Wir besitzen im Durchschnitt 10.000 Gegenstände. Warum so viele?
Es gehört zur menschlichen Natur, dass wir ständig versuchen, Erfolge zu erzielen. Und sich etwas Schönes oder Neues zu kaufen – das beschert uns auf einfache Art ein Erfolgserlebnis. Diesen Weg kann man heute sogar gehen, wenn man wenig Geld hat. Ein Paar Schuhe oder Deko-Objekte fürs Wohnzimmer gibt es ja schon für ein paar Euro. Sogar ein Designersofa oder eine luxuriöse Espresso-Maschine kann man sich leisten, wenn man jeden Monat eine kleine Rate abbezahlt.
Heißt das, man kann sich tatsächlich glücklich kaufen?
In gewisser Weise schon. Denn wenn man sich etwas leistet, versetzt einen das ziemlich sicher in leichte Euphorie. Zudem können wir mit Besitztümern – also mit dem Haben – auch andere wichtige Bedürfnisse befriedigen: Mit dem, was wir kaufen, festigen wir zum einen unsere Identität. Wir zeigen damit, zu welcher Gruppe von Menschen wir gehören wollen. Wer bestimmte Modelabels oder ein iPhone erwirbt, der demonstriert immer auch eine bestimmte Haltung gegenüber seinem sozialen Umfeld. Zum anderen spielt der Wunsch nach Sicherheit beim Habenwollen eine wichtige Rolle. Viele Menschen träumen zum Beispiel von einem eigenen Haus. Und zwar weil sie damit Geborgenheit und Sicherheit verbinden. Das ist natürlich alles legitim. Dennoch würde ich nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema sagen: Wer ausschließlich nach materiellen Dingen strebt, der ist meistens nicht dauerhaft glücklich.
Warum macht Konsum auf Dauer nicht froh?
Ein alltägliches Problem ist der soziale Vergleich. Wir schielen ständig danach, was andere machen. Und gerade im materiellen Bereich werden wir immer jemanden finden, der mehr hat – sei es nun bei Immobilien und Luxusgütern oder auf einer alltäglichen Ebene, wenn es um Klamotten, Urlaube, Wohnungseinrichtung geht. Stolz und Identität, die durch Besitz entstehen, sind also oft nur von kurzer Dauer. Was aber noch wichtiger ist: Materialistisch ausgerichtete Menschen haben ein Zeitproblem. Wer kaufen will, braucht Geld, muss viel arbeiten und sich nicht zuletzt um den Besitz kümmern. Nehmen Sie eine junge Familie, die den Kindern ein Haus bieten will. Aber statt der angestrebten Sicherheit bedeutet ein Haus Druck, Raten zahlen, mehr Arbeit. Wir machen uns das nicht klar, aber häufig geraten Habenziele mit Seinszielen in Konflikt. Wer ein Haus haben will, hat fürs Sein also weniger oder sogar kaum noch Zeit.
Was meinen Sie genau mit Habenzielen und Seinszielen?
Man strebt mit Habenzielen nach materiellen Gütern. Der Wunsch nach dem neuesten Smartphone oder Auto wäre ein typisches Habenziel. Die Seinsziele beschreiben dagegen meist einen Wunsch nach persönlicher Entwicklung – und sind umsonst. Wer sich vornimmt, eine gute Beziehung zu führen, gelassener zu sein, singen oder Italienisch zu lernen, hat sich Seinsziele gesetzt. Sie sind immer eng mit persönlichem Einsatz verbunden. Ich muss Energie aufwenden, um sie zu erreichen.
Über den Konflikt von Haben und Sein hat schon Erich Fromm geschrieben.
Der Philosoph Erich Fromm, der sein Buch in den Siebzigern veröffentlichte, war sehr streng in seinen Ansichten. Für ihn war klar, dass wir uns möglichst vollständig von Habenzielen lösen sollten. Sein Credo war: Um ein gutes Leben zu führen, müsse man sich auf die Seinsziele konzentrieren. Fromm setzte das Habenwollen mit Gier und dem oberflächlichen Streben nach Statussymbolen gleich, während ein Lebensstil des Seins sich für ihn ums Lernen, Lieben und Erfahren drehte. Die erfülltesten Menschen waren für ihn Mönche oder Nonnen, die nur wenig besitzen und sich aufs Sein konzentrieren. So einfach ist es aber nicht.
Wenn sich Fromm geirrt hat – wie ist es denn dann?
Für mich hat beides, das Haben und das Sein, eine Berechtigung in unserem Leben. Die sozialpsychologische Forschung zeigt immer wieder, dass wir eigentlich nur eine Handvoll Grundbedürfnisse haben, nach denen wir streben. Ich zähle sie einmal auf: Wir wollen unser Leben unter Kontrolle haben, uns sicher fühlen, unsere Identität schützen und irgendwo dazugehören. Außerdem mögen wir es, wenn unsere Neugier befriedigt ist. Um diese Bedürfnisse zu stillen, können wir Seinsmittel oder Habenmittel einsetzen. Und das ist auch der Kern meiner Theorie: Der Wunsch, zu haben oder zu sein, bezieht sich letztlich auf die gleichen Bedürfnisse. Und wir alle können wählen, ob wir diese eher über den einen oder den anderen Weg befriedigen. Sich diese Wahlfreiheit bewusst zu machen ist spannend.
Warum ist diese Bewusstwerdung wichtig?
