Am Anfang war der Knall, auf den alle so sehnsüchtig gewartet hatten. Mit einem Feuerball begann am 16. Juli 1969 eine Mission, die zur Reise des Jahrhunderts werden sollte: Die Raumfähre "Apollo 11" startete in den Himmel über Cape Kennedy. Ein paar Tage später hinterließen Neil Armstrong und Edwin Aldrin als erste Menschen ihre Fußabdrücke auf dem Mond - und die Welt sah zu.
Ganze 30 Jahre sollte es dauern, bis die Nasa ihre besten Archivfotos von diesem Weltereignis herausgab: 1999 entstand daraus der Bildband "Full Moon" - der wohl spektakulärste Reisebericht von Menschen auf dem Mond.
Was wäre dem ebenbürtig, wenn nicht eine Geschichte über das große Abenteuer der Entstehung menschlichen Lebens, beginnend mit der Reise eines winzigen Spermiums ins Innere des weiblichen Körpers? Das fragte sich der englische Buchproduzent Mark Holborn und begann, über ein Buch nachzudenken. Eine Geschichte über den Beginn des Lebens schwebte ihm vor, eine Art Mondreise nach innen. Holborn suchte nur noch den passenden Astronauten für seine Mission.
Seine Bilder zeigen, wer wir sind
Er fand ihn in Lennart Nilsson: Kein anderer hat den Blick so auf unser Inneres gelenkt wie der inzwischen 83-jährige Fotograf aus Stockholm. Nilsson war der Erste, der in anschaulichen Aufnahmen dokumentierte, wie sich ein Spermium in die Eizelle bohrt. Berühmt wurde er 1965, als das Magazin "Life" seine Bilder aus dem Mutterbauch druckte: Die Leser rissen sich um die Hefte, innerhalb weniger Tage war die gesamte Auflage von acht Millionen ausverkauft.
Nilssons Fotos zeigten zum ersten Mal ungeborene Kinder, die im Mutterleib schwebten, denen winzige Finger und Zehen wuchsen und die im Verborgenen am Daumen lutschten. "Die Mondbilder belegen, wie weit wir gereist sind - die Bilder von Lennart Nilsson zeigen, wer wir sind", sagt Mark Holborn.
Gesamtporträt menschlichen Lebens
Gemeinsam mit Nilsson und einer Assistentin durchwühlte er das Archiv des Fotografen: "Lennart zog immer neue Fotos heraus, auch ganz andere Bilder: Mikroskopaufnahmen von Viren, Bakterien, Krebszellen. Und ich dachte: Die sind viel neuer, interessanter. Das ist Forschung im 21. Jahrhundert."
Und so geriet das Buch über die Zeugung im Laufe von drei Jahren zu einem Gesamtporträt menschlichen Lebens: beginnend mit Fotos vom winzigen Erbgutknäuel im Köpfchen einer Samenzelle über Befruchtung und Geburt bis hin zu den Organen, Knochen, Sinneszellen und Krankheitserregern des erwachsenen Menschen. Viele dieser Aufnahmen erinnern eher an stille Landschaften als an Bilder von Körperteilen und Zellen. Als Künstler sieht Nilsson sich aber nicht: "Ich bin ein neugieriger Fotojournalist - und ich habe noch eine Menge vor!"
Bilderjäger
Lennart Nilsson (hier an seinem Elektronenmikroskop in Stockholm) wurde 1922 in Schweden geboren. Er arbeitete zunächst als Porträt-Fotograf und Bildreporter. Berühmt wurde er mit seinen Aufnahmen vom ungeborenen Leben im Mutterleib. Auf manche seiner Motive, etwa den daumenlutschenden Fötus im Hintergrund, wartete Nilsson mehrere Jahre.
Sein Traum: Vogelgrippe in 3 D
So reist er weiter um den Globus, immer auf der Suche nach der modernsten Technik für seine Bilder. Schließlich steht ihm eine der wohl teuersten Fotoausrüstungen zur Verfügung, die es gibt: Am renommierten Karolinska Institut in Stockholm, wo jedes Jahr die Nobelpreisträger ausgewählt werden, arbeitet Nilsson am weltweit leistungsfähigsten Rasterelektronenmikroskop. Es vergrößert seine Objekte mehrere hunderttausend Mal und kann selbst winzige Pockenviren zu riesigen blauen Pilzen wie aus einem Zauberwald aufblähen.
In Fruchtblasen, Münder oder Mägen blickt Nilsson durch spezielle Endoskope mit stabförmigen Speziallinsen, teils dünn wie Nähnadeln. Viele Spiegelrohre, Mikroskope und Linsen wurden speziell für ihn entwickelt. Neben seiner gefürchteten Überredungsgabe half ihm dabei auch die Popularität seiner Bilder: "Ich hatte das Glück, dass die meisten meine verrückten Projekte unterstützt haben. Wenn ich bei Firmen angerufen habe, sagten sie: Das klingt spannend, da finden wir eine Lösung." Auch Ärzte öffneten ihm ihre Türen: Im OP durfte er dabei sein, wenn Schwangerschaften aus Sorge um das Leben der Mutter abgebrochen wurden. Dabei entstanden einige seiner besten Bilder von Ungeborenen.
Leben
Lennart Nilssons neues, opulent bebildertes Buch (304 S., 166 Abb.) erscheint jetzt im Knesebeck Verlag und kostet 39,95 Euro
In diesem Mai erhält Nilsson ein besseres, noch höher auflösendes Elektronenmikroskop, das in Japan für ihn gebaut wird. Sein erstes Projekt mit dem neuen Gerät steht schon fest: dem Vogelgrippevirus bei seiner tödlichen Arbeit zusehen und den Moment festhalten, in dem es seinen Erbgutfaden in eine Zelle einschleust. "Vogelgrippe in 3 D", sagt Nilsson, "das ist mein Traum!"