Herta Müllers Nobelvorlesung "Ich rechnete jeden Tag mit allem, auch mit dem Tod"

  • von Johannes Schneider
Herta Müller bleibt ihrem Lebensthema auch als Literatur-Nobelpreisträgerin treu. Das bewies sie gestern in einer Rede, die sie zum Auftakt zur Nobelwoche hielt: Sehr persönlich sprach Müller über die Greuel, die sie im kommunistischen Regime Rumäniens erleiden musste.

Fast hilflos steht sie da, Herta Müller, und nimmt die Ovationen entgegen. Gerade hat sie ihre Nobel-Vorlesung gehalten, und der Applaus in der Schwedischen Akademie in Stockholm will nicht enden. Hertha Müller, ganz in schwarz gekleidet, steigt von ihrem Redepodest, streckt die Arme zur Seite. Es sieht wie eine Entschuldigung aus, so als wolle sie sagen: Das bin halt ich, ich kann nichts dafür.

Und tatsächlich: Herta Müller kann nicht anders. Ihr Werk, ihr Leben hat ein großes Thema, und dem bleibt sie treu. So persönlich ihre Bücher das beschreiben, was sie im kommunistischen Regime Rumäniens erlebte, so persönlich ist auch die knapp vierzigminütige Rede, die sie gestern zum Auftakt der Nobelwoche gehalten hat.

In der Schwedischen Akademie erzählt die Deutschrumänin vom Terror, den das Regime ausübte. Sie erzählt davon, wie es war, als ein Agent des rumänischen Geheimdienstes, der Securitate, sie zur Mitarbeit überreden wollte, und wie er reagierte, als sie ablehnte: "Mit der Aktentasche unterm Arm sagte er leis': Dir wird es noch leidtun, wir ersäufen dich im Fluss. Ich sagte wie zu mir selbst: Wenn ich das unterschreibe, kann ich nicht mehr mit mir leben, dann muss ich es selber tun. Besser Sie machen es."

Mit ihrer Weigerung beginnt für Müller ein Martyrium. Der Geheimdienst überwacht sie, bedroht sie und versucht immer wieder, sie für seine Zwecke zu gewinnen. Einmal, als sie sich gerade ein Fahrrad gekauft hat, warnt ein Geheimdienstler sie vor dem Straßenverkehr. Fünf Tage später wird sie von einem Laster angefahren.

Doch Müller bleibt sich treu. Sie wählt den schwierigen Weg und lehnt jede Kollaboration mit dem Regime ab.

"Ich will keine Fotos signieren, das machen Stars"

Die vielleicht härteste Folge ihrer Standhaftigkeit, sagt Müller inihrer Rede, war es, dass der Geheimdienst sie bei ihren Freunden und Kollegen als Spitzel verleumdete: "Die Schikanen wurden nach unten gereicht, das Gerücht unter den Kollegen in Umlauf gesetzt. Das war das Schlimmste. Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Verleumdung ist man machtlos. Ich rechnete jeden Tag mit allem, auch mit dem Tod. Aber mit dieser Perfidie wurde ich nicht fertig."

1985 stellt Müller einen Ausreiseantrag, 1987 darf sie endlich fort aus Rumänien und geht mit ihrem damaligen Mann nach Berlin. Hier, frei von Zensur, beginnt sie, sich die erlittenen Greuel von der Seele zu schreiben. Und sie schreibt auch für die, die mit ihr gelitten haben und noch immer leiden. "Ich wünsche mir, ich könnte einen Satz sagen, für alle, denen man in Diktaturen alle Tage, bis heute, die Würde nimmt", sagt Müller in Stockholm.

Nach der Rede möchte ein Verehrer, dass Müller ein Foto für ihn signiert. "Nein, ich will keine Fotos signieren, das machen Stars", sagt sie. "Und ich bin kein Star." Herta Müller geht es um das Werk, nicht um ihre eigene Person.

Am Donnerstag wird sie den Nobelpreis für Literatur entgegen nehmen. Sie wird nach dem Bankett wohl kaum über das Stockholmer Parkett tanzen wie Günter Grass vor zehn Jahren. Müller wird den Rummel nicht genießen, sondern ertragen. Und sich dann wieder ihrem Lebensthema zuwenden.

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