Das Klischee ist festgenagelt in den Köpfen: HIV und Aids, das betrifft vor allem homosexuelle Männer. Auch die seit Jahren bestehenden Einschränkungen beim Blutspenden, die jetzt erst nach und nach gelockert werden, scheinen zu bestätigen, dass diese Einschätzung korrekt ist. Die Erklärung scheint einfach: Homosexuelle Paare müssen beim Sex nicht mit ungewolltem Nachwuchs rechnen, ihnen wird daher vorgeworfen, auf Schutz z.B. mit Kondomen nicht genug Wert zu legen. Doch aktuelle Zahlen rütteln an diesen Vorurteilen.
In Großbritannien wurde nun vermeldet, dass die Zahl der heterosexuellen neu mit HIV Infizierten (49 Prozent) erstmals seit zehn Jahren die der homosexuellen Betroffenen (45 Prozent) übersteigt. (Die fehlenden Prozentpunkte machen z.B. von Müttern auf Neugeborene übertragene Infektionen aus.) Das bedeutet glücklicherweise nicht, dass sich deutlich mehr heterosexuelle Menschen als zuvor infizieren – sondern dass es sehr viel weniger neue homosexuelle Patienten gibt. Diese wissen um das Risiko und treffen zunehmend konsequent Vorkehrungen. Auch die Entwicklung der Medizin hilft dabei: Die Prophylaxe-Pille "PreEP" (Prä-Expositions-Prophylaxe) kann eine Ansteckung von vornherein verhindern. Leicht zugängliche, immer schnellere Tests helfen bei der Früherkennung und erfolgreichen Behandlung des Virus.
Heterosexuelle Menschen wähnen sich in Sicherheit
Mit all diesen Punkten dürften sich zahlreiche heterosexuelle Menschen noch nie beschäftigt haben – fatalerweise. Denn auch in Deutschland steigt die Zahl der Neuinfektionen vor allem bei Heterosexuellen. 2600 neue HIV-Fälle wurden 2019 gezählt, die Zahl der homosexuellen Betroffenen blieb dabei auf Vorjahresniveau, während es 120 Fälle mehr als zuvor bei heterosexuellen Menschen gab. Sowohl durch sexuelle Kontakte als auch durch Drogennutzung, so das RKI. Die Experten warnen, dass bei heterosexuellen Betroffenen, die sich nicht als Teil einer Risikogruppe sehen, die Infektion oft erst sehr spät entdeckt wird – besonders bei Frauen oder älteren Menschen. Aus diesem Grund stecken sie oft unabsichtlich weitere Personen an, bis sie irgendwann eine Diagnose bekommen.
Großbritannien hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die Zahl der Neuinfektionen mit HIV auf null zu senken – und die stetig sinkende Zahl der Ansteckungen lässt dieses Vorhaben inzwischen tatsächlich möglich erscheinen. Doch während die meisten homosexuellen Menschen einen aktiven Beitrag leisten, um vorzusorgen und sich und andere zu schützen, muss bei Heterosexuellen offenbar noch mehr Aufklärungsarbeit geleistet und über Vorsorgemöglichkeiten informiert werden.
Quellen: "The Guardian", RKI, "Vorsorge Online"