den Schicksalsschlag bewältigen. Dabei ist es vielleicht gut, sich vor Augen zu führen, dass selbst Ärzte in Fachkliniken Depressive nicht immer von diesem Schritt abhalten können. Auch Fachleute schätzen Situationen manchmal falsch ein.

Zur Person

privat Ulrich Hegerl ist Direktor der Klinik für Psychiatrie der Universität Leipzig und Vorstandvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Auf den Internetseiten findet sich Hilfe für Betroffene und Angehörige.

Lea Wolz

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel