Gießen und Marburg Unikliniken werden privatisiert

Mit Händen und Füßen haben sich die Gegner gewehrt, doch nun ist es soweit: Erstmals werden in Deutschland zwei Universitätskliniken fusioniert, um sie anschließend zu privatisieren. Ein Modell für ganz Deutschland?

Aus zwei traditionsreichen mittelhessischen Unikliniken wird heute am 1. Juli das neue "Universitätsklinikum Gießen und Marburg". Dann bleiben noch fünf Monate Zeit, um den riesigen Komplex mit den rund 8.600 Beschäftigten wie geplant zum 1. Januar 2006 an einen privaten Betreiber zu verkaufen.

Die Fusion geht leise über die Bühne, ganz ohne offizielles Tamtam. "Außer der Rechtsform ändert sich zunächst einmal nichts für die Beschäftigten und die Patienten", betonte der Sprecher des hessischen Wissenschaftsministeriums, Ulrich Adolphs. Die Zusammenlegung sei aber die Voraussetzung für die spätere Privatisierung. Das wurde in dem Anfang Juni im Landtag beschlossenen Fusionsgesetz festgelegt.

Gebäude sind marode

Zunächst hatte auch die Möglichkeit eines Einzelverkaufs der beiden Kliniken im Raum gestanden, doch wäre das wohl früher oder später zu Lasten eines Standortes gegangen. Beim Ministerium glaubt man, dass Gießen das Opfer gewesen wäre. Schließlich stehen in den maroden Gebäuden Investitionen von rund 200 Millionen Euro an - nicht gerade verlockend für einen Investor. Dagegen halten sich die Gießener selbst für das attraktivere Verkaufsobjekt. Die Stadt liegt immerhin an der Schnittstelle mehrerer Autobahnen, während Marburg viel schwieriger zu erreichen ist. Außerdem verweist die Gießener Klinikleitung auf die gute Bettenauslastung von knapp 85 Prozent.

Kein Wunder, dass in Gießen vom Vorstand über das Präsidium bis zur Universität fast alle für eine Privatisierung sind - ausgenommen der Personalrat, der einen massiven Stellenabbau befürchtet. Die Zustimmung liegt auch an den fehlenden Alternativen: "Wenn wir diesen Weg nicht gehen, wird unser Standort langfristig nicht erhalten bleiben", unkte der Ärztliche Direktor Wolfgang Weidner im März in einem Interview der "Wetzlarer Neuen Zeitung". Nur von einem privaten Investor erhoffen sich die Gießener die dringend benötigten Sanierungsmittel, ohne die das Krankenhaus im Wettbewerb mit Marburg langsam eingehen dürfte. Noch Mitte Mai betonte Weidner bei einer Pressekonferenz: "Wir sind auch bereit, uns allein privatisieren zu lassen."

"Klinika gehen baden"

Mittlerweile heißt es aber: alle oder keiner. Im Herbst will die Landesregierung Einzelgespräche mit den möglichen Käufern aufnehmen. Bislang sollen Asklepios, Helios und die Rhön-Kliniken AG Interesse an den Kliniken angemeldet haben, die jährlich Erträge von 575 Millionen Euro erwirtschaften. Auch die kommunalen Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden sind im Gespräch.

Doch die Gegner der Privatisierung haben noch längst nicht aufgegeben. In einer Art Last-Minute-Aktion will die Bürgerinitiative "Rettet die Klinika" am Donnerstagnachmittag noch einmal gegen die Pläne der CDU-Landesregierung unter Hessens Ministerpräsident Roland Koch protestieren. Unter dem Motto "Klinika gehen baden" wollen die Personalräte beider Kliniken stellvertretend für die Belegschaft in der Lahn baden.

Angst um die Beschäftigten

Die Sorgen sind nicht unberechtigt. Zwar hat die Landesregierung eine Beschäftigungsgarantie bis 2010 gegeben, aber langfristig dürften die von den Befürwortern so gern angeführten Synergieeffekte zu Lasten des Personals gehen. "Die Beschäftigungsgarantie ist aus unserer Sicht löchrig wie ein Schweizer Käse", kritisierte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die die beiden Häuser unbedingt "in öffentlicher Regie" halten will.

Ungeklärt ist auch noch, wie an dem fusionierten und privatisierten Superklinikum die Trennung von Forschung und Lehre funktionieren soll. Schließlich muss das profitorientierte Unternehmen ab dem nächsten Jahr mit zwei medizinischen Fachbereichen von unterschiedlichen Universitäten kooperieren. Auch in diesem Fall übernimmt Hessen eine "bundesweite Vorreiterrolle". Der Gießener Klinikchef Weidner geht jedenfalls davon aus, dass die Entwicklung in Mittelhessen Modell für ganz Deutschland werden könnte. Demnach schauen derzeit alle auf Gießen und Marburg und warten ab, ob die Privatisierung klappt.

Lisa Arns, AP

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