Auf die Katze einer Freundin aufpassen, für den Partner das Paket bei der Post abholen und der Kollegin einen Gefallen tun – viele von uns sagen schnell zu allem Ja, obwohl sie lieber nein sagen würden. Und so kommt ein Ja über die Lippen, obwohl wir nicht wollen, können oder keine Zeit haben. Das Resultat: Eine noch längere To-do-Liste und mehr Stress als ohnehin schon. Ein Nein hätte geholfen, gar nicht erst in so eine Situation zu geraten. Aber: Neinsagen fällt vielen Menschen schwer. Warum diese vier Buchstaben so schwer zu sagen sind und wie es trotzdem gelingen kann.
Neinsagen: Warum es uns so schwerfällt
Wer normalerweise zu allen Verabredungsanfragen oder Gefallen Ja sagt, wird in den seltenen Fällen eines Neins schnell ein schlechtes Gewissen bekommen. Denn: Es fühlt sich nicht gut an und vielen Menschen falle es sehr schwer, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen ehrlich zu kommunizieren, schreibt Psychotherapeutin Franca Cerutti in ihrem Buch "Neinsagen ohne schlechtes Gewissen". Die Tendenz zum Ja stecke in der Vergangenheit: "Aus evolutionsbiologischer Sicht sind Menschen zutiefst kooperativ. Unsere Vorfahren wussten, dass sie als gemeinschaftliche Gruppe bessere Chancen hatten, (…) sicherer zu leben." Ein egoistisches Verhalten habe für Steinzeitmenschen also keinerlei Vorteil gehabt. Vielmehr habe der Ausschluss aus der Gruppe den sicheren Tod bedeutet. Neben dieser Tendenz zu kooperativem Verhalten, spiele auch die eigene Biografie eine Rolle. Wie die engsten Bezugspersonen auf ein Nein, welches im Kleinkindalter ausgesprochen wurde, reagierten, wie leicht oder schwer es jemandem falle, Nein zu sagen, beschreibt die Psychotherapeutin.

Als Menschen haben wir ein starkes Bedürfniss nach Bindungen und Beziehungen. Durch unsere Erfahrungen und Prägungen haben viele Menschen Angst davor, dass sie selbst einmal Ablehnung erfahren, wenn sie nicht stets Ja sagen.
Der Weg zur Balance
Wer das Neinsagen lerne, werde nicht zu einem Egoisten. Vielmehr gehe es darum, ein gesundes Verhältnis zwischen den Extremen des Egoismus und der Selbstaufopferung zu finden. "Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob du immer Ja sagst, weil du nicht Nein sagen kannst, oder ob du dich frei für ein Ja oder Nein entscheidest", beschreibt es Franca Cerutti. Heißt: Wer es ablehnt, eine Aufgabe von einem Kollegen zu übernehmen, handelt nicht aus purem Egoismus. Bei den meisten Menschen ist die eigene To-do-Liste sehr voll und ein Nein zu anderen, bedeutet, auf sich selbst Achtzugeben. "Wenn wir nicht lernen, unsere Grenzen zu schützen und gelegentlich Nein zu sagen, riskieren wir, uns selbst zu überfordern (…)", so die Expertin. Wer sich durch das eigene Jasagen ständig überlastet, erhöhe damit das Risiko für psychische und körperliche Krankheiten.
Tipps zum Neinsagen
1.Aller Anfang ist schwer
Jeden Gefallen auszuschlagen, den wir nicht erfüllen können oder wollen, wird nicht leicht sein und auch nicht jedes Vorhaben wird gelingen. Wer das eigene Verhalten ändern will, braucht dazu viel Geduld und sollte sich in kleinen Schritten üben.
2. Komplizen suchen
Vielleicht gibt es eine Freundin, die auch gerne lernen würde, Grenzen zu setzen. Dann ist es eine gute Idee, sich mit ihr zusammenzutun. So habe man jemanden, der einen motiviert und dabei unterstützen kann, so Franca Cerutti. Und jemanden, um zu üben.
3. Verstehen, was die eigenen Bedürfnisse sind
Wer sich stark nach den Bedürfnissen anderer orientiere, verliere manchmal die Fähigkeit, auch die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu sehen. Es sei deshalb wichtig, nach Innen zu schauen, um herauszufinden, was man selbst brauche, erklärt die Psychotherapeutin.
4. Zeit verschaffen
Manchmal sagen wir schnell eine Verabredung zu und ärgern uns, weil sie gar nicht in den Zeitplan passt und nur Stress verursacht. Wer dazu neigt, schnell Ja zu sagen, ohne wirklich darüber nachzudenken, kann sich Zeit verschaffen. Eine Möglichkeit wäre etwa, sich für die Einladung zu bedanken und zu sagen, dass man zuerst im Kalender nachschaue und sich dann melde.
5. Mehr als vier Buchstaben
Zu etwas nur das Wort "Nein" zu sagen, könne ruppig wirken und das Gegenüber verletzen. Es sei hilfreich, das eigene Nein etwas zu erklären. Dies böte dem Gegenüber die Chance, uns besser zu verstehen, sagt Franca Cerutti.
5. Beim Nein bleiben
Manchmal wird das Gegenüber nicht akzeptieren wollen, dass der Gefallen abgelehnt wird. Und fragt noch mehrfach nach. In einer solchen Situation kann es schwierig sein, bei der eigenen Entscheidung zu bleiben. Ein Versuch von Forschenden an der Universität Oxford mit 120 Studierenden gibt einen Hinweis darauf, dass es offenbar auch auf die Formulierung ankommt. Die Studierenden bekamen unterschiedliche Aussagen an die Hand mit denen sie ihre Ablehnung ausdrücken sollten: "Ich kann nicht", "Ich werde nicht" und "Nein". Wer in den Versuchen "Ich kann nicht" als Aussage nutzte, ließ sich am ehesten umstimmen, am standhaftesten waren jene Studierende die "Nein" nutzten.
Psychohygiene: Diese zehn Gewohnheiten sind Balsam für die Seele

Für viele Jugendliche hat das Tagebuchschreiben einen festen Platz im Alltag. Man notiert, was einen beschäftigt, wie es einem geht und wovon man träumt. Je älter wir werden, desto eher hören wir allerdings damit auf, unsere Gedanken zu Papier zu bringen. Dabei kann so ein Tagebuch echt hilfreich sein. Wer seine Gedanken aufschreibt, der schafft Platz im Kopf. Das hilft vor allem dann, wenn man im Gedankenkarussell gefangen ist oder sich nicht konzentrieren kann, weil ständig neue Tabs im Kopf aufploppen. Außerdem reflektieren wir unsere Gedanken und Erlebnisse noch einmal, wenn wir sie aufschreiben. Das kann uns helfen, den Blick zu weiten und neue Perspektiven einzunehmen. Das Tagebuch kann also helfen, zu neuen Erkenntnissen zu kommen, sich selbst besser kennenzulernen und Struktur ins Gedankenchaos zu bringen. Und wenn man sich daran mal nichtmehr erinnern kann, dann hat man es ja sogar schriftlich.
Grenzen zu setzen, ist nicht einfach
Es hört sich im ersten Moment sehr einfach an, auch mal der Kollegin nicht bei der Präsentation zu helfen oder es abzulehnen, auf den Hund der Mutter aufzupassen, wenn sie im Urlaub ist. Doch: Das eigene Umfeld kennt Sie als hilfsbereite und aufopferungsvolle Person, wenn Sie stets jeden Gefallen erfüllen. Es wird also nicht jedem Gefallen, wenn Sie nun auch Gefallen ausschlagen und Grenzen setzen. Wer für sich ein besseres Gleichgewicht finde und häufiger Nein sage, werde merken, dass manche Menschen darauf ärgerlich reagieren, sagt Franca Cerutti.
Quelle: Franca Cerutti:"Neinsagen ohne schlechtes Gewissen. Dein Workbook für weniger Stress, mehr Selbstachtung und Beziehungen auf Augenhöhe", Yuna, 160 Seiten, 13,99 Euro