Über seinen Ehekonflikt wolle er erst einmal mit mir allein sprechen, sagt Herr B. Warum, wenn es doch beide betrifft, will ich wissen. Er könne seiner Frau nicht alles sagen.
Ich bin auf einen kühlen, kalkulierenden Menschen eingestellt, als ich Herrn B. zwei Wochen später in meiner Praxis begrüße. Aber mir tritt ein sympathischer Mann mit offenem Blick entgegen. Und in der Tat befindet er sich in einer Klemme. Er ist seit zwölf Jahren verheiratet und hat mit seiner Frau eine zehnjährige Tochter. Beide Eltern sind erfolgreich in anspruchsvollen Berufen tätig. Und sie verstehen sich gut. Dass die Sexualität in den Hintergrund ihrer Doppelkarriere-Ehe getreten ist, war für beide lange Zeit kein ernstes Problem. Bis er ein Verhältnis mit einer anderen Frau begann. Dieser Affäre folgte eine zweite, die er noch fortführt. Herr B. sieht sich in der selbst gebauten Falle gefangen: Je intensiver er die Sexualität mit seiner Geliebten erlebt, umso schwerer fällt es ihm, sich sexuell auf seine Frau einzulassen. Ihn stören körperliche Kleinigkeiten, die er früher gar nicht beachtet hatte. Manchmal lässt auch seine Erektion nach. Er möchte unbedingt sein weiteres Leben mit seiner Frau verbringen, aber auch die Freundin nicht aufgeben.
Der Experte
Prof. Dr. Ulrich Clement ist Paar- und Sexualtherapeut; Professor für medizinische Psychologie an der Universität Heidelberg; Lehr- und Forschungstätigkeit an den Universitäten Hamburg, Freiburg im Breisgau und Heidelberg.
Clement war Präsident der International Academy of Sex Research und Research Associate an der Columbia University; zusammen mit Ulrike Brandenburg leitet er das Institut für Sexualtherapie Aachen/Heidelberg. Er ist einer der führenden deutschen und international renommierten Paar- und Sexualtherapeuten.
Unschlüssigkeit tut ihm nicht gut
Entscheidungen haben einen Preis. Herr B. steckt in dem gleichen Dilemma wie alle Menschen, die eine außerpartnerschaftliche Beziehung eingehen: Entweder er gibt die ansonsten gute Ehe auf, oder er opfert die leidenschaftliche Sexualität. Sein Wunsch, mehr sexuelles Interesse für seine Frau zu entwickeln, ist zwiespältig. Einerseits fragt er mich nach Mitteln und Wegen, jeden praktischen Vorschlag, den ich mache, lässt er aber ins Leere laufen. Er wird nicht aktiv. Nach einigen Sitzungen kommt er zu dem Ergebnis: "Ich kann mir nichts vormachen: Ich bin einfach nicht monogam. Selbst wenn mit der jetzigen Freundin Schluss wäre, käme die nächste." Und mit einem verlegenen Lächeln: "Schlimm, nicht?" Das finde ich nicht. Aber ich finde, dass seine passive Haltung, wie gebannt auf seine Unschlüssigkeit zu starren, ihm nicht guttut.
Dem Partner treu sein oder sich treu sein? Wir wägen die Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten ab. Das nützt so lange nichts, wie er davon gebannt ist, sich als Opfer seiner eigenen Unentschiedenheit zu sehen.
Aufrichtigkeit ist für ihn ein Wert
Aufrichtigkeit ist auch für ihn ein Wert. Eigentlich sollte seine Frau wissen, was mit ihm los ist. Da für ihn solche moralischen Skrupel bedeutsam sind, macht er sich Vorwürfe und wertet seine Sexualität ab. Zu einer Wende kommt es, als ich ihn frage, ob er eher seiner Frau oder sich selbst treu sein will. Das bringt seinen Konflikt für ihn in ein neues Licht. Eines Tages berichtet er mir das Ergebnis seiner Überlegungen: "Wie ich mich auch drehe und wende, ich will weder meine Ehe riskieren noch meine Affären aufgeben. Ich sollte aufhören herumzujammern. Sondern ich mache das dann eben so: Ich übernehme die Verantwortung für mein Verhalten: Ich bleibe bei meiner Frau, sage ihr aber nicht, dass ich meine Affären weiterlebe." Ich frage ihn, inwiefern das etwas an der Sexualität mit seiner Frau ändert. Er grinst: "Sie werden lachen. Ich habe mich zu freundlichem Ehe-Sex entschieden. Es muss nach den ganzen Jahren ja nicht aufregend sein." Also bekennendes Doppelleben, frage ich. Freundlicher Sex in der Ehe. Leidenschaftlicher Sex mit der Freundin? "Ich glaube, das geht."
Wir beenden die Gespräche. Ich wage keine Prognose über das Liebesleben von Herrn B. Wie so oft in modernen Beziehungen ist das eine Lösung auf Zeit. Immerhin.