Alle Babys schreien. Bekommen sie, was sie brauchen, sind sie schnell ruhig. Doch manche Säuglinge brüllen weiter - ohne Ende. Besonders in den ersten drei Monaten ihres Daseins ist es besonders schlimm.
Nichts hilft: kein Stillen, kein Herumtragen, kein Kuscheln. Das kann Eltern verzweifeln lassen. Je mehr das Baby weint, umso angespannter werden die Eltern. Sie können es nicht beruhigen und fühlen sich hilflos. Wahrscheinlich sind sie zudem unausgeschlafen. All das sind keine guten Voraussetzungen, um einfühlsam mit dem Kind umzugehen. Was die Eltern häufig nicht wissen: Das Baby hat ganz andere Probleme, als sie meinen.
Bauchschmerzen und Blähbauch sind nicht die Ursache
Trotz jahrzehntelanger Forschung bleiben die Ursachen der Brüllerei unklar. Früher nahmen Mediziner an, dass es Bauchschmerzen seien, die diese Säuglinge weinen lasse. Deshalb tauften sie das Syndrom auf den Namen Säuglingskolik. Doch Koliken, also Bauchkrämpfe, sind nicht der Grund für das Geschrei. Denn Verdauungsprobleme haben solche Babys eher selten: Nur fünf bis zehn Prozent der kleinen Brüller vertragen kein Eiweiß aus Kuhmilch oder Soja. Noch viel seltener malträtiert eine entzündete Speiseröhre die Schrei-Kinder.
Da brüllende und unruhige Kinder oft einen aufgeblähten Bauch haben, vermuteten Ärzte früher darin den Grund für das Schreien. Auch das beurteilen Fachleute heute anders: Der Bläh-Bauch kommt vom Schreien. Die Babys schlucken dabei so viel Luft, dass sich der Leib wie ein Luftballon aufpumpen kann.
Das Leben an sich macht den Babys zu schaffen
Schrei-Babys werden also nicht von Bauchschmerzen geplagt. Was ihnen zu schaffen macht, so vermuten Wissenschaftler, ist das Leben an sich: Die Neuankömmlinge müssen eine Menge lernen, sie müssen viele Reize verarbeiten und einen Rhythmus finden zwischen Wachen und Schlafen. Fachleute bezeichnen diesen Prozess als Selbstregulation.
Einige Kinder schaffen das sehr gut. Sie sind aufmerksam, wenn sie wach sind, und schalten ab, wenn zu viel auf sie einstürmt. Sie können sich sogar selbst beruhigen, indem sie an ihren Fingern nuckeln. Säuglinge, die übermäßig schreien, können all dies nicht so gut. Sie sind häufig überreizt und schlafen schlecht ein. Sie reagieren sehr empfindlich auf Umweltreize. Manche sind schon überfordert, wenn die Eltern sie wickeln wollen.
Warum manche Babys so empfindlich sind, ist bisher noch unklar. Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang mit der Schwangerschaft. Säuglinge neigen eher zum exzessiven Schreien, wenn ihre Mütter während der Schwangerschaft seelisch besonders stark belastet waren. Das belegt eine deutsche Studie. Ein niederländisches Forschungsteam bestätigte dies und fand heraus, dass Mütter von Schreikindern eher unter Depressionen litten, Ängste bezüglich ihrer Schwangerschaft hatten und unter starkem beruflichen Druck standen.
Holen Sie sich Hilfe vom Profi statt Pillen
Wenn Ihr Baby empfindlich ist und sehr viel schreit, sollten Sie es nicht zu vielen Reizen aussetzen. Achten Sie auf einen ruhigen Tagesablauf und gönnen Sie Ihrem Kind regelmäßige Schlafphasen. So helfen Sie dem Säugling, sich in der Welt zurechtzufinden. Medikamente, etwa gegen Blähungen, können Sie vergessen - sie helfen nicht. Und eine Ernährungs-Umstellung ist nur dann sinnvoll, wenn Ihr Kind tatsächlich allergisch gegen ein Nahrungsmittel ist.
