Klinik-Skandal 16.582 Euro für eine experimentelle Therapie

Von Astrid Viciano
Patienten mit Inkontinenz wurden an der Urologischen Klinik in Innsbruck mit einer Stammzelltherapie behandelt, deren Nutzen nicht erwiesen ist - die Risiken zeichnen sich dagegen klar ab. Auf stern.de erzählt ein Betroffener seine Geschichte.

Manfred Enzensperger traute sich kaum mehr unter die Leute seit der Entfernung seiner Prostata im Jahr 2005. Nur mit einem Urinbeutel in der Hose konnte er das Haus verlassen, und selbst dann fürchtete er ständig, sich zu blamieren. Bis ihm sein Urologe plötzlich Hoffnungen machte. Der war tief beeindruckt von einem Kongress in Chicago zurückgekehrt. Kollegen von der Urologischen Klinik der Universität Innsbruck hätten ihm imponiert, sagte der Arzt - mit ihren Daten, ihren Vorträgen, den Erfolgraten ihrer neuen Stammzelltherapie gegen Harninkontinenz.

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...lesen Sie im stern Nr 37. Das dubiose Blasen-Business von Innsbruck: Wie Ärzte mit einer Stammzell-Behandlung gegen Inkontinenz gutgläubige Patienten anlockten.

Enzensperger war verzweifelt, entschied sich für einen Versuch - und wurde damit einer von etwa 400 Patienten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie an der Urologischen Klinik eine experimentelle Behandlung erfuhren. Einem Eingriff, dessen Nutzen offensichtlich noch nicht bewiesen ist und dessen Risiken sich bereits abzeichnen - in schwerwiegenden Folgen bis hin zum Harnblasenverschluss, wie zwei Operationsberichte nun belegen. Ein Skandal, der die Innsbrucker Universitätsmedizin derzeit erschüttert.

Die Heilungschancen lägen bei Männern um 70 Prozent - hieß es

Nichts ahnend fuhr Enzensperger im Juli 2006 nach Tirol, um sich von Hannes Strasser, dem zuständigen Arzt, untersuchen zu lassen - der für eine Stellungnahme zu diesem Artikel nicht zu erreichen war. Enzensperger sei gut geeignet für die neue Therapiemethode, die Heilungschancen lägen bei Männern um 70 Prozent, hieß es. Am 6. Juli 2006 wurde Gewebe aus seinem linken Oberarm entnommen, daraus etwa acht Wochen lang Muskelzellen und Bindegewebszellen gezüchtet.

Am 30. August wurden ihm die Muskelzellen in den Schließmuskel der Harnblase gespritzt, die anderen in die Harnröhre. Kollagen, ein Eiweiß, sollte das Leck unmittelbar stopfen, ein Beckenbodentraining mit Elektrostimulation das Einwachsen der frischen Zellen fördern. "Aber es besserte sich überhaupt nichts", erzählt Enzensperger. Er litt genauso weiter wie vor der Operation. Dass die Therapie ihn viel Geld kosten würde, hatte er sich zwar ungefähr ausgerechnet. Dass sie ihm jedoch gar nichts nutzen würde, hatte er nicht erwartet. "Ich war sehr enttäuscht", erinnert sich der Patient.

Um 16.582 Euro ärmer

Er rief den Innsbrucker Urologen sieben Wochen nach der Operation an. Der bestellte ihn erneut in seine Klinik und injizierte ihm im November 2006 nochmals Kollagen in die Harnblase. "Da wurde ich schon stutzig - das hatte mit einer Stammzelltherapie nichts mehr zu tun", sagt Enzensperger. Wenn das nicht helfe, dann würde er noch etwas anderes probieren, hätte Strasser ihm gesagt. Zu diesem Zeitpunkt machte der Patient nicht mehr mit. Der fängt an zu basteln, habe er sich gedacht, der weiß selbst nicht mehr, was er machen soll. Enzensperger brach die Therapie ab und fand schließlich eine andere, bei ihm erfolgreiche Therapie - ist seitdem jedoch um 16.582 Euro ärmer.

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