Plötzlich steht er wieder auf dem Tisch: Hermann, der Kuchen, ist zurück. In den 70er und 80er Jahren geisterte der glibberige Teig samt Kettenbrief durch Deutschland. Hermann wurde gepflegt und aus eigener Züchtung an Freunde und Verwandte weiter verschenkt - in der Tradition, sich in schlechten Zeiten auszuhelfen. Vor allem Schulkinder brachten den Teig mit nach Hause. Mit der Zeit geriet Kult-Hermann jedoch in Vergessenheit. "Den Teig kann man immer wieder ansetzen, dieser spezielle Teig hat höchst wahrscheinlich nicht 20 Jahre überdauert", sagt Gunda Backes, Ernährungswissenschaftlerin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke.
Lebensgemeinschaft aus Bakterien und Hefen
Hermann ist eine Art Sauerteig und enthält Milchsäurebakterien und Hefen, erklärt Backes. "Der Teig ist eine Lebensgemeinschaft aus Bakterien und Hefen, wie man sie von Kombucha kennt." Das Teepilzgetränk ist derzeit voll im Trend und kann ebenfalls selbst angesetzt werden. Vielleicht hat der Hype um Kombucha den Teig wieder auf den Plan gerufen. Vielleicht ist es auch nur ein weiteres Phänomen des Retro-Trends.
Das neue Familienmitglied
Auch der Kettenbrief existiert noch; er beschreibt, was mit dem "neuen Familienmitglied" zu tun ist: Nicht im Kühlschrank, sondern an einem warmen Platz will Hermann stehen. Regelmäßiges Umrühren mit einem Holzlöffel und die "Fütterung" mit Zutaten wie Zucker und Mehl sind lebenswichtig. Am 10. Tag kommt die Trennung: Ein Teil dient als Grundlage zum Backen von Brot oder Kuchen am selben Tag, ein Teil wird für später aufgehoben und weiter gepflegt. Der Rest wird verschenkt und Hermann damit weiter verbreitet.
Irgendwann fing Hermann an zu riechen
Erinnerungen werden wach: Nach einiger Zeit fing Hermann an, ein wenig zu riechen. Manch einer wurde des Geschmacks überdrüssig oder durch den Geruch misstrauisch und warf Hermann schließlich in den Müll. "Der Hermann-Teig hat einen niedrigen und sauren pH-Wert", erklärt Backes. Dies fördere das Wachstum von "säuretoleranten" Hefen, gleichzeitig hemme das saure Milieu aber das Wachstum von Schimmelpilzen, die den Teig verderben könnten.
Eine Stunde bei 180 Grad
"Ganz ausschließen kann man einen Befall mit Schimmelpilzen oder Krankheitskeimen aber nicht", ergänzt Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn. "Vor allem bei heißem Wetter könnte es kritisch werden, den Teig so lange ungekühlt aufzubewahren." Gegenargument sei jedoch, dass der Teig knapp eine Stunde bei 180 Grad Celsius gebacken werden soll und somit Keime wenig bis keine Überlebenschancen hätten.
Siegfried & Hermann
Hermann-Fans finden derzeit im Internet jede Menge Backtipps und Rezepte. Der Dr. Oetker Verlag hat Hermann und seinem unbekannteren "Bruder" Siegfried 2002 ein Buch gewidmet. "Wir haben gemerkt, dass der Teig wieder im Kommen ist und haben Rezepte damit entwickeln lassen", sagt Carola Reich, zuständige Redakteurin für "Backen mit Hermann & Siegfried". Letzterer sei die etwas weniger süße Variante für pikantes Gebäck. Woher der Hermann-Brauch aber kommt, habe sie trotz Recherchen nicht herausfinden können, sagt Reich.
Christiane Löll