Suchen Sie sich auf jeden Fall Hilfe, wenn Sie sich überfordert fühlen. Ihre Anspannung wird sonst zu groß und Sie können nicht mehr mit der nötigen Gelassenheit auf Ihr Kind reagieren. Zudem kann sich auch Ihr Kind nicht altersgerecht entwickeln, wenn es immer weiter schreit.
Lassen Sie sich von Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin sowie von Freunden und Verwandten helfen. Als entnervter Vater oder als erschöpfte Mutter müssen Sie sich zwischendurch ausruhen können. Lassen Sie den Arzt auch untersuchen, ob Ihr Kind krank ist. Hilfe können Sie auch in so genannten Schreiambulanzen finden. Diese sind angegliedert an Kliniken, Praxen und Beratungsstellen.
Symptome
Beim Schreien zieht das Baby die Beine an und ballt die Hände zu Fäusten. Das Gesicht ist hochrot, der Rücken überstreckt, der Bauch häufig hart und gebläht. Dabei ist das Gebrüll schrill und geht durch den ganzen Körper des Säuglings. Vor allem in den Abendstunden weint und quengelt das Kind. Tagsüber kommen es nur schwer zur Ruhe, es kann meist nicht länger als 30 Minuten am Stück schlafen. Insgesamt schläft es weniger als sein Altersgenossen.
Ab wann ein Schreien als übermäßig gilt, haben Fachleute mit der so genannten Dreier-Regel definiert: Das Kind brüllt mindestens drei Stunden täglich. Und zwar an mehr als drei Tagen in der Woche. Und das Ganze dauert länger als drei Wochen. Charakteristisch ist, dass das Baby ohne erkennbaren Grund weint und sich durch nichts trösten lässt. Ärzte sprechen in solchen Fällen auch von Dreimonatskoliken.
Meist beginnen die Schreiattacken um die zweite Lebenswoche herum, nehmen bis zur sechsten Lebenswoche zu und enden meist, wenn das Baby vier Monate alt wird. In einigen Fällen hält die Brüllerei bis zum sechsten Lebensmonat oder noch länger an.
Durchfall ist ein Zeichen für eine Allergie
Möglicherweise schreit Ihr Baby, weil es allergisch auf Lebensmittel reagiert, zum Beispiel auf das Eiweiß in der Kuhmilch. Für eine Allergie würde sprechen, dass Ihr Kind gleichzeitig Durchfall hat und an Blutarmut leidet: Dann ist es sehr blass. Aber auch Sodbrennen, der so genannte Säure-Reflux, kann Ihren Säugling peinigen. Sie erkennen das daran, dass Ihr Kind häufig erbricht, besonders im Liegen.
Schrei-Babys haben manchmal eine zu schlaffe Muskeln oder solche, die zu angespannt sind. Zudem können sie oft ihren Körper nicht so gut koordinieren. Manche Fachleute sehen auch einen Zusammenhang zwischen übermäßigem Schreien und einer Störung, die vom Kopfgelenk ausgeht: Bei manchen Babys mit diesem so genannten KISS-Syndrom ist der Kopf etwas schief, daher tun Bewegungen weh. Eine Physiotherapeutin kann in diesem Fall helfen.
Diagnose
Folgt das Geschrei Ihres Kindes der Dreier-Regel, gehört ihr Baby zu den so genannten exzessiven Schreiern. Doch auch wenn Ihr Säugling weniger schreit, bringt Sie das womöglich an den Rand Ihrer Kräfte. In diesem Fall sollten Sie ebenfalls Hilfe in einer Schreiambulanz suchen.
Ihre Kinderärztin kann feststellen, ob Ihr Baby ernsthaft krank ist. Vielleicht weint Ihr Sprößling, weil er eine Mittelohrentzündung hat. Vielleicht sind auch andere Krankheiten die Ursache des Gebrülls: eine Blasenentzündung oder ein Problem mit dem Magen kann sehr weh tun. Vielleicht hat sich Ihr Kind auch einen Knochen gebrochen, ohne dass Sie es bemerkt haben.
