Nationale Impfkonferenz Das Dilemma mit dem Pieks

Ein Ziel von Impfungen ist es, eine Gesellschaft langfristig gegen bestimmte Krankheiten immun zu machen
Ein Ziel von Impfungen ist es, eine Gesellschaft langfristig gegen bestimmte Krankheiten immun zu machen
© Colourbox
Dass die HPV-Impfung wirklich Gebärmutterhalskrebs verhindert, ist bislang nicht nachgewiesen. Dennoch empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) diese Impfung für junge Mädchen. Über das Dilemma von Impf-Empfehlungen sprach stern.de auf der Nationalen Impfkonferenz mit Friedrich Hofmann, Vorsitzender der Stiko.

Herr Hofmann, die Empfehlungen der Stiko sind in Deutschland entscheidend dafür, wie Kinder und Jugendliche geimpft werden. Unter welchen Bedingungen empfiehlt Ihre Kommission eine Impfung?

Wir empfehlen nur Impfungen, bei denen die Impfstoffe bereits in Deutschland zugelassen sind, das heißt, wir verlassen uns zunächst einmal auf die Daten, die den Zulassungsbehörden vorliegen. Außerdem müssen wir uns auf Grund von Krankheitsmeldungen und auf der Basis von bevölkerungsbezogenen Studien darüber klar sein, ob die entsprechende Krankheit tatsächlich so relevant ist, dass eine Impfung lohnt.

Wie beurteilen Sie, ob eine Impfung wirkt?

Wir schauen uns vor allem die Zulassungsstudien für Impfstoffe an und entscheiden dann: Wurde lange genug getestet, um nachzuweisen dass ein Impfstoff wirklich vor einer Krankheit schützt? Sodann müssen wir darüber entscheiden, ob es eine Standardimpfung für alle werden soll oder ob nur bestimmte Risikogruppen wie chronisch Kranke, Ärzte, Pflege- oder Reinigungspersonal geimpft werden sollen.

Bei den Stiko-Empfehlungen geht es vor allem um Kinder, die etwa vor Masern, Keuchhusten oder Mumps geschützt werden sollen. Und zwar ein Leben lang. Wie testet man in einer Studie, ob der Schutz so lange hält?

Dieses "lebenslang" kann niemand wirklich testen: Impfstoffe werden in Studien geprüft, in der eine Gruppe geimpft wird und die andere nicht. Dann vergleicht man über Jahre, wie viele Probanden in jeder Gruppe krank werden oder Krankheitsvorstufen bekommen und ob der Impfstoff wirkt. Man muss solche Studien aber aus ethischen Gründen so kurz wie möglich halten: Immerhin nimmt man als Wissenschaftler in Kauf, dass sich ungeimpfte Probanden während der Studie anstecken können, während die geimpften geschützt sind.

Aber dieses Risiko haben doch auch Kinder, die nicht an der Studie teilnehmen, aber den neuen Impfstoff noch nicht bekommen können...

Das ist ein weiteres Problem: Wir wollen als Stiko eine neue Impfung, wenn sie denn bedeutsam genug ist, so schnell wie möglich empfehlen, weil ohne diesen Schutz ständig Kinder und Erwachsene erkranken. Die Frage ist also: Wann machen wir den Sack mit den Daten zu? Wann entscheiden wir, dass die Wirkung einer Impfung nun ausreichend nachgewiesen ist?

Zur Person

Friedrich Hofmann leitet die Abteilung Arbeitsphysiologie, Arbeitsmedizin und Infektionsschutz an der Universität Wuppertal. Seit Ende 2007 ist er Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut in Berlin. Die Stiko erarbeitet den deutschen Impfkalender und die für Deutschland gültigen Impfempfehlungen.

Sie verlassen sich aus ethischen Gründen auf eine dünne Datenlage?

Daten aus Studien werden mit der Zeit nicht unbedingt besser: Je länger eine Studie läuft, desto mehr Teilnehmer verschwinden: Manche ziehen um und sind nicht mehr auffindbar, andere steigen aus, weil sie kein Interesse mehr haben. Es kann sein, dass man mit 1000 Probanden startet und dann landet man nach zehn Jahren bei 300. Beim Rest erfahren Sie nie, ob der Impfstoff gewirkt hat. Dünn ist die Datenlage aber schon deshalb nicht, weil in der Regel Ergebnisse bei vier- bis fünfstelligen Probandenzahlen erhoben werden.

Seit die Stiko für junge Mädchen die HPV-Impfung gegen Humane Papilloma-Viren empfohlen hat, wurde kritisiert, es sei nicht nachgewiesen, dass die Impfung auch vor Gebärmutterhalskrebs schützt...

Bei HPV werden Mädchen ab zwölf Jahren gegen einige Viren geimpft, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Gebärmutterhalskrebs verursachen. Der Krebs entwickelt sich aber über viele Jahre, und tritt erst bei erwachsenen Frauen auf. Allerdings wird kein Wissenschaftler bei einer Studie tatenlos zuschauen, wie sich bei den nicht geimpften Frauen langsam ein Krebs entwickelt. Man würde immer schon bei den Vorstufen von Krebs einschreiten und operieren. Den Krebs bekäme man nie zu sehen. Diese Daten wird es also nie geben.

Auf welcher Basis haben Sie dann die HPV-Impfung, die ja vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll, empfohlen?

Wir haben die Wirkung der Impfung gegen Krebs indirekt abgeschätzt: Man weiß, dass einige Viren mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs verursachen. Und dass die Impfung mit hoher Wahrscheinlichkeit vor diesen Viren und auch vor den durch die Viren verursachten Krebsvorstufen schützt.

Wird man also nie wissen, ob die HPV-Impfung letztlich Krebsfälle verhindert hat?

Ich hoffe doch sehr, dass wir das nachweisen werden. Aber dafür muss man jetzt nach Einführung der Impfung beobachten, wie sich die Gebärmutterhalskrebsfälle in der Bevölkerung entwickeln

Klingt nach einem Dilemma: Sie empfehlen eine Impfung, bevor deren Wirksamkeit endgültig nachgewiesen ist...

Dieses Dilemma kann zurzeit niemand lösen. Wir halten es in der Stiko aber für unverantwortlich, einen Impfstoff zurückzuhalten, wenn man den Verlauf einer tödlichen Krankheit wie Krebs kennt: Wenn man weiß, das sich aus bestimmten HPV-Infektionen mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs entwickelt, werden wir nicht warten, bis ein Impfstoff in langjährigen, möglicherweise Jahrzehntelangen klinischen Studien gezeigt hat, dass er auch Krebs verhindert. Es reicht uns, dass er die Ursache für diese Krebsfälle verhindert.

Interview: Nicole Heißmann

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