In zwei Wochen ist es wieder so weit. Dann wird Alexandra Zykunov die Tür hinter ihrem Freund und den zwei gemeinsamen Kindern schließen und durchatmen: Vor ihr liegen 48 Stunden freie Zeit. 48 Stunden, in denen sie machen kann, was sie möchte. In denen sie ausschlafen, ein Buch lesen, einen Gedanken zu Ende denken kann, ohne, dass irgendwer etwas von ihr will. Klingt zu gut, um wahr zu sein? Dann sind Sie wahrscheinlich Mutter von kleinen Kindern.
"Ich kenne so viele Mütter, die sagen, sie hätten zuletzt vor mehreren Jahren in der Schwangerschaft mal einen Tag für sich gehabt. Wie können die überhaupt noch stehen?", fragt Zykunov. Ihr ging es selbst so, bis sie merkte, dass sie dieses ständige Aufreiben knapp am Burnout vorbei auch ihrer kleinen Tochter vorlebt. So entstand das, was Zykunov und ihr Freund fast verschwörerisch "den Deal" nennen: Immer abwechselnd schnappt sich einer alle sechs Wochen die Kinder und fährt mit ihnen für ein Wochenende zu den Großeltern. Oder einer von ihnen fährt zu Freunden und der Rest der Familie bleibt zu Hause. So hat regelmäßig einer von beiden frei.

"Man hat unfassbare Vorfreude, wenn man weiß: In zwei Wochen tanke ich wieder auf. Gerade, wenn die Zeiten hart sind, wenn etwa Deadlines im Job mit Kinderinfekten oder Lockdowns kollidieren, wenn die Kleinen zahnen und Überstunden fällig sind." Viele ihrer Freundinnen beneiden Zykunov deshalb für diesen Deal. Doch es gibt auch negative Reaktionen, und vor allem einen Satz, den sie nicht mehr hören kann. "Vermisst du deine Kinder nicht, wenn du wegfährst?", lautet er und er hat es in ihr Buch geschafft, das gerade im Ullstein-Verlag erschienen ist. "'Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!' - 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen" heißt es.
"Bullshitsätze sind Floskeln, die locker aus der Vorstadt-Hölle der 60er stammen könnten, die aber auch im Jahr 2022 auf Spielplätzen oder Hannelores Geburtstagsfeier fallen. Wo man sich denkt: Merkst du eigentlich, was für alte Rollenbilder du tradierst?", erklärt die Journalistin. "Hast du ein Glück, dass dein Mann zu Hause so viel mithilft!" gehört dazu, "Frauen wollen doch gar keine Karriere machen!" oder "Selbst schuld, wenn Frauen sich gegenseitig die Augen auskratzen!".
Absurde Anekdoten zur Gleichberechtigung: "Ich dachte, Sie wären tot!"
Es sind Sätze, die erst beim genaueren Hinsehen die Misogynie und das patriarchalische System dahinter entlarven. Zykunov blickt sehr genau hin, zerlegt diese Sätze mit Humor und einer kräftigen Portion Wut. So kennen sie ihre Follower:innen von Instagram, wo sie als Influencerin unter dem Hashtag #MeanwhileImJahr2022 Erlebnisse von Frauen sammelt, die zeigen, wie tief verankert die ungleichen Rollenvorstellungen von Frauen und Männern noch immer sind. Etwa von der Mutter, die erzählt, dass ihr Mann immer mit der Tochter zum Haareschneiden gehe. "Als ich das einmal nach Jahren gemacht habe sagte die Friseurin: 'Ich dachte, Sie wären tot.'"
"Wenn ein Mädchen im Jahr 2022 mit ihrem Vater zum Friseur geht, ist es für uns als Gesellschaft also wahrscheinlicher, dass die dazugehörige Mutter tot ist, als dass sie in dieser Zeit einfach irgendetwas anderes macht, womöglich ihre Freizeit genießt – Gott bewahre – oder vielleicht sogar allein mit sich selbst im Urlaub ist", schreibt Zykunov im Buch. Sie kennt diese Art von Situation von ihrem Deal. Was sie an der Frage nach dem Vermissen besonders ärgert: "Da schwingt ein Vorwurf der mangelnden Emotionalität mit: Liebst du dein Kind gar nicht? Hängst du nicht an ihm?" Ihrem Freund werde diese Frage übrigens nie gestellt. "Man muss es sich anders herum vorstellen: Ein Mann fährt von Montag bis Mittwoch auf Dienstreise und bekommt zu hören: 'Liebst du dein Kind etwa nicht? Dann hättest du keine Kinder kriegen dürfen!' Sofort wird klar, wie absurd die Frage an einen Vater ist, an eine Mutter aber nicht. Daran merken wir, dass wir immer noch mit zweierlei Maß messen."
So gut der Deal für sie und ihre Familie auch ist: Alexandra Zykunov weiß, dass er nur durch Privilegien möglich ist. Nicht bei allen gibt es überhaupt Großeltern, mit denen man sich dann auch gut versteht, die fit genug sind und auch noch einigermaßen in der Nähe wohnen. Dabei sei diese Regeneration extrem wichtig. "Nicht umsonst ist besonders nach zwei Jahren Pandemie von kollektiven Mütterburnouts die Rede – die Müttergenesungswerke bestätigen diese Zahlen." Sie wünscht sich deshalb politische Unterstützung. "Warum geht Durchatmen nur, wenn ich es mir privat leisten kann? Wenn Haushalt, Putzen, Kochen, Erziehung von Kindern oder auch das Pflegen von Angehörigen offiziell als Care-Arbeit bezeichnet würde, wäre klar, dass man davon auch einen Care-Urlaub braucht. Warum kriegen Eltern und Erwachsene, die Menschen pflegen zum Beispiel nicht mehr Urlaubstage für eben diese Care-Arbeit, die sie zusätzlich leisten? Ein schulpflichtiges Kind hat beispielsweise 64 Ferientage, aber ein Arbeitnehmer im Schnitt nur 28 Urlaubstage. Es wär doch genial, wenn man zusätzlich einen Carearbeits-Urlaubsanspruch hätte, bezahlt vom Staat." Warum der Staat hier den Eltern Urlaub umsonst schenken soll? "Na, weil Eltern für den Staat ja auch umsonst die Steuer- und Rentenzahler von morgen großziehen", sagt sie. In anderen Ländern gebe es zum Beispiel Gutscheine für Haushaltshilfen und Babysitter für Alleinerziehende, in Deutschland sei das noch schwer vorstellbar. Auch wenn die aktuelle Regierung sich Ähnliches zumindest schon mal vorgenommen hat.
Übrigens nimmt sich Alexandra Zykunov auch regelmäßig gemeinsam mit ihrem Freund eine Auszeit. Dazu kämen jedoch nie Sprüche - schließlich gehe es da auch um die Bedürfnisse eines Mannes. "Tja,", sagt sie, "Patriarchat at its best."