Hat der Kinderarzt alle diese Krankheiten ausgeschlossen, wird er testen, ob Ihr Kleines bestimmte Nahrungsmittel nicht verträgt. Eine solche Allergie liegt nahe, wenn Eltern oder Geschwister ebenfalls allergisch sind.
Therapie
Ein Patentrezept dafür, wie Sie Ihr brüllendes Kind beruhigen können, gibt es leider nicht. In jedem Fall sollten Sie von Medikamenten die Finger lassen. Beruhigungsmittel schaden Ihrem Baby mehr als sie nutzen. Viele Eltern wollen die vermeintlichen Blähungen mit dem Wirkstoff Simethicon mildern. Luft im Bauch ist aber meist nicht die Ursache für das unstillbare Schreien, deshalb hat das Medikament keine Wirkung.
Verträgt Ihr Sprössling keine Kuhmilch, sollten auch Sie, falls Sie stillen, keine Produkte aus Kuhmilch mehr zu sich nehmen. Denn das Kuh-Eiweiß geht teilweise in die Muttermilch über. Bekommt Ihr allergisches Baby das Fläschchen, sollten Sie auf so genannte hypoallergene Säuglingsnahrung umsteigen. Besprechen Sie das im einzelnen mit Ihrem Kinderarzt.
Zudem können Sie Ihrem Schreihals helfen, in dem Sie den Alltag überdenken. Solchen Säuglingen hilft ein geregelter Tagesablauf mit festen Zeiten zum Füttern, Spielen, Spazierengehen und Schlafen. Sorgen Sie dafür, dass nicht zu viele Reize auf Ihr Kind niederprasseln. Und: Werden Sie nicht zu hektisch, bleiben Sie am besten ruhig und gelassen.
Singen Sie immer dasselbe Lied vorm Zubettbringen
Nach ein bis anderthalb Stunden Wachzeit braucht jeder Säugling eine Pause. Helfen Sie ihm frühzeitig, sich zu beruhigen und in den Schlaf zu finden. Bleiben Sie dabei möglichst bei einem bestimmten Ritual, indem Sie zum Beispiel immer das gleiche Schlaflied singen. Auch ein abgedunkelter Raum kann helfen. Zeiten, in denen Ihr Kind schreit, können Sie mit einer Spazierfahrt im Kinderwagen oder einem Spaziergang im Tragetuch überbrücken.
In einer so genannten Schreiambulanz können Therapeutinnen Ihnen helfen, die Zeichen Ihres Kindes besser zu verstehen. Sie erfahren, wie es andeutet, dass es müde oder überreizt ist. Sie lernen, wie Sie die wachen Phasen Ihres Sprösslings nutzen können, um mit ihm zu kommunizieren und zu spielen.
Gegen Ihre eigene Wut hilft nur eines: rausgehen!
Nicht nur das Kind braucht besondere Zuwendung. Auch die Eltern sind nach wochenlangem Schreien erschöpft und möglicherweise niedergeschlagen. Gönnen Sie sich daher Pausen: Bitten Sie Ihre Eltern oder gute Freunde, ab und zu mit dem Kind spazieren zu gehen. So haben Sie mehr Zeit für sich und können sich erholen.
Wenn das Gebrüll Ihres Babys Sie aggressiv macht und keine Hilfe in der Nähe ist, sollten Sie den Raum lieber kurzzeitig verlassen. Gehen Sie erst wieder zu Ihrem Säugling, wenn Sie sich entspannt haben. Auf keinen Fall sollten Sie in Ihrer Aufregung das Kind schütteln. Sie können damit das Gehirn des Babys schwer schädigen.
Tipps
Schreibabys wirken oft sehr interessiert an ihrer Umwelt. Doch das, was sie dann wahrnehmen, überfordert sie. Achten Sie daher darauf, ob Ihr Kind müde ist: Dreht das Kind zum Beispiel den Kopf weg, wenn Sie ihm etwas zeigen, braucht es eine Pause.
