In diesen Tagen träumen wir vom Reisen wie selten zuvor. Doch eine Reise wie die, die uns Claudia Hildenbrandt und Daniel Mathias vorstellen, war auch vor Corona schon ungewöhnlich. Umso anregender, unterhaltsamer und horizonterweiternder ist die Lektüre ihres Büchleins derzeit in der Verbannung auf das heimische Sofa.
Zwei Jahre haben Hildenbrandt und Mathias auf dem Rad verbracht – von Sachsen über Nah- und Fernost, die beiden Amerikas, Nordafrika und durch Europa zurück. Schon während ihrer Tour habe ich immer wieder ihre Website besucht, fasziniert vor allem von atemberaubenden Fotos. Nun ist das Buch erschienen und ergänzt die Bilder um ebenso hinreißende Geschichten: kurze Stücke über Begegnungen in aller Welt und die Fragen, die sie auslösten.
Besonders an diesem Reisebuch ist, dass es nicht chronologisch der Route folgt, sondern thematischen Entdeckungen, die sich in verschiedensten Ländern auf ähnliche oder ganz entgegengesetzte Weise wiederholen und einander reflektieren. Das macht die Lektüre überaus kurzweilig und zugleich inspirierend – immer wieder bleibe ich an einem Satz hängen, den ein Autofahrer aus Chile den Radlern aus Deutschland zuruft, oder einer Frage, die in Turkmenistan eine Frau den beiden und plötzlich auch mir auf meinem Sofa stellt. Fragen, die genau das betreffen, worüber wir derzeit viel reden: Hilfsbereitschaft, Verantwortung füreinander, Dankbarkeit.
Aus der Reihe "Reisesplitter"
Mit seinen aufmerksamen, berührenden, pointierten und doch nie (ab-)wertenden Beobachtungen ist das Bändchen aus der Reihe "Reisesplitter" das unumwunden schönste und am lustvollsten zu lesende Reisebuch, das ich kenne: voller Warmherzigkeit und Respekt gegenüber den Menschen und der Natur, über die es erzählt, mit erfrischendem Humor, wo es von Malheuren berichtet, und Fotos, von denen manche in mir nahezu körperliches Fernweh wecken. Das Taschenbuchformat hat mich, die ich die Aufnahmen von der Website als Bildband erhofft hatte, zunächst enttäuscht, erwies sich aber als perfekt, um es überall mit mir herumzutragen, wenn ich in letzter Zeit doch mal außer Haus war. Dazu passt ein sehr kompakter und selbst für mich (die ich nicht mit dem Rad reise) informativer Anhang, der an alles denkt und auch die Grundkonflikte modernen Reisens nicht ausspart.

Man sagt, dass man dem Menschen alles nehmen kann, außer das Wissen, das er sich angeeignet hat. Dasselbe gilt für unsere Erfahrungen. Erfahrungen wie die, die Hildenbrandt und Mathias auf ihrer Reise gemacht haben, sind bleibend und wirken fort. Sie sind besonders kostbar, wo sie dem Alltag, den wir für normal, gegeben und unveränderlich halten (und den wir gerade unerwartet stark vermissen), ein anderes Bild entgegensetzen. Deshalb ist es so erfrischend und mutmachend, dass die beiden Autoren ihre Erfahrungen mit uns teilen – einen Schatz, den man dann auch uns Lesern nicht mehr nehmen kann.