Der Frühling teilt die Menschen in zwei Gruppen: Verliebte und Allergiker. Weil es mit wachsendem Abstand zur Pubertät und schrumpfender Naivität schwieriger wird, sich so richtig zu verknallen, möchte man wenigstens zu den anderen gehören. Wenn schon keine Leidenschaft, können sie doch wenigstens Leiden mit dem Frühling verbinden. Ein bisschen Allergie gehört zum guten Ton. Keineswegs möchte ich das Leiden der Allergiker verharmlosen oder gar die Gelegenheit auslassen, auf die reale Gefahr einer Verschlechterung durch Nichtbehandeln hinzuweisen. Aber meinem ärztlich-kabarettistischen Blick entging nicht, dass ich mich insgeheim freute, als endlich auch meine Augen und Nasenflügel juckten. Gilt doch insgeheim als grober Klotz, wer heutzutage keine Allergien aufzuweisen hat.
Dr. med. Eckart von Hirschhausen
Der Allergiker ist es, der diese Welt nicht nur oberflächlich wahrnimmt, sondern bis ins Kleinste und Tiefste empfindet - und leidet. Diese Menschen sind Seismografen, jedes Niesen eine Erschütterung darüber, dass mit unserer Welt nichts mehr stimmt. Wir haben im wahrsten Sinne die Nase voll von Chemie im Essen, der Globalisierung der Kiwi und dem Pollenflug, der sich an keine Absprachen hält. Die Bäume schlagen aus, das Immunsystem schlägt zurück.
Geile Gene in der Luft
Der Mensch hat in den Jahrtausenden seiner Zivilisation gelernt, seine Gene nur noch gelegentlich und vor allem nachts im stillen Kämmerlein zu verbreiten. Die Natur hingegen hat bis heute kein Schamgefühl entwickelt und haut ihre geilen Gene ungehemmt in die Luft. Statt nur auf die Fruchtstempel der eigenen Art zu fallen, versteigen sich die Pollen auf artfremde Schleimhäute. Unsere reizen sie so lange, bis von unseren eigenen Reizen und Fortpflanzungstrieben nichts mehr übrig bleibt. Das Immunsystem kapituliert, schwenkt die weiße Taschentuchfahne, und das Hormonsystem resigniert gleich mit. Die einzige Person, mit der im Zustand der Hypersekretion noch zarte Bande möglich sind, ist die Apothekenhelferin.
Welche Ironie der Natur. Sie rächt sich dafür, dass wir sie nicht mehr kennen. Beim Allergietest wissen wir, Bärlapp, dass war das Zeug mit dem dicksten roten Hof am Unterarm. Aber wer würde Bärlapp am Wegesrand erkennen? Dafür, dass es uns jahrelang egal war, welchen Dreck die Pflanzen atmen, überziehen sie uns jetzt mit dem subtilsten, was sie haben: Feinstaubpollen. Was tut der Mensch? Er rast mit doppelter Verachtung durch die Natur, natürlich im Auto. Wenn die Natur meint, mir die Nase rümpfen zu dürfen, dann rüste ich eben mein Auto auf, mit Allergie-Filteranlage. Für eine unbeschwerte Fahrt ins Grüne. Fenster zu und durch.
Im Gefühl der Konspiration
Neue Koalitionen formen sich. In Meetings wandern Taschentuchpackungen mit dem Gefühl der Konspiration über den Tisch, wie man es sonst nur von Rauchern auf dem Balkon kennt, wenn die Schachtel kreist. Die Sprachregelung ändert sich: Plötzlich ist es verpönt, jemandem, der niest, "Gesundheit" zu wünschen. Denn Schnupfen hört von allein nach sieben Tagen auf, Heuschnupfen heilt nicht von allein, kommt wieder, jede Saison. Besser als ein achtloses "Gesundheit" sind daher ein tiefer, verständiger Blick und ein gehauchtes: "Sie auch?"
Mit-Leiden ist die wörtliche Bedeutung von Sym-Pathie. Blöd ist nur, wenn in einem Liebespaar nur einer leidet und der andere mitleidenslos daneben steht. Darum ein Rat an frisch Verliebte: gleich gemeinsam ins Heu gehen. Und wenn man da synchron niest - dann passt es!