Tragen Sie ihr Kind nicht zu viel umher. Im Allgemeinen werden Kinder zwar ruhiger, wenn sie herumgetragen werden. Schreihälse der schlimmen Sorte lassen sich dadurch aber nicht besänftigen - im Gegenteil.
Suchen Sie Rat, wenn Sie nicht weiter wissen. Therapeutinnen in einer Schreiambulanz können Ihnen zeigen, wie Sie die Signale Ihres Kindes deuten können.
Expertenrat
Dr. med. Consolata Thiel-Bonney, Leiterin der Spezialambulanz für Eltern mit Säuglingen am Universitätsklinikum Heidelberg, antwortet:
Mein Baby hat Probleme beim Einschlafen. Soll ich es hochnehmen, wenn es schreit? Grundsätzlich ist es wichtig, prompt zu reagieren. Babys brauchen viel Nähe. Ständiges Herumtragen kann aber auch zu viel sein. Solange die Mutter ihr Baby problemlos beim Einschlafen und während des Schlafs halten und tragen kann, kann sie das in den ersten Lebenswochen gerne tun. Ist sie dadurch aber sehr angespannt, dann ist es ihr Kind auch. Viele Kinder wachen sofort wieder auf, wenn sie hingelegt werden, denn sie fühlen diese Bewegung und die Änderung ihrer Position. Manchmal ist es daher besser, das Kind gleich zum Einschlafen in die Wiege zu legen und es in den Schlaf zu begleiten. Die Eltern können ihr Kind dabei unterstützen, sich selbst zu beruhigen und alleine einzuschlafen. Die Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe hilft dem Kind, später auch nachts durchzuschlafen und ohne Hilfe der Eltern nach einem kurzen Erwachen wieder in den Schlaf zu finden.
Unser Kind schläft nur ein, wenn wir es im Auto umherfahren. Sobald wir anhalten, wacht es auf und schreit weiter. Was können wir tun?
Gesunde Babys schreien meist dann vermehrt, wenn sie müde sind, aber nicht abschalten können. Ein neuer Reiz, zum Beispiel das Autofahren, beruhigt das Kind zwar vorübergehend. Es findet jedoch nicht in einen wirklich erholsamen Schlaf. Es wacht noch müde auf und schreit häufig weiter. Zudem bemerkt das Baby, wenn sich Geräusche und Bewegungen in seiner Umgebung verändern; es wacht auf.
Da insbesondere die vermehrt schreienden Babys oft sehr reizempfindlich sind, sollten die Eltern Außenreize in der ersten Zeit reduzieren - auch wenn sie den Eindruck haben, ihr Baby langweilt sich und sucht geradezu nach Reizen. In einer Beratung können die Eltern beispielsweise erkennen lernen, wann ihr Kind eine Pause braucht. Bei drei Monate alten Babys ist das oft schon nach ein bis eineinhalb Stunden Wachzeit der Fall. Wenn Eltern die Signale ihres Kindes verstehen, können sie ihm helfen, rechtzeitig in den Schlaf zu finden.
Forschung
Mütter, die in der Schwangerschaft rauchen, haben ein höheres Risiko, ein Schreibaby zu bekommen als nichtrauchende Mütter. Dies zeigt eine Studie der schwedischen Universität Lund.
Die Wissenschaftlerinnen befragten rund 1600 Mütter im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft nach ihren Rauchgewohnheiten. Rund fünf Wochen nach der Geburt wurden die Mütter erneut interviewt. Dabei wollten die Forscherinnen wissen, ob die Neugeborenen übermäßig viel schrien, das heißt: mehr als drei Stunden am Tag, an mehr als drei Tagen in der Woche. Die Untersuchung von Catarina A. Canivet und ihrem Team zeigte: Rauchende Schwangere hatten ein etwa 1,7-fach höheres Risiko, ein Schreibaby zu bekommen als Nichtraucherinnen. Ob die Mütter nach der Geburt weiter rauchten oder nicht, spielte aber keine Rolle: Offenbar ist nur die Zeit während der Schwangerschaft entscheidend.
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