Kaum eine medizinische Empfehlung scheint sich bei Jugendlichen so nachhaltig herumgesprochen zu haben wie «Genügend trinken!» Die bei ihnen auf der Straße, auf Sportplätzen, bei Treffs, unterwegs im Auto stets präsenten Flaschen und Dosen sind davon ein augenfälliges Zeugnis. Oder sind es doch eher die Getränkewerbung und modischer «Lifestyle» als Fitness- und Gesundheitsempfehlungen, die das bewirkt haben?
Jedenfalls bestehen über das Trinken - wie viel und was - sehr verschiedene Vorstellungen bei Jung und bei Alt.
Zuviel Flüssigkeit schadet Menschen mit Herzschwäche
Kein Zweifel:Trinken ist wichtig. Es gibt hier aber auch Gefahren. Der Internist Matthias Müller vom Hamburger Elim Krankenhaus berichtete im Gespräch mit der dpa aus seiner Erfahrung: "Zahlreiche Krankenhauseinweisungen wären vermeidbar, wenn nicht viele Patienten die Vorstellung hätten, möglichst viel Flüssigkeit im Laufe des Tages aufnehmen zu müssen." Da heißt es dann gelegentlich: "Aber mein Doktor hat doch gesagt, ich soll viel trinken." An der internistischen Station der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) wurden diese Beobachtungen bestätigt.
Insbesondere handelt sich bei diesen Fällen um Patienten mit einer Herzschwäche. Und die machen statistisch gesehen gegenwärtig den größten Teil der Herz-Kreislauf-bedingten Aufnahmen einer allgemein- internistischen Abteilung aus.
Atemnot meist erstes Symptom
Anlass für die Einweisungen infolge überhöhter Flüssigkeitsaufnahme sind vor allem Atemnotstände. Bei Herzschwäche- Patienten kommt es wegen verringerter Pumpfunktion des Herzens und reduzierten Herzvolumens zu einer Abnahme der Nierendurchblutung und damit zu einer Abnahme der notwendigen Flüssigkeitsausscheidung. Der Prozess mündet in eine Überwässerung des Körpers. Sie kann nach ärztlichen Erfahrungen besonders durch Wassereinlagerungen in der Lunge zu lebensbedrohlichen Zuständen in Form des Lungenödems führen.
Auch Nierengeschädigte sind gefährdet
Gelegentlich, wenn auch seltener, anzutreffen sind in der internistischen Aufnahmestation Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion. Gerade dieser Patientengruppe aber wird besonders eine Steigerung ihrer täglichen Trinkmenge therapeutisch empfohlen. Das "Hamburger Ärzteblatt" setzte sich kürzlich mit der verbreiteten Praxis kritisch auseinander und bilanzierte: "Aus nephrologischer Sicht sollte Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zukünftig nicht mehr empfohlen werden, ihre tägliche Flüssigkeitsaufnahme über das durch das natürliche Durstgefühl gesteuerte Trinkbedürfnis zu steigern."
Gesunde sollen 1, 5 Liter täglich trinken
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE, Bonn) empfiehlt, normalerweise 1,5 Liter am Tag zu trinken. Der Körper gibt täglich etwa 2,5 Liter Wasser über Schweiß, Atemluft und Harn ab. Diese Verluste müssen ausgeglichen werden. Eine kleine Menge Flüssigkeit produziert der Körper selbst (ca. 300 Milliliter). Knapp 1 Liter wird mit der Nahrung aufgenommen. Die meisten Gemüse- und Obstsorten bestehen zu über 90 Prozent aus Wasser. Selbst vermeintlich «trockene» Lebensmittel wie Brot enthalten zu etwa 40 Prozent Wasser.
Nach Referenzwerten der DGE sollten Erwachsene insgesamt 35 Milliliter Wasser pro Kilo Körpergewicht aufnehmen, Menschen ab 65 Jahre 30 Milliliter, also etwas weniger. Da allerdings im Alter das Durstempfinden nachzulassen pflegt, sollte dann besonders auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, vor allem bei kranken Menschen.
In der Praxis scheint es indessen große Abweichungen von jenen Normen zu geben - abgesehen von «Lifestyle»-Bekundungen meist wegen falscher oder missverstandener Empfehlungen. Mancher glaubt, er müsse täglich 3-4 Liter trinken. Jedenfalls ist es für gesunde Menschen nicht schädlich, auch so viel zu trinken. Ihre Nieren sind außerordentlich leistungsfähig.
Je weniger man isst, desto mehr sollte man trinken
Mehr als 1,5 Liter zu trinken, ist nur bei außergewöhnlichen körperlichen und schweißtreibenden Belastungen nötig. Auch Magen- Darm-Kranke müssen mehr trinken, um ihren hohen Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Ferner macht die DGE auf etwas Grundsätzliches aufmerksam: Je weniger man isst, desto mehr sollte man trinken.
Auch Alkohol darf "mitgezählt" werden
Unklarheit besteht auch oft bei der Frage, was getrunken werden sollte. So dürfen nach manchen Vorstellungen Kaffee, Tee, Milch, Fruchtsäfte, Coca-Cola, Bier und Wein nicht «mitgezählt» werden. Die DGE stellt klar: Auch sie tragen zur Flüssigkeitszufuhr bei, zählen also rein rechnerisch in den getrunkenen Mengen mit - auch wenn sie unter sonstigen Aspekten unterschiedlich zu bewerten sind, etwa wegen des Gehalts an Coffein, Theobromin, Zucker, Kalorien oder Alkohol. Problemlos und am billigsten ist Leitungswasser.