Sechs Embryonen pflanzte der Arzt in ihren Bauch. Weil sich zwei teilten, gebar sie schließlich Achtlinge: Der Fall von Nadya Suleman und ihren Babys wirft die Frage auf, wie weit die moderne Medizin gehen darf, die heute schon Designer-Babys ermöglicht und 70-Jährige zur Mutter macht. Hierzulande schiebt der Gesetzgeber solchen extremen Formen der Medizin allerdings den Riegel vor. Moral kommt vor Machbarkeit; die Regelungen zur künstlichen Befruchtung ("In-vitro-Fertilisation", kurz IVF) sind bei uns härter als in vielen anderen Ländern.
Ein Arzt, der in Rostock oder München einer Frau sechs Embryonen einpflanzt - wie es bei Nadya Suleman geschah -, landet vor Gericht. Maximal drei Embryonen dürfen es in Deutschland pro Behandlungszyklus sein, im Schnitt verpflanzen die Ärzte sogar nur zwei. Und eine alleinstehende Frau kommt als Kandidatin für eine künstliche Befruchtung sowieso nicht in Frage. Da muss schon ein Paar beim Arzt sitzen. Es sind viele, die in die Fruchtbarkeitskliniken kommen: Mehr als 42.000 Paare versuchten im Jahr 2007 in Deutschland per künstlicher Befruchtung ihren Kinderwunsch zu erfüllen.
Wann muss ein Kind im Bauch getötet werden?
Aus medizinischer Sicht ist es absolut sinnvoll, einer Frau möglichst wenige Embryonen einzusetzen. Eine Schwangerschaft mit Zwillingen oder Drillingen, von Achtlingen gar nicht zu reden, ist deutlich riskanter. Die Babys kommen oft zu früh zur Welt, sind körperlich oder geistig behindert. Das Risiko einer Fehlgeburt oder von schweren Komplikationen für die Mutter steigt ebenso. "Die Ärzte müssen über die möglichen Risiken aufklären", sagt Dr. Najib Nassar, Reproduktionsmediziner aus Saarbrücken. "Man schlägt auch einen Fetozid vor, also das selektive Abtöten eines Embryos im Mutterleib. Für die Eltern gibt es an dieser Stelle keine richtige, keine gute Entscheidung - jede Wahl ist für das Paar belastend."
Die Skandinavier stehen deutlich seltener vor dieser schweren Entscheidung: Dort setzen Ärzte bei einer künstlichen Befruchtung für gewöhnlich nur einen Embryo ein. Allerdings erzeugen sie zuvor im Labor mehrere Embryonen, um dann den auszuwählen, der die besten Entwicklungschancen hat. "Wir würden diese Möglichkeit auch gern anbieten", sagt Nassar.
Doch in Deutschland ist so eine Auswahl durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Haben es deutsche Paare, die ohne medizinische Hilfe kein Kind bekommen können, also unnötig schwer? Auch für das Verbot gibt es schlüssige Gründe. Wohin mit den überschüssigen Embryonen, ist etwa eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Einfrieren, falls das Paar später noch eine weitere Befruchtung wünscht? Zur Adoption freigeben? Und wenn keiner die tiefgekühlten Zellen will - bleiben sie dann in alle Ewigkeit auf Eis? Oder darf man sie nach ein paar Jahren still entsorgen? In den USA lagern mehrere hunderttausend Embryonen in flüssigem Stickstoff.
Welchen Embryo wählt man?
Eine weitere Frage: Nach welchen Kriterien dürfen Ärzte und Eltern über das Einpflanzen oder Entsorgen von Embryonen entscheiden, wenn diese per Präimplantationsdiagnostik genetisch abgeklopft werden? Die Schwedin Helena Richardson etwa will mit ihrer Tochter, die noch nicht auf der Welt ist, ihren fünfjährigen Sohn retten: Der Embryo des Mädchens wurde ausgewählt, weil ihr Erbgut dem ihres Bruders so sehr ähnelt, dass sie ihm Nabelschnurblut und Knochenmark spenden kann. Auch auf schwere Erbkrankheiten dürfen Embryonen in Schweden untersucht werden, in Deutschland aber nicht.
In den USA gelten einige lockerere Auswahlkriterien: Hat ein Paar schon zwei Mädchen, so können sie gezielt einen Jungen wählen - oder anders herum: Willkommen beim "Family Balancing". Bereits im Jahr 2002 wählten zwei gehörlose lesbische Amerikanerinnen einen ebenfalls tauben Samenspender, damit ihr Kind ohne Gehör auf die Welt kommt. Und in Großbritannien kämpft ein Paar dafür, einen Embryo auswählen zu dürfen, der wie sie gehörlos ist.
Wer zahlt?
Die Diskussion in Deutschland scheint da vergleichsweise einfach: Momentan geht es um die Frage, wer die künstliche Befruchtung zahlt. Bis 2004 übernahmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten, seit dem Eintreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes müssen die Paare einen Teil des Geldes beisteuern. Jeder Behandlungszyklus kostet Kassenpatienten seitdem etwa 1500 Euro. Wenden Ärzte zusätzlich die ISCI-Methode an, bei der ein Spermium direkt in die Eizelle gespritzt wird, erhöhen sich die Kosten um rund 1600 Euro. Das finanzielle Risiko hat die Einstellung der Paare verändert. "Meist wird verlangt, dass die Ärzte drei Embryonen übertragen, weil die Paare sich dadurch bessere Chancen ausrechnen", sagt Mediziner Nassar. Viele brechen zudem die Behandlung nach dem dritten Zyklus ab, weil die Kosten des vierten gar nicht mehr von den Kassen bezuschusst werden. Dabei sei die Chance, im vierten Zyklus schwanger zu werden, auch nicht wesentlich geringer als im dritten, so Nassar. Und viele Paare versuchen es erst gar nicht mit der IVF. Seit 2004 wurden etwa 13.000 bis 15.000 Kinder weniger in Deutschland geboren, erklärt Reproduktionsmediziner Klaus Bühler im stern.
Sachsen preschte jetzt vor: Das Bundesland will künstliche Befruchtungen bezuschussen. Verheiratete Paare bekommen ab März für den zweiten und dritten Behandlungszyklus bis zu 900 Euro, den vierten bis zu 1800. Nun denkt auch Familienministerin von der Leyen über höhere Zuschüsse für ungewollt kinderlose Paare nach. Das würde sich aus familienpolitischer Sicht wahrscheinlich lohnen.