Zum einen geht es darum, dass man nicht mehr moralisch bewertet. Nicht jedes Habenwollen ist falsch, nicht jedes Sein ist hilfreich. Aber zu wissen, dass man sich immer wieder entscheiden kann, welchen Weg man einschlägt, kann unkritischen Konsum einschränken. Aber auch unreflektierten Rückzug ins "Sein". Wenn ich in einer Zeit der Unsicherheit lebe, kann ich also entweder versuchen, durch Arbeit und das Anhäufen von Gütern mein Gefühl von Kontrolle zu erhalten. Oder ich kann mich mit anderen zusammentun, mich der Meditation zuwenden oder versuchen, in meiner Familie und mit meinem Partner einen nahen Kontakt zu haben. Gerade heute kann man gut sehen, dass es viele Menschen gibt, die auf die Verunsicherungen in der Welt mit "Sein" reagieren – und nicht mehr mit "Haben". Das finde ich ermutigend, auch für die Zukunft der Welt.
Das klingt aber doch so, als wäre das Sein gesünder für die Welt als das Haben?
Natürlich hatte der uneingeschränkte Konsum, der etwa für die Fünfziger- und Sechzigerjahre typisch war, viele ökologische Nachteile. Das Übergewicht des Habenwollens hat verheerende Auswirkungen. Aber dennoch ist nicht das Haben das Problem, sondern die Unreflektiertheit. Wenn man, wie es heute viele Menschen tun, ökologisch korrekt einkauft, kann man mit einem typischen Habenziel (Konsum) ein Seinsziel (intakte Umwelt) verfolgen. Diese Art Zusammenspiel von Haben und Sein, das immer mehr Menschen wählen, finde ich spannend. Da ist im Moment vieles im Wandel. Gerade die jüngere Generation ist oft mit Eltern aufgewachsen, die 18 Stunden am Tag mit Arbeiten beschäftigt waren, dabei aber nicht unbedingt glücklich wirkten. Die Jüngeren möchten so nicht leben. Wenn ich mit meinen Studenten über berufliche Pläne spreche, sagen viele beispielsweise, dass sie bei der Wahl des Arbeitgebers darauf achten wollen, dass auch Teilzeit möglich ist oder Sabbaticals. Sie wollen Zeit haben, um Seinsziele zu verfolgen.
Sind Sie durch den Kontakt mit den Studierenden auf das Thema gekommen?
Nein, ich wurde ehrlich gesagt vom Leben darauf gestoßen. Bis vor zwei Jahren habe ich viel und sehr ehrgeizig gearbeitet. Doch dann ging es mir nicht mehr gut. Ich hatte keine Lust mehr auf die Psychologie, kämpfte mit Motivationsproblemen und hatte Schlafschwierigkeiten. Ich ging schließlich zum Arzt, und der sagte mir, ich solle mich schonen. Als ich dann zu Hause saß und nicht arbeitete, bemerkte ich, wie viel Zeug ich angehäuft hatte – und wie wenig es mir bedeutete. Ich fing an auszumisten. Nach vier Wochen waren es 70 Säcke und 300 Bücher, die ich vor die Tür gestellt hatte. Ich besaß nur noch zehn Prozent meiner Kleidung. Beim Aufräumen fiel mir dann auch das Buch von Erich Fromm "Haben oder Sein" in die Hände. Ich las mich – wieder einmal – darin fest und spürte, wie ich Lust bekam, mich wieder mit psychologischen Themen zu beschäftigen. Diese Begeisterung hatte ich eine Weile schmerzlich vermisst.
Wird das Leben automatisch tiefsinniger, wenn man die materielle Seite reduziert?
Zumindest öffnet sich meiner Meinung nach der Raum dafür. Den muss man aber auch füllen können und wollen. Da liegt ein Problem. Denn das mit den Seinszielen ist nicht ganz einfach. Sie machen nicht nur Mühe. Im Gegensatz zu den materiellen Zielen ist der Erfolg nicht garantiert. Wenn man sich vornimmt, gute Freundschaften zu pflegen oder ein Instrument zu lernen, kann man nicht wissen, ob am Ende das herauskommt, was man sich wünscht. Vielleicht wollen die Freunde gar nicht mehr Nähe als bisher, und das mit dem Instrument klappt auch nicht so, wie man dachte. Die Belohnung durch Seinsziele ist nicht unmittelbar. Aus dem Grund ist es verständlich, dass viele Menschen sich immer wieder auch über das Haben gute Gefühle verschaffen.
Und dennoch ist Konsumverzicht ja mittlerweile fast Zeitgeist. Wie kommt das?
Die Anfänge des Umdenkens liegen wohl in der Umweltbewegung. In den Achtzigern wurde vielen erst deutlich, dass Konsum zu viel Müll produziert, zu viele Rohstoffe verbraucht. Heute ist uns das klar, wir haben angefangen zu verzichten: auf Verpackungen oder aufs Auto. Erst waren es wenige. Inzwischen ist es leichter geworden – ökologisches Handeln ist Mainstream. Wenn man sich mit Freunden ein Auto teilt, bekommt man heute Anerkennung dafür. Und wenn ich meinen Studenten erzähle, dass ich in eine kleinere Wohnung gezogen bin, weil ich nicht so viele Konsumgüter anhäufen will, dann finden sie das gut. Ich empfinde es als großen Fortschritt, dass Verzicht und ökologisches Bewusstsein mittlerweile überall als erstrebenswert gelten. Das bringt Haben und Sein mehr in Balance.