Pandemie, Klimawandel, Krieg "Das ist tatsächlich eine neue Qualität von Krise" – Experte erklärt, was gegen das Gefühl von Überforderung hilft

Ein junger Mann lehnt verzweifelt an einer Leder Couch
Die Krisen mit denen wir Tagtäglich konfrontiert werden, betreffen und stärker als früher und sorgen für ein dauerhaftes Gefühl der Bedrohnung
 
© Getty Images
Klimawandel, Ukrainekrieg und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie: Das Gefühl von Dauerkrise war selten so stark wie jetzt. Der Krisenforscher Stefan Kroll erklärt, wie es entsteht und ob die Weltlage sich tatsächlich verfinstert hat.

Herr Kroll, wir fühlen uns gerade wie in einer Krisen-Dauerschleife: Klimakatastrophe, Ukrainekrieg, Energiekrise – und von den Folgen der Corona-Pandemie haben wir uns auch noch nicht erholt. Sie und andere Experten sprechen sogar von einer "Polykrise". Gibt es wirklich mehr Krisen als früher?
Ich würde eher sagen: Es gibt auf jeden Fall Gründe für dieses Krisengefühl, das viele Menschen gerade so belastet. Kriege und bewaffnete Konflikte haben tatsächlich wieder zugenommen: Schaut man sich die Opferzahlen der weltweiten Konflikte an, haben wir aktuell die höchsten Zahlen seit den 1990er Jahren – das war die Zeit des großen Völkermordes in Ruanda. Interessant ist aber: Damals war der Begriff der Krise bei weitem nicht so omnipräsent wie heute.

Woran liegt das? Belasten uns die Krisen von heute mehr?
Die direkte Betroffenheit ist in der Tat größer. In der Coronazeit wurden Schulen geschlossen, Menschen haben ihr Einkommen verloren, der Ukrainekrieg hat eine Energiekrise ausgelöst. Das ist tatsächlich eine neue Qualität. Hinzu kommt, dass Bedrohungen wie die Klimakrise als existentiell wahrgenommen werden.

Stefan Kroll leitet die Wissenschaftskommunikation am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt
Der Sozialwissenschaftler Dr. Stefan Kroll leitet die Wissenschaftskommunikation am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. Er ist Mitherausgeber des 2020 erschienenen "Handbuchs Krisenforschung"
© Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung

Wann sprechen Sie als Sozialwissenschaftler eigentlich von "Krise"?
Bei einer Krise wirken drei Faktoren zusammen: Wir erleben eine neue Bedrohung mit unmittelbaren Handlungsdruck. Dazu kommt große Unsicherheit, wie wir mit der Bedrohung umgehen sollen, weil die Routinen, die wir bisher hatten, nicht mehr greifen. Hinzu kommt noch etwas: eine allgemein geteilte Wahrnehmung, dass diese Bedrohungslage tatsächlich eine Krise ist. Ein gutes Beispiel ist der Klimawandel: Lange Zeit begegnete uns der vor allem über die Warnungen von Experten, aber nicht vor der eigenen Haustür. Deshalb gab es lange keine allgemeine Wahrnehmung einer Klimakrise – und wenig Handlungsdruck. Das ist heute völlig anders …

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