Heute keine Kolumne. Sondern ein Bekennerbrief zur Aufmerksamkeitsstörung - Attention deficit disorder. Nicht verbunden mit Hyperaktivität, nur im Kopf. Ich hab das. In milder Form. Und ich lebe sehr gut damit. Ich lebe sogar davon. Denn ohne meine sprunghafte Aufmerksamkeit wäre ich nie Komiker geworden. Und viele meiner Komikerkollegen auch nicht. Ohne den persönlich allesamt sehr Geschätzten zu nahetreten zu wollen - man muss kein Neurologe sein, um die Ferndiagnosen "Hypermotorik" zu stellen: bei Ingolf Lück, Mathias Richling oder Otto Waalkes. Gut - Rüdiger Hoffmann ist anders. Ausnahmen bestätigen die Regel.
"Das Reh springt hoch, das Reh springt weit - warum auch nicht, es hat ja Zeit!" Komik springt um die Ecke. Und um auf so etwas zu kommen, braucht man eine gelockerte Assoziationsfähigkeit. Ist sie viel zu locker, landet man in einer Geschlossenen, ist sie aber nur ein bisschen locker, lockert der Umgang damit andere auf, sie lachen und sind sehr dankbar dafür. Und man selbst auch, denn zum Schalterbeamten hätte man es nie im Leben bringen können.
Pläne einhalten ist das Schwerste
Schwer haben wir geistig Hyperaktiven es nur, wenn etwas ernsthaft von uns verlangt wird: still sitzen, über Stunden uns mit nur einem Thema beschäftigen oder aber übers Leben mit nur einem Job oder Partner. Das Schwerste ist Pläne einhalten. Pünktlich abgeben oder abheben.
Wie oft hätte ich mir ein bisschen mehr Humor gewünscht, speziell an Flughäfen beim Einchecken. Ich fliege immer "Last Minute". Was die Zeit zwischen Ankunft am Flughafen bis zum Abflug angeht. "Der Flug ist schon abgeschlossen." Nein, ist er nicht! Wie kann der Flug abgeschlossen sein, er ist ja noch nicht mal gestartet! Aber mein Gegenüber bleibt hart. Aus Sicherheitsgründen - dem Joker für alle absurden Regeln.
Krasser können die Denkwelten nicht aufeinanderprallen. Für mein Verständnis könnte ich dem Flieger noch auf dem Rollfeld hinterherrennen, so wie einem Zug oder Bus. Aber für das Frontalhirn, das mir frontal gegenübersitzt, ist der Flug 40 Minuten vor dem Abflug abgeschlossen. Abfertigung fertig. Er hat fertig. Ich bin fertig. Das verstehe ich nicht, und er versteht nicht, dass ich das nicht verstehe. Und auch nicht daraus gelernt habe, dass mir das schon oft passiert ist.
Komik ist Tragik plus Zeit
Es ist ja auch kein böser Wille, da kamen halt noch ein paar kleinere Dinge dazwischen, als ich zu Hause loswollte. Aufräumen, anziehen und packen zum Beispiel. Ja, man hätte auch schon am Abend vorher die Sachen packen können. Aber da war ja die letzte Minute noch nicht angebrochen - die einzige Minute, in der wir durch den äußeren Druck die verstreuten Teile unserer Aufmerksamkeit für einen Moment unter einen Hut bringen. Jedenfalls die Teile, die man in dem Moment finden kann. Und wenn dann in einer Minute loskommen, losfahren und ankommen passieren soll, klappt das tragischerweise nie. Eigentlich komisch.
Komik ist Tragik plus Zeit. Und selbst wenn man sich in dem Moment total doof vorkommt: Wenn man mit fliegenden Fahnen, offenen Koffern und Schnürsenkeln den Abflug verpasst, ist man für Außenstehende amüsant. Und wenn man ein bisschen neben sich stehen kann, auch wieder für einen selbst. Wie ein Clown, der immer wieder über denselben Fuß stolpert, aber der Fuß gehört nun mal zu ihm.
Oft werde ich gefragt, wie ich auf meine Ideen komme. Ich habe es Ihnen verraten. Nicht weitersagen. Uns leicht Verrückte braucht es, um auf der Bühne mit dem nacherzählten Scheitern anderen Mut zu machen, selbst mal wieder richtig zu scheitern. Denn gescheitert ist man im Leben nur, wenn man liegen bleibt. Das Schlimmste, was man sich am Ende seiner Tage vorzuwerfen hätte: "Ich bin noch nicht mal gescheitert." Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Stimmt - das war ja das Thema.
Dieser Artikel stammt aus unserem Archiv. Zum Start des Magazins "DR. v. HIRSCHHAUSENS STERN GESUND LEBEN" spielen wir die besten Kolumnen des Arztes.